Vereinte Linke zahlt Preis für Beteiligung an Regierung mit PSOE. Podemos drittstärkste Kraft.
Izquierda Unida und Partido Popular abgestraft. Ergebnisse der Sozialdemokratie bleiben stabil. Neue Linke Podemos kommt auf Anhieb auf knapp 15 Prozent, nationalliberale Bürgerpartei gewinnt ebenfalls 9 Sitze aus dem Stand. Das Wahlergebnis zeigt gleichzeitig Risiken und Möglichkeiten für die europäische Linke.
Von René Kiesel, Berlin
Am 22. März 2015 wurde in der südlichsten Region des spanischen Staates ein neues Regionalparlament gewählt. In der bevölkerungsreichsten Comunidad, die etwa einem Bundesland entspricht, wurden 6,5 von den insgesamt 8,4 Millionen EinwohnerInnen zur Wahl gerufen. Im November diesen Jahres finden im gesamten Land Parlamentswahlen statt. Und wie bei uns eine Landtagswahl in NRW, so sind Regionalwahlen in Andalusien ein Indikator für kommende Ergebnisse.
Andalusische Zustände
In der Geschichte zählte die südspanische Region zu den reichsten der Halbinsel. Während im Mittelalter in Europa die Knechtschaft des Feudalismus herrschte und die kirchlichen Institutionen die Massen in Unwissenheit hielten, galt das damalige Al-Andalus unter der Maurenherrschaft als vergleichsweise toleranter Hort der Wissenschaft.
Wie anders das heutige Bild: innerhalb des von der Krise zerrütteten Staatskonstruktes ist sie der ärmste Teil davon und am stärksten von den Auswirkungen der kapitalistischen Krise getroffen. Zum Teil beträgt die Jugendarbeitslosigkeit siebzig Prozent, ganze Straßenzüge von Geschäften sind mittlerweile geschlossen. Innerhalb des Staates gibt es ein Nord-Süd-Gefälle. Im Norden die hochindustrialisierten und wohlhabenden Regionen Kataloniens und des Baskenlandes. Im Süden das arme agrarische Anhängsel Andalusien. Dieses Bild wird zumindest von nationalistischen PolitikerInnen im Norden gezeichnet.
Wenn wir uns jedoch die politischen Massenbewegungen der letzten Jahre anschauen, zeigt sich ein anderes Bild. Almería, Sevilla und Granada waren Zentren des Protestes der Indignados im Jahr 2011. Es wurden Auseinandersetzungen in Gewerkschaften und innerhalb der traditionellen linken Partei Izquierda Unida (IU – Vereinte Linke) geführt, 2012 ging der Bürgermeister von Marinaleda, Juan Manuel Sánchez Gordillo, mit seinen GenossInnen in große Supermärkte in Cádiz und Sevilla, um Lebensmittel zu beschlagnahmen und an die Armen zu verteilen. Als Aktion der Andalusischen Landarbeitergewerkschaft nahmen sie die Produkte an sich, um sie hungernden Familien und Lebensmittelbänken zukommen zu lassen.
Die gescheiterte Koalition aus PSOE und IU
Dennoch wird die Comunidad Andaluza seit dem Abdanken des Franco-Regimes und der Installation des so genannten „78er Systems“ von der sozialdemokratischen PSOE regiert und bildet seit jeher die Hochburg der Partei.
Nachdem sie bei den Wahlen 2012 mit nur 47 (knapp vierzig Prozent der Stimmen) von insgesamt 109 Abgeordneten ins andalusische Parlament einzog, ging sie mit der Führung der IU in Verhandlung über eine Koalition. Diese willigte ein, ohne die Diskussion der Basis oder deren Votum abzuwarten. Der Kampf gegen dieses bürokratische Manöver, gepaart mit einem fortwährenden Anpassungskurs an die PSOE, war eine der Hauptauseinandersetzungen in der linken Partei. Doch es half alles nichts. Am 25. Januar verkündete die Ministerpräsidentin Susana Díaz die Auflösung der Koalition. Die Vereinte Linke hätte maßlose Forderungen gestellt. In der Öffentlichkeit wurde dies als Streitigkeiten innerhalb der IU verkauft. Und die gab es – nämlich um den Kurs der Partei. Während die KoalitionsbefürworterInnen sich damit rühmen, dass die Kürzungshaushalte weniger schlimm ausgefallen seien, wurde die Koalition insgesamt und die Zustimmung zu den Haushalten von einer großen Gruppe innerhalb und AktivistInnen außerhalb der Partei kritisiert.
Wahlsieg der Sozialistischen Partei?
Trotz eines Korruptionsskandals, der sich um 130 Millionen verschwundener Euros im Umfeld der PSOE und Gewerkschaftsführungen dreht, beschloss Díaz, die Wahlen um ein ganzes Jahr vorzuziehen – auf den 22. März. Die sozialistische Partei verlor dennoch nur rund fünf Prozent des Stimmanteils und zog bei einer leicht gestiegenen Wahlbeteiligung von 60 auf 63 Prozent erneut mit 47 Abgeordneten ein. Ihnen hat geholfen, dass selbst sie nicht so verhasst sind, wie die Partei des Regierungsoberhauptes Mariano Rajoy. Die Partido Popular (Volkspartei, Schwesterpartei der CDU) fiel um 17 Prozentpunkte auf 27 Prozent und bekam eine schallende Ohrfeige für Repression, Polizeigewalt, Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruches und brutale Kürzungen im Staat.
Um diese Stimmung wussten auch die Wahlkampfleiter der Wahlsiegerin. Sie spielten die nationalistische Karte und verbanden dies mit einer sozialen Rhetorik. Auf die Frage, mit wem die regionale PSOE-Vorsitzende nun koalieren wolle, antwortete sie: „Mit den AndalusierInnen.“
Dies weist auf ein reales Problem für sie hin: Eine große Koalition hätte nur noch 62 Prozent von vormals achtzig Prozent der Stimmen und würde sie ins Fahrwasser der fallenden rechtskonservativen Partei PP bringen. Deren Wähler wanderten zum großen Teil zur 2006 gegründeten Bürgerpartei Ciudadanos, die sich als nationalliberale Kraft der Mittelklasse präsentiert und gezielt im konservativen Teich nach Stimmen fischt und im ersten Anlauf auf neun Sitze kommt. Doch diese orientiert auf ein noch besseres Ergebnis bei kommenden Wahlen in anderen Regionen im Mai oder der Wahl zum Cortes (nationalen Parlament) im Herbst diesen Jahres, um ihre Verhandlungsbasis zu verbessern. Dementsprechend orientiert die PSOE-Führerin auf eine Minderheitsregierung mit situationsbedingten Abstimmungsbündnissen.
Lehren für die europäische Linke
Die Vereinigte Linke bekam die Quittung für ihre Koalition mit der Austeritätspartei PSOE. Auf sie entfielen nur noch sieben von ehemals elf Prozent der Stimmen, was zu einem Verlust von sieben Abgeordneten führte – nun verfügt sie nur noch über eine Fünferfraktion im Parlament. Sie wurde für die verheerende Politik der letzten Jahre verantwortlich gemacht. Mehr noch als die PSOE, da sie eigentlich auf der Seite der Beschäftigten, der Jugend und der Armen hätte stehen müssen. Doch in deren Augen hat sie darin versagt. Sie wandten sich enttäuscht ab, doch statt zu resignieren, erscheint Podemos als Hoffnungsschimmer auf der Wahlebene. Denn eine regionale Struktur hatte die 2014 gegründete neue linke Kraft noch gar nicht richtig etabliert. Die vorgezogenen Wahlen trafen sie unvorbereitet. Als Spitzenkandidatin musste die erst im letzten Jahr ins Europaparlament gewählte Teresa Rodríguez von ihrem Amt abgezogen werden. Auch einen regionalen Vorsitz gab es noch nicht in Andalusien. Nichts desto trotz erreichte die neue Formation in einem Sprung 14,8 Prozent der Stimmen und damit 15 Deputierte. Dies ist für den Parteivorsitzenden Pablo Iglesias nur die erste von vielen Wahlen auf seinem Weg in den Regierungssitz des spanischen Staates. In Andalusien hört sich Podemos zwar an, was die PSOE in ihrer Gesprächsrunde zu sagen hat, doch wird eine gemeinsame Regierung ausgeschlossen. Dazu müsse sich die PSOE schon um 180 Grad wenden, denn Regierungskoalitionen mit Kürzungsparteien seien ausgeschlossen. Dies ist eine Warnung für DIE LINKE in Deutschland und ihre Schwesterparteien in Europa, weist aber auch auf die Möglichkeiten hin.
Nach zwei Regierungsbeteiligungen in Italien ist die Rifondazione Comunista beinahe völlig von der Bildfläche verschwunden. In Deutschland büßt die LINKE ein, wo sie Teil eines Bündnisses mit SPD ist. Die Vereinte Linke im spanischen Staat erfährt gerade das selbe. Das ist die Warnung.
Mit der Hoffnung, etwas anders zu machen und nicht Teil des Establishments zu sein, ohne die Last der alten Parteien und des politischen Establishments hat Podemos der Kürzungspolitik und dem reinen Parlamentarismus mit Orientierung auf Regierungsbeteiligung eine Absage erteilt. Das ist die Chance.
Doch der Weg von Podemos ist alles andere als klar. Werden sie ihr Programm weiter aufweichen und es SYRIZA in Griechenland gleich tun? Was wird ihre Politik sein, wenn Pablo Iglesias und sein Führungsgremium in Regierungsverantwortung kommen? Die lokalen Asambleas (Versammlungen) in den Stadtteilen und die Offenheit strahlen gerade eine große Attraktivität auf AktivistInnen aus allen Bereichen aus. Jedoch wird sich dies in das Gegenteil verkehren, wenn keine demokratischen Strukturen etabliert werden. Ohne eine transparente und verantwortliche Führung, die jederzeit wähl- und abwählbar ist, wird es der Basis nicht gelingen, eine Anpassung der führenden Akteure zu verhindern und das Programm zu korrigieren. So wird die Top-Down-Struktur von Podemos möglicherweise zu einem realen Hindernis bei der Entwicklung lokaler AktivistInnen und demokratischen Basisgruppen, die eine breite Bewegung und einen Brückenschlag zu den kämpferischen Teilen der Gewerkschaften organisieren können.