Interview mit Philip Stott, Sprecher der Sozialistischen Partei Schottlands (SPS) zur Situation nach dem Unabhängigkeitsreferendum
Die Volksabstimmung zur Unabhängigkeit Schottlands ging verloren. Du sagst nun, dass die Gewinner zu Verlierern wurden und die Verlierer die eigentlichen Gewinner sind. Was meinst Du damit?
Obwohl sie das Referendum verloren hat, ist die Schottische Nationalpartei (SNP) von 26.000 auf ungefähr 90.000 Mitglieder angewachsen. Das sind zehntausende radikalisierte Menschen, die meisten aus der Arbeiterklasse, die für Unabhängigkeit gestimmt hatten und nun die SNP als ein Instrument betrachten, um den Kampf für Unabhängigkeit, aber auch gegen die Austeritätspolitik des politischen Establishments, das für eine “Nein”-Stimme eintrat, fortzusetzen. Auf der anderen Seite sind die Unterstützer der “Better together”-Kampagne gegen die Unabhängigkeit bestehend aus Labour, den konservativen Tories und den Liberaldemokraten mit einem Zusammenbruch ihrer Unterstützung in Schottland konfrontiert. Besonders stark betroffen ist die Schottische Labour Partei, die einen hohen Preis dafür zahlt, dass sie die Angst-Kampagne gegen eine Unabhängigkeit Schottlands voran getrieben hatte. Gerade die Arbeiterstädte haben mehrheitlich für die Unabhängigkeit gestimmt. Dort war Labour in der Vergangenheit stark. Nun werden sie von vielen als die “roten Tories” betrachtet. Meinungsumfragen zufolge wird Labour ihre Mehrheit an schottischen Abgeordneten im Londoner Parlament bei den Wahlen im Mai verlieren. Alle diese Sitze würden an die SNP gehen. Also sind die Gewinner offensichtlich die Verlierer und umgekehrt.
Du wirfst der SNP aber vor, sich gar nicht grundlegend von Labour zu unterscheiden. Warum?
Die SNP verurteilt zwar die von der konservativ-liberalen Koalition in London beschlossenen Austeritätsmaßnahmen, setzt sie aber in Schottland, wo sie die Regionalregierung stellt, alle um. Das hat zu Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst, Kürzungen bei kommunalen Dienstleistungen und Lohnkürzungen für Beschäftigte des öffentlichen Sektors geführt. Auch in den Kommunalparlamenten, in denen die SNP die Kontrolle hat, werden Kürzungen beschlossen. So geschehen kürzlich in Dundee, wo der SNP-geführte Stadtrat Kürzungen von acht Millionen Pfund beschlossen hat und im schottischen Parlament hat die SNP nur einen Monat nach der Volksabstimmung Kürzungen in Höhe von 500 Millionen Pfund zugestimmt. Die 1,6 Millionen Stimmen für Unabhängigkeit waren aber auch eine Revolte der arbeitenden Bevölkerung gegen Austerität und das politische Establishment. Mit ihrer Zustimmung zu Kürzungsmaßnahmen verrät die SNP diese Menschen. Wir fordern stattdessen, dass Kommunen und das schottische Parlament keine Kürzungen umsetzen, sondern Haushalte beschließen sollen, die Arbeitsplätze und öffentliche Dienstleistungen schützen. Gleichzeitig sollten diese zusammen mit den Gewerkschaften und der gesamten Arbeiterklasse eine Massenkampagne organisieren, mit dem Ziel das Geld, welches Schottland durch die Regierung in Westminster gestohlen wurde, zurückzubekommen. Wenn SNP und Labour dazu nicht in der Lage sind, zeigt das umso mehr die Notwendigkeit einer neuen Arbeiterpartei auf.
Aber könnte ein von der SNP geführtes unabhängiges Schottland nicht einen anderen Weg einschlagen, weil es nicht mehr aus Westminster zu Kürzungen gezwungen werden?
Das Problem ist, dass die SNP eine Unabhängigkeit Schottlands im Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse anstrebt. Wir sind eingetreten für ein Ja zur Unabhängigkeit und haben argumentiert, dass diese dann genutzt werden sollte, um die wichtigsten Bereiche der Wirtschaft in öffentliches Eigentum zu überführen, die Kürzungen zurückzunehmen und ein unabhängiges, sozialistisches Schottland aufzubauen. Eine sozialistische Regierung könnte mit einem solchen Programm tatsächlich das Leben von Millionen Menschen verbessern und der Armut und Ungleichheit ein Ende machen. Gleichzeitig treten wir dafür ein, dass ein unabhängiges, sozialistisches Schottland eine sozialistische Konföderation mit England, Wales und Irland eingehen sollte, als Schritt zu einem sozialistischen Europa. Denn Sozialismus in einem Land kann es nicht geben. Die SNP aber verspricht den Konzernen Steuererleichterungen, will an Kürzungen festhalten und plant eine Währungsunion mit dem Rest des Vereinigten Königreichs. Das käme einem Austeritätspakt gleich, wie der Euro einer ist, der Schottland langfristig an eine Kürzungspolitik gebunden hätte. Eine SNP-Regierung in einem unabhängigen Schottland hätte einfach mit Austeritätspolitik weiter gemacht, wie alle kapitalistischen Regierungen international.
Viele linke Kräfte unterstützen nun die Idee alle Pro-Unabhängigkeits-Kräfte für die Parlamentswahlen im Mai 2015 zu vereinen. Die Socialist Party Scotland ist dagegen. Was ist Euer Gegenvorschlag?
Die SPS wird im nächsten Jahr als Teil eines Wahlbündnisses zusammen mit der Eisenbahnergewerkschaft RMT und anderen linken Kräften antreten: der Trade Union and Socialist Coalition (TUSC). TUSC ist ein Pionierprojekt für eine politische Vertretung der Arbeiterklasse. Unsere Kandidaten lehnen jede Art von Kürzungen grundsätzlich ab, treten für einen Mindestlohn von zehn Pfund ein, lehnen Privatisierungen ab und fordern die Überführung in Gemeineigentum der wichtigsten Industrien, Einrichtungen und des Transportwesens. TUSC wird einhundert Kandidatinnen und Kandidaten aufstellen, was die größte Kandidatur links von Labour in der Geschichte darstellen wird. Viele andere schottische Linke wollen hingegen ein Wahlbündnis mit der SNP schließen. Das würde aber in der Konsequenz den Kampf gegen Austeritätspolitik und für die sozialen Interessen der Arbeiterklasse in die Zukunft verschieben und käme einer Unterstützung für kapitalistische Unabhängigkeit gleich.
Wir wollen eine Einheit der sozialistischen Kräfte und der Kräfte aus der Arbeiterklasse, einschließlich der Gewerkschaften, in einer neuen Arbeiterpartei, die für Unabhängigkeit eintreten wird, aber auch den Kampf gegen Kürzungspolitik führen und eine Alternative zu allen pro-kapitalistischen Parteien darstellen wird, einschließlich der SNP.
Jetzt die SNP zu unterstützen, bedeutet den Fehler zu wiederholen, der in der Geschichte leider allzu oft gemacht wurde, nämlich den Kampf für Sozialismus in zwei Etappen aufzuteilen und zu behaupten, dass der Kampf für Sozialismus erst nach der ersten Etappe, dem Erreichen der Unabhängigkeit Schottlands, beginnt. Diese Logik hat schon zu vielen Niederlagen geführt und in der Konsequenz den Nationalismus gestärkt und den Sozialismus geschwächt. Durch den Wahlantritt von TUSC können wir einen Beitrag dazu leisten, dass der Kampf gegen den Kapitalismus und die Kürzungspolitik auch in den nächsten Monaten fortgesetzt wird.
Das Interview führte Sascha Stanicic. Eine Kurzfassung erschien am 12. Dezember 2014 in der Tageszeitung junge Welt.