Einkommenslücke hat sich vergrößert und sexuelle Diskriminierung am Arbeitsplatz greift um sich
Bei der Gala anlässlich des Mond-Neujahrsfests, die vom größten chinesischen Sender, dem „Chinesischen Zentral-Fernsehen“ (CCTV) ausgestrahlt wird, handelt es sich angeblich um die meistgesehene Fernsehsendung der Welt. Sie wird live auf 189 staatlichen Kanälen ausgestrahlt, und obwohl die Einschaltquote zurückgeht, kommt diese Sendung auf über 600 Millionen ZuschauerInnen. Abgesehen davon ist dieses vierundhalbstündige Spektakel schamlos sexistisch. In diesem Jahr wurde die Sendung am 18. Februar übertragen und stellte nach Ansicht von FrauenrechtsaktivistInnen wie auch vieler anderer, die sich in den zahlreichen, streng kontrollierten „sozialen Medien“ Chinas zu Wort gemeldet haben, einen neuen Tiefpunkt dar.
von Vincent Kolo, www.ChinaWorker.info, Internetportal des „Committee for a Workers´ International“ // „Komitee für eine Arbeiterinternationale“ (CWI) für China und Südostasien (Die Sektion des CWI in Deutschland ist die SAV)
„Die Gala diskriminierte Frauen auf schamlose Art und Weise und machte sich auf ihre Kosten lustig. Wollen die Macher uns in imperiale Zeiten zurückversetzen, als Frauen ihre Füße abbinden mussten?“. Dies ist einer von tausenden wütenden Einträgen auf „Weibo“, der chinesischen Version von „Twitter“, nach der Ausstrahlung der diesjährigen Gala. Eine feministisch angehauchte Petition hat die Show als „Gift versprühend“ gebrandmarkt und darauf hingewiesen, dass darin 44 frauenfeindliche Witze gemacht wurden. Alleinstehende Frauen wurden als „Überbleibsel“ und weibliche Beamte als „Goldgräber“ bezeichnet (angeblich immer dazu bereit, mit Vorgesetzten ins Bett zu steigen, um den eigenen Aufstieg zu befördern). Diese Proteste sind der frische Beweis dafür, dass in China eine neue Generation von FrauenrechtsaktivistInnen aufkommt, die gegen häusliche Gewalt und Diskriminierung am Arbeitsplatz zu Felde zieht. In mehreren Städten haben Aktivistinnen Protestaktionen durchgeführt, wobei die Eingänge von Herren-Toiletten besetzt worden sind, um auf die mangelnde Anzahl sanitärer Einrichtungen und die ungleich längeren Schlangen für Frauen hinzuweisen. Dies – daran sei erinnert – geschieht unter einer Diktatur von Hardlinern, die bei jeder Art von Protest hart durchgreifen lassen.
Der Wirbel um die jährliche TV-Gala wirft ein grelles Licht auf ein wesentlich größeres Problem: Die soziale Lage der Frauen verschlechtert sich, weil es in China zu einer gesellschaftlichen Konterrevolution auf breiter Linie kommt. Dabei ersetzt der Kapitalismus die staatliche Planung und führt zu einer um sich greifenden Ungleichheit zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, den östlichen und den westlichen Regionen.
Einkommenslücke wird größer
„Die Marktwirtschaft hat seit den 1990er Jahren zu wachsender Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geführt“, so die feministische Autorin und Journalistin Zhang Lijia (in: „China File“, 11. Juni 2014). Dies schlägt sich in der größer werdenden Lücke zwischen Frauen und Männern nieder, eine Entwicklung, die internationalen Trends entgegenläuft. Weltweit betrachtet gleichen sich die Löhne von Frauen und Männern einander an, wenngleich Frauen weiterhin benachteiligt sind. Folgt man den Angaben der offiziellen Statistik, so haben Frauen in den Städten Chinas im Jahr 2010 im Durchschnitt 67,3 Prozent dessen bekommen, was Männer verdienen. 1990 waren es noch 78 Prozent. Auf dem Lande liegt der Prozentsatz bei lediglich 56 Prozent der männlichen Einkommen.
Weibliche Angestellte haben es mit einer regelrechten Flut aus sexistischem Gehabe und offener Diskriminierung zu tun. Sogar die „New York Times“ (Ausgabe vom 20. Februar 2015) stellt fest, dass „der Egalitarismus aus der sozialistischen Ära in den Büroetagen einem offenen Sexismus gewichen ist, in manchen Fällen noch verstärkt durch entsprechende Gesetze.“ Die Zeitung zitiert in diesem Zusammenhang die chinesische Feministin Feng Yuan: „Der Status der Frauen hat sich nicht gebessert, und in einigen Bereichen hat er sich stattdessen rückläufig entwickelt“.
Einige Fakten, die den Negativ-Trend verdeutlichen:
- Eine Umfrage aus dem Jahr 2010 hat gezeigt, dass 69 Prozent der Arbeitgeber bei der Neueinstellung von Personal Angaben zum Geschlecht machen, obwohl dies gesetzlich verboten ist. In Stellenanzeigen sind Angaben üblich wie: „Es bewerben sich bitte nur Männer“ oder „nur attraktive Frauen“.
- Im Weltmaßstab ist der Anteil von Frauen an der Arbeitnehmerschaft in China vergleichsweise hoch. Doch der Anteil von Frauen aus dem städtischen Raum an der Gesamtzahl der Beschäftigten ist von über 77 Prozent vor 20 Jahren auf heute 61 Prozent zurückgegangen.
- Ackerland befindet sich vornehmlich im Besitz von Männern, wobei weniger als ein Fünftel der Grundbesitzurkunden auch weibliche Namen erfassen. Im Falle einer Scheidung stehen Frauen oft mit leeren Händen da.
- Millionen ChinesInnen unterziehen sich kosmetisch-chirurgischen Eingriffen. In Peking sind mehr als 80 Prozent der PatientInnen im Bereich der plastischen Chirurgie Schülerinnen der gymnasialen Oberstufe bzw. Studentinnen – eine Tatsache, die zweifelsfrei mit dem enormen Druck auf dem Arbeitsmarkt in Verbindung steht. Dort werden über Stellenanzeigen allzu oft besondere Anforderungen an das äußerliche Erscheinungsbild gestellt.
Auf dem Arbeitsmarkt ist die Diskriminierung gegen Frauen bereits zum üblichen Phänomen geworden und findet sehr offen statt, obwohl dies von Gesetzes wegen illegal ist. Die Arbeitgeber zucken kaum mit der Wimper, wenn es darum geht, offen sexistische Stellenanzeigen freizuschalten, weil derart reaktionäre Verhaltensmuster mittlerweile gesellschaftlich akzeptiert werden. Eine Umfrage aus dem vergangenen Jahr, die die „Volksuniversität Peking“ durchgeführt hat, brachte Folgendes zutage: Schickt man eine willkürlich zusammengesetzte Bewerbergruppe mit gleichlautendem Lebenslauf aber beiderlei Geschlecht zur Arbeitsvermittlung, so haben die männlichen Absolventen eine um 39,2 Prozent bessere Chance als weibliche, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Die entsprechende Zahl bei den Doktoranden liegt demnach sogar bei 53 Prozent. Wie in jeder Gesellschaft kommen solche Verhaltensmuster, die den Umgang mit den Geschlechtern betreffen, immer von ganz oben, von der herrschenden und tonangebenden Schicht. Das bestätigen die jährlichen Fernsehshows anlässlich des Mond-Neujahrfestes auf CCTV.
Sogar die Tageszeitung „People’s Daily“ veröffentlichte eine Fotoserie mit dem Titel „Wunderschöne Szenerie“, bei der weibliche Hostessen gezeigt wurden, die 2012 beim 18. Parteitag der herrschenden „>Kommunistischen< Partei Chinas“ (KPC) gearbeitet haben. Die unmisverständliche Aussage ist, dass Frauen Dekoration sind, während die Männer die Entscheidungen treffen. Der sozialistische Blogger Wang Linyu meint, der Kapitalismus profitiere von der Idee der „übriggebliebenen Frauen“ und zieht seinen Nutzen aus der Sorge sowie dem Druck in der Familie, wenn eine Frau keinen Partner findet. In China gibt es mittlerweile mehr als 100 Singlebörsen und allein im ersten Quartal des Jahres 2014 wurde dieser Markt mit 490 Millionen Yuan (~ 78 Millionen US-Dollar) bewertet, so „Bloomberg Businessweek“ (18. August, 2014). „Sie versuchen die sogenannten übriggebliebenen Frauen zu stigmatisieren und zu marginalisieren, um noch mehr Geld mit ihnen zu verdienen“, so Wang. „Damit zusammen hängt der Trend, dass die >Schulen für weibliche Kunstfertigkeit< (女德学堂) einen wahren Boom erleben. Dort werden die feudalen Moralvorstellungen vermittelt, um auf diese Weise der kapitalistischen Gesellschaft von heute zu dienen“.
Revolution und Konterrevolution
In der maoistischen Ära, als die staatliche Planung tonangebend war, wurde eine derart eklatante Diskriminierung von Seiten des Staates festgestellt, der – trotz der Schattenseite aus überbordender Bürokratie – alle Arbeitsplätze vergeben hat und von daher einschritt, um die Kluft zwischen männlicher und weiblicher Arbeit, bei den Löhnen und hinsichtlich der gesellschaftlichen Stellung zu verringern. Abgesehen von der Tatsache, dass es Staatsbesitz und Regulierung gab, wurde von den Frauen ein enormer sozialer Druck aufgebaut, was eine signifikante feministische Strömung innerhalb der chinesischen Linken und der radikalisierten Bevölkerung widergespiegelt hat. Man wollte die alten, feudal-patriarchalen Strukturen loswerden. 1950 verbot die Regierung Mao dann arrangierte Ehen und das System der Konkubinen (Nebenfrauen). Scheidungen wurden erleichtert – für beide Geschlechter. Das war eine der heftigsten Entscheidungen, die je unternommen wurden; mit sehr grundlegenden Folgen für die alten maritalen Beziehungsstrukturen.
Diese Veränderungen führten zwar nicht zur vollen Gleichberechtigung der Frau. Auch konnte von „Sozialismus“ keine Rede sein, wie von der KPC behauptet. Doch trotz der diktatorischen Machtausübung Maos – was ein diametraler Widerspruch zu echtem Sozialismus ist – öffnete die alles entscheidende Existenz einer in Staatsbesitz befindlichen und geplanten Wirtschaft eine wichtige Tür für die Emanzipation der Frau. Diese sprichwörtliche Tür sollte durch die sich anschließende kapitalistische Konterrevolution wieder geschlossen werden.
In der Produktion und der Fabrik ist das Phänomen der Geschlechterdiskriminierung oft noch stärker verbreitet als im Büro oder der Verwaltung. Eine Untersuchung von mehr als einer Million Stellenanzeigen im Internet ergab, dass insgesamt mehr als zehn Prozent dieser Anzeigen offen benennen, Männer würden bevorzugt eingestellt. Bei den Anzeigen für Jobs, für die kein höherer Abschluss erforderlich ist, lag der Anteil sogar bei 23 Prozent.
Weibliche Beschäftigte
Sowohl bei Bürojobs als auch im Falle von Fabrikarbeit werden Frauen dem Druck ausgesetzt, illegale „Nicht-Schwangerschafts“-Klauseln zu unterschreiben, Schwangerschaftstests durchführen zu lassen und sogar Zusagen zu unterschreiben, dass man nicht plant zu heiraten. Wenn eine Frau schwanger wird, dann ist es nicht selten der Fall, dass der Arbeitgeber ihr unangenehme und anstrengende Arbeiten zuweist oder ihr längere Arbeitszeiten aufbürdet. Auf diese Weise soll der Druck erhöht werden, damit sie von sich aus kündigt. Darüber hinaus macht sich die Befürchtung breit, die kürzlich seitens der Regierung vorgenommene Lockerung der „Ein-Kind-Politik“ (mehr Familien in den Städten soll erlaubt werden, ein zweites Kind zu bekommen) könne im Endeffekt negative Folgen für Frauen mit sich bringen und zu noch mehr Diskriminierung am Arbeitsplatz führen. Sexuelle Belästigung kommt in Fabriken noch offenkundiger vor als unter den Beschäftigten mit Angestellten-Status. In einer Umfrage aus dem Jahr 2013, die vom „Sunflower Women Workers Centre“ (einer Frauenrechtsorganisation) durchgeführt wurde, gaben 70 Prozent der Fabrikarbeiterinnen in der Metropole Guangzhou an, sie hätten bereits sexuelle Belästigung erlebt. 32 Prozent seien demnach schon Opfer unfreiwilligen Körperkontakts geworden und 25 Prozent würden obszöne Telefonanrufe oder Nachrichten erhalten.
Und dennoch zeigen die Streikbewegungen, zu denen es in den letzten Jahren gekommen ist, dass weibliche Beschäftigte in den Fabriken alles andere als die untertänigen Arbeitsbienen sind, die die Arbeitgeber gerne hätten. Die Anzahl der Streiks hat sich im Jahr 2014 gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Und nicht nur bei der großen betrieblichen Auseinandersetzung von Yue Yuen vor einem Jahr sondern auch in vielen kleineren Konflikten, die weniger Beachtung finden, standen gerade die Arbeiterinnen in erster Reihe. Der Arbeitskampf von Yue Yuen war der größte Streik in China seit drei Jahrzehnten, und die weiblichen Beschäftigten aus der Schuhproduktion stellten 70 Prozent der Streikenden. Das straft jedes Vorurteil Lügen, Frauen seien weniger entschlossen als ihre männlichen Kollegen. Diese Entwicklungen bieten Grund zur Hoffnung, dass die erwachsen werdende Frauenbewegung in China in der Lage ist, an den sich ankündigenden Kämpfen der Arbeiterklasse anzuknüpfen, um eine Kraft zu bilden, die das derzeitige System überwindet und die Wurzeln der Frauenunterdrückung zerstört – ein für alle Mal.