Interview mit Eric Byl, gewerkschaftspolitischer Sprecher der belgischen LSP-PSL (Linkse Socialistische Partij – Partie Socialiste de Lutte) zur Streikbewegung in Belgien.
Das Interview führte Marc Treude.
Nach dem Höhepunkt der Streikbewegung am 15. Dezember schien es ruhig zu werden in Belgien, es gab Verhandlungen zwischen Arbeitgebern, Regierung und den Gewerkschaften. Wie ist die Lage heute, was haben die Verhandlungen ergeben?
Nach dem größten Generalstreik in Belgien seit 1986 hatten es die Arbeitgeber verstanden, dass sie verhandeln mussten, um eine weitere Welle von noch massiveren Streiks zu verhindern. Sie haben versucht auszuloten, welche Zugeständnisse nötig wären, um die Gewerkschaften zufrieden zu stellen. Zwei Punkte waren aus ihrer Sicht ausschlaggebend. Erstens die Frage des Lohnstopps, der von der rechten Regierung erlassen wurde. Dabei handelt es sich um das Aussetzen der automatischen Angleichung der Löhne an die Teuerungsrate. Die Arbeitgeber boten an, über eine jährliche Erhöhung von 0,85 Prozent zu verhandeln. Punkt zwei war die Tatsache, dass die Christdemokraten als Teil der Regierungskoalition die Meinung vertraten, dass die Kürzungen „nicht ausgewogen“ seien – dies geschah unter dem massiven Druck der christlichen Gewerkschaften. Vor diesem Hintergrund deuteten die Arbeitgeber an, sich eine neue Form der Vermögenssteuer vorstellen zu können. Die konkreten Pläne dafür laufen allerdings eher auf eine Mischung aus der Einführung einer gewissen Vermögenssteuer sowie der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Erhöhung ökologischer Steuern hinaus. Im Gegenzug zu diesen sogenannten Zugeständnissen sollten die Gewerkschaften aber die bereits umgesetzten Kürzungsmaßnahmen der Regierung akzeptieren.
Und wie haben die Gewerkschaften auf dieses sogenannte Angebot reagiert, es gab ja eine lange Verhandlungspause?
Beide großen Gewerkschaftsverbände haben klargestellt, dass sie dieses Angebot nicht akzeptieren werden, und ein Vier-Punkte-Programm aufgestellt, hinter das sie nicht zurückfallen werden. Erstens die Ablehnung des Lohnstopps und damit keine Aussetzung des Inflationsausgleichs. Zweitens die Beibehaltung der sozialen Sicherungssysteme, also keine Rentenkürzungen und keine Erhöhung des Renteneintrittsalters von jetzt 65 auf 67 Jahre. Drittens keinerlei Einschränkungen des Streikrechts im Öffentlichen Dienst sowie keine Privatisierungen. Und viertens eine weitgehende Steuerreform mit Entlastung der Löhne und Gehälter, und der Belastung von Reichtum und Vermögen.
Am 30. Januar endeten die Verhandlungen zwischen den Tarifparteien. Jetzt gehen die Beratungen in den gewerkschaftlichen Gremien weiter. In den sozialistischen Gewerkschaften, mit immerhin 1,2 Millionen Mitgliedern, wurden die Angebote der Arbeitgeber bereits am nächsten Tag abgelehnt. Vor allem die AC und die ACOD waren da an erster Stelle. Die christlichen Gewerkschaften, die 1,6 Millionen Mitglieder vertreten, warten ab, was die sozialistischen Partner machen. ACV und CSC beraten ab dem 10. Februar. Bemerkenswert ist jedoch, dass sie bereits ihre Streikkassen aktiviert haben.
Wir mussten den Anti-Terror-Einsatz in Verviers erleben, und auch zum ersten Mal den Einsatz von Militär im Inneren. Hat dies nicht die Gewerkschaften in die Defensive gedrängt?
Vor dem Anti-Terror-Einsatz war die Regierung aus Liberalen, flämischen Nationalisten und Christdemokraten arg zerstritten über ihren weiteren Kurs. Nach den Anschlägen von Paris und dem Einsatz in Verviers allerdings rückte sie enger zusammen und versuchte, ein Einheitsgefühl in der Bevölkerung zu beschwören. Der Druck auf die Gewerkschaften war tatsächlich stark angewachsen, und es war klar, dass die Regierung unmittelbar nach dem Generalstreik bereit war, mehr zu geben, als sie jetzt angeboten hatten.
Wie wird es jetzt aus deiner Sicht weitergehen? Gibt es einen zweiten Aktionsplan?
Klar ist, es bestehen enorme Möglichkeiten für weiteren Widerstand. Wir haben als LSP-PSL sofort nach dem 15. Dezember weitere Vorschläge für einen zweiten Aktionsplan gemacht, vor allem mit der Losung für einen 48-stündigen Generalstreik. Bemerkenswert ist vor allem, dass unsere Vorschläge, die wir bereits im Sommer letzten Jahres gemacht hatten, von den Gewerkschaften fast eins zu eins umgesetzt wurden. Also dezentrale Streiks in den einzelnen Regionen, eine landesweite Demonstration in Brüssel, an der sich 150.000 beteiligt haben, und der landesweite Generalstreik am 15. Dezember. Der Druck an der Gewerkschaftsbasis war einfach enorm.
Ich bin ziemlich sicher, dass es in den nächsten Wochen zu einem zweiten Aktionsplan kommen wird, mit einer noch größeren Demonstration in Brüssel, vielleicht mit 200.000 Beteiligten. Dies würde die Regierung zu weitergehenden Verhandlungen zwingen. Das wäre auch der Gewerkschaftsführung recht, denn ein unbegrenzter Generalstreik wäre für sie nicht mehr zu kontrollieren und würde die Machtfrage in Belgien auf die Tagesordnung setzen.