Proteste aufgrund der verschwundenen Studierenden
Dieser Artikel erschien zuerst am 4. Dezember auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net
Mit den Familien der vor zwei Monaten verschwundenen 43 Studierenden in der ersten Reihe sind am 20. November tausende Menschen durch Mexico-Stadt gezogen. Mit ihrem Protestmarsch forderten sie die Regierung auf, Antworten zu liefern und endlich zu handeln.
von Dave Carr
In einem Land, in dem der sogenannte „Krieg gegen Drogen“ in den letzten zehn Jahren offensichtlich gescheitert ist, mehr als 100.000 Menschen umgebracht worden sind und weitere 20.000 als vermisst gelten, schweißt das Schicksal der 43 Studierenden die Bevölkerung gegen Gewalt und die Korruption in der Politik zusammen.
Ein Journalist beschrieb die Lage wie folgt: „Wir haben es mit der schwerwiegendsten Krise zu tun, die das Land in den letzten 20 Jahren erlebt hat. Es ist eine Form von Winterschlaf, in der alles marode geworden zu sein scheint: die Regierung, die Parteien, die Wirtschaft und so weiter. Die Geduld mit [dem mexikanischen Präsidenten] Peña Nieto geht zu Ende.“
Neben der Empörung der „einfachen“ MexikanerInnen gegenüber dem Polit-Establishment sorgt ein neuer Skandal für zusätzlichen Zündstoff. Es geht dabei um die Frau des Präsidenten, Angelica Rivera, deren Anwesen sieben Millionen US-Dollar gekostet und das sie Berichten zufolge mit Hilfe eines Kredites erworben hat, der ihr von einem staatseigenen Unternehmen gewährt worden ist. Auch die Wut über die zunehmende soziale Ungleichheit in Mexiko hat die Proteste angeheizt.
Der Überfall
Es war am 26. September, als ein Bus mit Lehramtsstudierenden aus Ayotzinapa auf dem Weg zu einer Protestaktion war, bei der es thematisch um das Problem diskriminierender Einstellungspraktiken und die Finanzierung von Hochschulen im ländlichen Raum ging. Dieser Bus ist von der Polizei gestoppt worden, die auf Anweisung des Bürgermeisters von Iguala, Jose Luis Abarca, handelte.
Sechs Studierende wurden von der Polizei noch am Ort des Geschehens erschossen, 43 weitere von ihnen wurden örtlichen Drogenbanden übergeben, die sie – so die Angaben der Behörden – dann ermordet und verbrannt haben sollen.
Die Behörden sagen, dass der Bürgermeister von Iguala die Stadt wie einen lokalen Gutsbesitz geführt hat und im Sold der Drogenbanden stand. Er hatte die Polizei angewiesen, die Studierenden aufzuhalten, weil diese vorhatten, eine Veranstaltung zu stören, bei der die Frau des Bürgermeisters eine Rede halten wollte. Sowohl der Bürgermeister als auch seine Ehefrau entzogen sich dann der Festnahme und waren flüchtig.
Gerechtigkeit?
Wegen der Ermordung und Entführung sind über 70 Personen festgenommen worden. Weil aber tausende ähnlich gelagerte Fälle weiterhin ungeklärt sind, zweifeln viele daran, ob die Behörden und Institutionen für Gerechtigkeit sorgen werden.
Bei den Protesten wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass es zwei Wochen gedauert hat, bis Mexikos Staatsoberhaupt sich überhaupt zu einer Erklärung zu den verschwundenen Studierenden bemüßigt sah. Felipe de la Cruz, der Vater eines der Vermissten, hat die Reaktion der Regierung folgendermaßen kritisiert: „Sie versuchen uns auszutricksen. Sie sorgen nicht für eine angemessene Suchaktion“.
Wie viele Gebiete in Mexiko, muss auch der Bundesstaat Guerrero in der jüngeren Vergangenheit auf eine Geschichte verweisen, die von politisch motivierter Gewalt bestimmt ist. Studentische AktivistInnen, die von den Behörden als links-subversive Elemente und von der organisierten Kriminalität als Bedrohung wahrgenommen werden, sind schon häufig einfach niedergeschossen worden.
Wegen des Versagens von Regierung und Polizei, die Bandenkriminalität in den Griff zu bekommen, sind in einigen Landesteilen Bürgerwehren wie Pilze aus dem Boden geschossen. Von diesen Milizen wird der Polizei zur Last gelegt, mit kriminellen Banden zusammenzuarbeiten.
Die US-amerikanische Administration unter Obama hat sich zu den derzeitigen Protesten auffallend schlampig verhalten. Dabei haben sie und ihre Vorgängerregierungen doch Milliarden von Dollar investiert, um die Regierungen in Mexiko im „Krieg gegen Drogen“ zu unterstützen. Dies geschah übrigens, obwohl die „Global Commission on Drug Policy“ zu dem Schluss gekommen ist, dass „repressive Maßnahmen das Dorgenproblem nicht lösen werden“ und dass „der Krieg gegen Drogen nicht gewonnen worden ist und auch nicht gewonnen werden kann“. Fakt ist, dass der „Drogenkrieg“ der USA in Wirklichkeit dazu geführt hat, dass Gewalt weiter ein Mittel ist, das verschärft zum Einsatz kommt.
Gründe für die Gewalt
Gewalt durch Kriminelle gründet immer auch auf sozialer Ungleicheit, Armut und Korruption. Wenn angemessene Bildung und Arbeitsplätze fehlen, entsteht eine „verlorene Generation“ junger Menschen, die sich dazu verleiten lassen, für kriminelle Banden zu arbeiten.
Die Verbesserung der Lebensbedingungen junger Menschen hängt von umfassenden Reformen bei den staatlichen Ausgaben ab. Solche Reformen werden von kapitalistischen Politikern jedoch verhindert, die sich – im Gegensatz dazu – für den „schlanken Staat“ einsetzen. Sie betrachten die Aufgabe des Staates lediglich darin, dass dieser für die finanziellen Mittel sorgt, um die Aufrechterhaltung des Kapitalismus sicherzustellen.
Die Tragödie um die 43 Studierenden ist ein weitere Beleg dafür, dass die kapitalistische Gesellschaft in einer Sackgasse steckt. Diese Tragödie ist ein Beleg dafür, dass es eine sozialistische Politik durch eine sozialistische Regierung braucht.