Jugendlichen ist durch die Mietpreisbremse nicht geholfen
Der folgende Artikel ist die Langfassung der Jugendseite der aktuellen Solidarität – sozialistische Zeitung.
Das Wintersemester 2014/15 hat begonnen und bundesweit sind hunderttausende Studierende auf Wohnungssuche. Der kapitalistische Wohnungsmarkt hat außer explodierenden Mietpreisen nicht viel anzubieten. Die Mietpreisbremse der Bundesregierung schafft dort keine Besserung. Im Gegenteil: Die Mietpreise waren noch nie so hoch wie heute, noch nie hat das Problem so viele Menschen betroffen wie jetzt.
von Sarah Moayeri, Berlin
Mangel an Wohnheimen
Mit dem Beginn des Wintersemesters zeigt sich wiedereinmal, dass menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnrum für Studentinnen und Studenten nicht zur Verfügung gestellt wird. Stattdessen müssen sie bundesweit in Containern, Turnhallen oder Zelten unterkommen oder sind durch Nebenjobs einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt, um Wuchermieten bezahlen zu können. Die Studentenzahlen steigen, die Zahl der Wohnheimplätze stagniert. Während die Zahl der Studierenden in den vergangenen Jahren um fast 25 Prozent auf heute 2,5 Millionen gestiegen ist, nahm die Zahl der staatlich geförderten Wohnheimplätze nur um 3 Prozent zu. 9% der Studierenden findet einen Wohnheimplatz, das Studentenwerk fordert 25 000 zusätzliche Plätze. Explodierende Mieten und Wohnungsknappheit schränken junge Menschen in ihrer Mobilität und Entscheidungsfreiheit massiv ein: Viele bleiben Zuhause wohnen, müssen ihre Vorstellungen von Studium oder Beruf aufgrund von finanzieller Not aufgeben. Dabei ist doch der Start in das Studium oder die Ausbildung ein wichtiger Schritt zur Selbstständigkeit und Emanzipation. Wie sollen sich Jugendliche in ihrer Persönlichkeit und Kreativität entfalten können, wenn sie ständig Rückschläge bei der Wohnungssuche erleben, ständig Demütigungen bei Massenbesichtigungen und WG-Castings ausgesetzt sind, oder auf engem Raum unter unzumutbaren Bedingungen die Zeit überbrücken müssen? JedeR vierte Studierende lebt bei den Eltern oder anderen Verwandten, jedeR Zehnte in einem Wohnheim. So wenige WohnheimbewohnerInnen gab es seit 1991 nicht. Die sich im Bau befindlichen und geplanten Studentenwohnheime werden zur Stabilisierung nicht ausreichen. Die am 10. Juni 2014 vorgestellte fünfte Allensbachstudie „Studiensituation 2014“ konstatiert eine „zunehmende Wohnungsnot“ und deutlich steigende Mietpreise auf dem freien Wohnungsmarkt. 81% der befragten Studierenden beklagen in einer Online-Umfrage, in ihrer Studienstadt gebe es zu wenige Wohnheimplätze.
Azubis gucken in die Röhre
Ähnlich sieht die Wohnungslage für Auszubildende aus. Der DGB veröffentlicht in seinem Ausbildungsreport von 2014, dass 71% der Azubis bei ihren Eltern oder anderen Verwandten wohnen, 46% geben dafür finanzielle Gründe an. Niedrige Ausbildungsvergütungen führen dazu, dass nur 28 Prozent der Azubis mit eigener Wohnung sich diese vom eigenen Gehalt leisten können. Der Rest lebt weiterhin in finanzieller Abhängigkeit.
Gentrifizierung der Innenstädte
Geringverdienende, oder eben Studierende ohne geregeltes Einkommen, also Menschen, die sich keine hochsanierten Luxuswohnungen leisten können, werden aus den Ballungszentren in Außenbezirke verdrängt, sodass erhebliche Fahrtkosten eine zusätzliche Belastung für sie darstellen. Außerdem werden bezahlbare Freizeitmöglichkeit, Kneipen, Bars und andere Treffpunkte für junge Leute abgebaut, die Stadtzentren dienen nur noch den Reichen.
Und keine Lösung ist in Sicht: Insgesamt fehlen 250 000 Wohnungen, während die Mietpreise rapide steigen. Deutschlandweit liegt der Mietpreisdurchschnitt bei 9,10€ pro Quadratmeter. Bei Modernisierungen dürfen 11% der Kosten auf die jährliche Miete draufgeschlagen werden. Dazu kommen Abzocken durch Immobilienmakler und bei den Nebenkosten. Das liegt zum einen an der Privatisierung des Energiesektors, andererseits ist laut Mieterbund jede 2. Nebenkostenabrechnung falsch, MieterInnen werden mutwillig abgezockt. Aus Spekulationsgründen stehen sehr viele Gewerberäume leer, das Angebot wird knapp gehalten, damit die Mieten weiter erhöht werden können.
Mietpreisbremse ist keine Lösung
Die rot-schwarze Mietpreisbremse, geplant für Anfang 2015, trügt. Bei Wiedervermietungen soll die Miete nicht höher als 10% über der ortsüblichen Preismarke liegen dürfen. Dabei läuft das mit dem Mietspiegel so ab: Eingerechnet werden nur Mietverträge aus den vergangenen 4 Jahren. Ältere, viel günstigere Verträge werden bewusst nicht berücksichtigt, der Mietspiegel wird also hochgerechnet. Weiterhin dürfen künftig Vermieter innerhalb von 4 Jahren maximal 15% mehr verlangen, statt 20% in 3 Jahren. Immer noch viel zu viel. Für Menschen mit geringem Einkommen wird die Miete auf Dauer nicht bezahlbar sein. Das beschlossene Paket bleibt außerdem eine Entscheidung der Länder und soll nur für bestimmte Regionen mit Wohnungsmangel gelten. Das bedeutet also, dass MieterInnen und Mieter keine Garantie haben, dass diese augenscheinlich regulierenden Maßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. Die Gesamtsituation wird das alles also nicht verbessern: MieterInnen mit weniger Geld werden weiterhin bei der Wohnungssuche benachteiligt sein, Vermieter werden andere Möglichkeiten finden, die Miete zu erhöhen; im Paket sind zum Beispiel keine Regeln für die Mietanpassungen nach einer Modernisierung vorgesehen.
Interessant ist, dass die Immobilienbranche die Einführung dieser Mietpreisbremse trotzdem mit aller Kraft zu verhindern versucht und damit ganz klar die Interessenverhältnisse offenlegt. Der Eigentümerverband Haus & Grund veröffentlichte ein juristisches Gutachten, in dem der Gesetzentwurf als „verfassungswidrig“ bezeichnet wird.
Im Kapitalismus ist die Wohnung eine Ware
„Verfassungswidrig“ ist hier nur die rücksichtslose Abzocke durch Vermieter. Es besteht keine Notwendigkeit zur Einführung einer Mietpreisbremse in dieser Form, sondern zur Einführung eines sofortigen Mietpreisstopps! Mieten sollten nicht mehr als die tatsächlichen Kosten enthalten.
Denn das alles passiert, weil der kapitalistische Wohnungsmarkt keine Rücksicht nimmt, keine Rücksicht nehmen KANN auf die Bedürfnisse der MieterInnen.
Wohnungsnot befördert Rassismus
Ein weiteres großes Problem ist in diesem Zusammenhang die Unterbringung von Flüchtlingen. Natürlich wird auch hier mit rassistischer Argumentation propagiert, es sei nicht genug Platz, nicht genug Geld für menschenwürdigen Wohnraum vorhanden. So werden Asylsuchende, Menschen, die alles verloren haben und Perspektiven für eine freie und sichere Zukunft brauchen, in soziale Brennpunkte abgeschoben, und in Zelten oder Kasernen untergebracht. Hier sind sie vollkommen isoliert und gleichzeitig rassistischer Hetze ausgesetzt. Rassismus zeigt sich hier genauso wie bei Wohnungsvermietungen: Teilweise werden sogar Bewerbungen nach den Nachnamen aussortiert.
Der Wohnungsmangel führt zu Selektion, zu unmenschlichen Ungerechtigkeiten.
„Kalles“ Fall mobilisiert
Wohnen ist und bleibt ein Menschenrecht, darauf haben einige Kampagnen und Bündnisse in den vergangenen Monaten aufmerksam gemacht. In vielen Städten haben MieterInnen angefangen, sich zu organisieren und zu protestieren. In Köln ist beispielsweise der Fall von „Kalle“ Gerigk bemerkenswert: 32 Jahre lang bewohnte er eine Dachgeschosswohnung im Agnesviertel und sollte im Februar zwangsgeräumt werden. Das konnten AktivistInnen durch eine Sitzblockade zunächst verhindert. Leider wurde durch massives Eingreifen der Polizei die Zwangsräumung im April trotzdem vollzogen. Es zeigt sich, dass im Kapitalismus nichts sicher, jeder Erfolg von kurzer Dauer ist. Trotzdem war die Aktion wichtig und notwendig. In Köln gibt es seitdem die Initiative „Recht auf Stadt“. Sie organisiert und unterstützt Proteste gegen Wohnungsmangel und Verdrängung. Die GenossInnen und MitstreiterInnen richten sich solidarisch gegen die Immobilienwirtschaft, gegen unzumutbare Wohnbedingungen und Zwangsräumungen. Sie haben dazu beigetragen, öffentliche Aufmerksamkeit für die Missstände auf dem Wohnungsmarkt zu erlangen. Kampagnen wie diese gilt es zu unterstützen, unser Widerstand muss noch viel breiter werden, um größere Erfolge erzielen zu können.
Aufgaben der LINKEn
Wir müssen den Zusammenhang von Mietpreisen und Kapitalismus erklären und sozialistisches Bewusstsein schaffen. Dabei kann die LINKE ein wichtiges Instrument zur Mobilisierung, vor allem von jungen Leuten sein. Wenn die Partei sich aktiv an Protesten und Volksbegehren beteiligt und positioniert, können wir zeigen, dass die Politik der Profitlogik nicht alternativlos ist.
Unser Recht auf unsere Städte verteidigen
An der herrschenden Unzufriedenheit gilt es anzuknüpfen. Linksjugend [’solid] fordert in einem Beschluss der Bundeskonferenz 2013 Sofortmaßnahmen gegen die herrschende Wohnungsnot. Dazu gehört das Verbot von Spekulation mit Wohnraum, das Ende von Privatisierungen, die Einführung einer Kostenmiete und insbesondere ein sofortiges Wohnungsbauprogramm. Daraus müssen Taten folgen.
Früher oder später werden alle von uns mit dem kapitalistischen Wahnsinn auf dem Wohnungsmarkt konfrontiert werden. Ein Grund, sich aktiv gegen dieses System zu wehren. Wohnungen dürfen keine Ware sein. Wichtig ist, dass wir als MieterInnen selbst entscheiden können, wie und wo wir wohnen, wie wir unsere Städte gestalten wollen. Damit wir der Willkür des Wohnungsmarktes etwas entgegensetzen können, müssen wir unsere Kräfte vereinen. Wir haben nichts zu verlieren, als unsere Ketten. Zum Beispiel jene, die uns zwingen, auf den Ort, an dem wir gerne leben möchten, zu verzichten.