Meilenstein im Kampf für einen Tarifvertrag
Es war der bisher größte Streik und die erste standortübergreifende Streikversammlung bei Amazon Deutschland. Bis zu 2.500 Kolleginnen und Kollegen an sechs von acht Standorten legten in der Zeit vom 15.12. bis 24.12.2014 die Arbeit nieder. Mehr als 700 Amazon-GewerkschafterInnen versammelten sich am 17.12.2014 zu einer Streikversammlung am erstmals in den Streik einbezogenen Standort in Koblenz. Der Erfolg dieser Streikwelle gibt den GewerkschafterInnen bei Amazon die Zuversicht, dass der Weg zu einem Tarifvertrag, der vor ihnen liegt, nicht mehr so weit ist, wie der Weg der hinter ihnen liegt.
von Ursel Beck, Stuttgart
„Work hard, have fun, make history“ ist ein offizieller Firmenspruch von Amazon. Streikende machten für ihren Arbeitskampf Transparente mit den abgewandelten Sprüchen „Strike hard, have fun, make history“ und „Work hard, have fun, make Tarifvertrag“. „Vor 1 ½ Jahren hätte niemand geglaubt, dass wir heute an sechs Standorten streiken“, so ein ver.di-Vertrauensmann vom Amazon-Werk in Bad Hersfeld. Der Kollege berichtet, dass hier der Kampf für einen Tarifvertrag mit 15 Aktiven begonnen wurde. Am Montag, den 15.12.2014 war ver.di in fünf Werken in der Lage, einen mehrtägigen bundesweiten Streik zu führen. Ab Dienstag kam für zwei Tage erstmals das Werk in Koblenz dazu. Zweihundert ver.di-Mitglieder konnten von der jungen Belegschaft bereits vor dem Streik gewonnen werden. Hundert kamen durch den Streik dazu. Rund 1.100 Festangestellte, etwa 500 Dauerbefristete und um die 1.500 Saisonkräfte gibt es hier. Bei der Streikversammlung wird ein aktueller Krankenstand von 20% bekannt gegeben. Ob das was mit dem Streik zu tun hat, lässt sich schwer sagen, denn ein sehr hoher Krankenstand von 15 bis 20 % ist bei Amazon normal. Das verrät viel über die Arbeitsbedingungen bei Amazon.
Streikversammlung
Am Standort Koblenz wurde von ver.di eine Streikversammlung organisiert. In das vor dem Werksgelände aufgestellte Großzelt quetschten sich mehr als 700 Kolleginnen und Kollegen. Delegationen von Streikenden aus Bad Hersfeld, Rheinberg, Werne besuchten ihre Kolleginnen und Kollegen in Koblenz und beglückwünschten sie zu ihrer neu erlangten Streikfähigkeit. Es wurde berichtet, dass die streikenden Leipziger Kolleginnen und Kollegen an dem Tag Besuch von einer polnischen Delegation von Amazon-Gewerkschaftern bekamen. Die internationale Dimension des Kampfes bei Amazon wurde bei der Streikversammlung zusätzlich unterstrichen, durch die Information, dass bei dem Generalstreik in Belgien kurz zuvor kein Paket von Amazon gepackt und verschickt worden sei. Und es gab Kollegen mit CGT-Fahnen, die sie von streikenden Kollegen aus dem französischen Werk in Chalon erhalten hatten.
Streik zeigt Wirkung
Wenn von 10.000 Beschäftigten (ohne die fürs Weihnachtsgeschäft zusätzlich angeheuerten 10.000 Aushilfskräfte) 2.500 streiken, dann ist das eine Minderheit. Aber auch eine starke Minderheit kann was erreichen. Allen Streikenden bei Amazon ist klar, dass der Streik Folgen hat für Amazon und einen ökonomischen Druck aufbaut. Mehrmals wurde bei der Streikversammlung von verschiedenen Rednerinnen und Rednern darauf hingewiesen, dass mit den bisherigen Streiks schon was erreicht worden sei. Nach den ersten Streiks bei Amazon im Jahr 2013 wurde erstmals bei Amazon ein bisschen Weihnachtsgeld gezahlt. Seit Juni 2014 gibt es in allen deutschen Amazon-Werken Betriebsräte. In allen Werken wurden bzw. werden nun Klimaanlagen und zusätzliche Pausenräume eingebaut. Leiharbeit wurde zurückgefahren. Im Oktober hat Amazon eine „Lohnanpassung“ vorgenommen. Das sind alles nicht tariflich abgesicherte Zugeständnisse.
Tarifvertrag muss her
Es geht darum, einen Tarifvertrag für anständige Löhne, Zuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie geregelte Arbeitsbedingungen zu erkämpfen, oder wie die ver.di-Sekretärin Angela Bankert es bei der Streikversammlung ausdrückte, „das System Amazon zu knacken“. „Eure Arbeit ist es, die Amazon zum größten online-Händler gemacht hat“, so Angela Bankert. Sie erklärte weiter, dass es mit dem Streik nicht nur um gute Arbeit und gute Löhne, sondern auch um Respekt gegenüber den Mitarbeitern geht. Amazon-Beschäftigte fühlen sich miserabel behandelt. Dazu gehört das System von Befristungen. Immer wieder gibt es sogenannte „Ramp down“-Termine, bei denen hunderte befristet Beschäftigte vor die Tür gesetzt werden oder wenn man den Begriff „ramp down“ übersetzt, wie Vieh die Rampe hinuntergejagt werden.
Beschäftigte verlangen Respekt
Einen unmenschlichen Umgang empfinden die Beschäftigten auch im sonstigen Arbeitsalltag. Auf einem Plakat im Streikzelt mit der Überschrift „Das ärgert mich bei Amazon“ hat ein Kollege geschrieben: „dass man für doofes Vieh gehalten wird“. Und immer wieder taucht der Begriff Respektlosigkeit auf. Die Menschen werden nicht nur zu immer höherer Arbeitsleistung angetrieben, sondern auch total überwacht und stehen unter ständigem Rechtfertigungsdruck für alles, was sie tun und nicht tun. Ein Kollege berichtete mir, dass ein Kollege bei der Arbeit einen Herzinfarkt bekommen habe und ein anderer auf dem Nachhauseweg.
Die rheinland-pfälzische SPD-Arbeitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler war zur Streikversammlung gekommen, um sich als Vermittlerin für Gespräche in „kleiner Runde“ zwischen Amazon und ver.di anzubieten und berichtete auch, dass sie Amazon eine Auszeichnung überreicht habe als Inklusionsbetrieb, der überdurchschnittlich viele Behinderte beschäftige. Ein Kollege erwiderte, dass die Behinderten es satt hätten, gnadenlos ausgebeutet zu werden. Es kommt nicht von ungefähr, dass die meisten Gehörlosen im Koblenzer Werk bei ver.di organisiert sind und sich am Streik beteiligen. Durch Gebärdendolmetscher können sie voll an der Streikversammlung teilhaben.
Menschen aus über 50 Nationen würden bei Amzaon arbeiten, wird bei der Streikversammlung in Koblenz berichtet. „Wir sind gegen Rassismus“, erklärte ein Vertrauensmann bei der Streikversammlung. Und bei der Essensausgabe von „Workers beer company“ steht eine Box für Spenden für Flüchtlinge. Dadurch wird deutlich gemacht: Die Grenzen verlaufen nicht zwischen Nationalitäten, sondern zwischen Reich und Arm und gemeinsamer Kampf gegen die da oben ist angesagt.
Solidarität durch Oskar Lafontaine
Höhepunkt der Streikversammlung in Koblenz war der Auftritt von Oskar Lafontaine, der von den ver.di-Vertrauensleuten eingeladen worden war. In Bezug auf die aktuelle Debatte ums Streikrecht sagte er, man wolle uns weismachen, dass zu oft und zu hart gestreikt würde. „Ich bin da ganz anderer Meinung. Es wird zu wenig in Deutschland gestreikt.“ Er wies darauf hin, dass der Kuchen, den es zu verteilen gibt, zwar immer größer werde, die Arbeitnehmer aber einen immer kleineren Anteil bekämen und die Reallöhne seit dem Jahr 2000 sinken würden. Und zur Demokratiedebatte erklärte er, dass ein Gesellschaft dann demokratisch sei, wenn sich die Interessen der Mehrheit durchsetzen. „Wenn Löhne sinken, gibt es keine Demokratie“ und „Wer gegen Tarifverträge ist, ist gegen Demokratie“. Er erklärte, dass das Eigentum der Unternehmer geraubtes Eigentum sei, weil es nicht durch eigene Arbeit entstehe. Gestohlenes Eigentum der Unternehmer müsse zurückgegeben werden. Anstatt die Überführung der großen Unternehmen in Gemeineigentum zu fordern, schlug Lafontaine die Umwandlung von Firmenvermögen in Belegschaftsaktien vor. Die Ironie der Sache in diesem Fall ist, dass die Ausgabe von Belegschaftsaktien zum System Amazon gehört. Dennoch war der Auftritt von Lafontaine eine großartige Unterstützung der Streikenden durch die Partei DIE LINKE. Zusätzlich hatte der Kreisverband der LINKEN einen Flyer gemacht und war mit einem Infostand bei der Streikversammlung präsent. In Stuttgart hatte der Ortsverband die LINKEN Bad Cannstatt dafür gesorgt, dass der Streik an die über tausend Montagsdemo-TeilnehmerInnen am 15.12. bekanntgegeben und zur Solidarität mit den Streikenden und zur Unterschrift der bundesweiten Postkartenaktion aufgerufen wurde. Über 100 ausgefüllte Postkarten wurden über einen Infostand noch bei der Kundgebung wieder eingesammelt und dann als Paket an Amazon-Chef Ralf Kleber verschickt. Um die 700 Postkarten wurden bei der Montagsdemo verteilt.
Amazon hinterzieht Steuern
Bei der Streikversammlung wurde auch die von Amazon betriebene Steuerhinterziehung skandalisiert. Ein ver.di-Vertrauensmann forderte, dass die Milliardengewinne, die hier erwirtschaftet werden, auch hier versteuert werden müssen. Amazon zahlt zwar kaum Steuern, ist aber gewieft beim Kassieren von Subventionen. Allein für die Ansiedlung des Werkes in Leipzig soll der Konzern 13 Millionen Euro erhalten haben. Hinzu kommen Eingliederungszuschüsse von JobCentern und staatliche Zuschüsse für die Einrichtung von Behinderten-Arbeitsplätzen.
Es gehört zur Firmenstrategie, sich in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit anzusiedeln, Politiker der Region zu umgarnen und durch ein System von „hire and fire“ Beschäftigte so einzuschüchtern, dass sie sich nicht wehren, sich nicht organisieren und nicht streiken sollen. Diese Strategie wird durch die Streiks bei Amazon ernsthaft herausgefordert.