Zum vierten Mal kündigte für den vergangenen Montag der Kasseler PEGIDA-Ableger KAGIDA einen Spaziergang an. Gegen etwa 80 Teilnehmer*innen der rechten Kundgebungen hatten bislang regelmäßig zwischen 300 und 500 Kassler*innen protestiert. Diesmal kündigte das „Bündnis gegen Rechts“ eine Demonstration für ein „weltoffenes Kassel“ an. Anstelle der erwarteten 1.000 Teilnehmer*innen kamen mehr als doppelt so viele. Am Ende beendete KAGIDA den Spaziergang vorzeitig. Abseits der Demonstrationen griffen Nazihools – und vermutlich auch autonome Nationalisten – Antifaschist*innen an. Den Oberbürgermeister hat an diesem Tag niemand gesehen und am Ende auch nicht wirklich vermisst.
Mehr als 2.000 Kasseler*innen demonstrieren für ein „weltoffenes“ Kassel
Trotz Regen und Vorweihnachtszeit versammelten sich bereits um 16 Uhr über 1000 Menschen zur Auftaktkundgebung des Kasseler „Bündnisses gegen Rechts“ auf dem Halitplatz. Bekanntlich benannt nach Halit Yozgat, der nicht unweit des Platzes vor etwa acht Jahren dem rechten NSU Terror zum Opfer fiel. Von hier aus zog eine Menschenmenge, die bald auf über 2000 Personen anwuchs, an der Kasseler Innenstadt vorbei zum Scheidemannplatz. Viele selbstgemalte Schilder gegen Rassismus und vor allem ein Meer verschiedener Gewerkschaftsfahnen prägten das Demonstrationsbild. Die Teilnehmer*innenzahl übertraf die Erwartungen des „Bündnisses gegen Rechts“ bei weitem. In ihren Reden machten vor allem die Gewerkschaften, wie der Betriebsratsvorsitzende von VW, Carsten Bätzold, auf die wachsende Kluft zwischen arm und reich aufmerksam, wodurch rassistische Scheinlösungen auf breitere Resonanz treffen würden. Deshalb müsse der Kampf gegen Rassismus mit dem für soziale Gerechtigkeit verbunden werden. Andere Redner*innen forderten ihrerseits ein buntes, vielfältiges Kassel, das keinen Platz für Rassismus bieten dürfe. Begleitet wurde die Veranstaltung mit Musik und Sprechchören.
KAGIDA bricht ab
Etwa 500 Demonstrationsteilnehmer*innen warteten nach der Kundgebung im Regen auf KAGIDA. Zunächst hatte sich das bekannte rechte Häufchen von etwa 80 Menschen versammelt und gewartet, bis etwa noch mal so viele ihrer Leute aus dem Hauptbahnhof offenbar von Außerhalb dazu kamen. Unter einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert und Sprechchören zogen die Rassist*innen los. Vor allem um den Ständeplatz herum fanden sich immer wieder Menschengruppen zusammen, die unüberhörbar und -sehbar KAGIDA zum Verschwinden aufforderten. Wohlwissend, dass wenig weiter außerdem eine gut organisierte Sitzblockade immer mehr Zulauf erhielt, gab KAGIDA auf und drehte um. Unter Polizeischutz machte sich die kleine Ansammlung auf den Heimweg. Dass viele von Ihnen in den Zug nach Thüringen und Göttingen einstiegen, zeigt abermals, dass KAGIDA bislang auf organisiertes rechtes Jubelvolk aus dem Umland angewiesen ist.
Nazis greifen Gegendemonstrant*innen an
Etwa 20 Nazihools zogen es währenddessen vor, abseits der angemeldeten Demonstration im Umfeld der Route herumzulungern. Während seit Wochen von Gegendemonstrant*innen, die sich abseits der Demo in Gruppen aufhalten, vielfach Personalien aufgenommen werden und vor zwei Wochen die Polizei teilweise Menschen daran hinderte auf den Veranstaltungsplatz zur Gegenkundgebung zu gelangen, ist es schon erstaunlich, dass eine größere Menschenmenge von Hools völlig ohne Beobachtung oder Polizeibegleitung agieren konnten. Und so kam es, wie es kommen musste: Auf Höhe der Karthäuserstraße griffen sie kurz nachdem die KAGIDA Demonstration ihren Marsch abgebrochen hatte, eine Gruppe Antifaschist*innen an. Den Angreifern wurde Paroli geboten, bis die Polizei einschritt. Die Nazis machten sich aus dem Staub. Vorläufig wurden sechs Antifaschist*innen festgenommen. Damit wurde abermals deutlich, wer im KAGIDA Umfeld agiert und deren „Spaziergänge“ als Auftakt für ihre Art von Politik benutzen: Nazischläger, denen kein Mittel fremd ist, um ihre Menschenverachtung in die Tat umzusetzen. Wie zu erwarten, hat sich KAGIDA von den rechten Angreifern nicht distanziert. Mehr noch: Zum Ende ihres Aufmarsches rannten einige von ihnen schumpfend und vermutlich frustriert auf eine Gruppe verbliebener Antifaschist*innen zu und wurden von der Polizei zum Umkehren veranlasst.
Und dennoch: Der Spuk ist nicht vorbei
KAGIDA hat sich abermals eine Schlappe eingeholt. Es machten nicht nur zwölfmal so viele Menschen über mehrere Stunden hinweg gegen Rassismus mobil, viele von ihnen taten das auch entschlossen, sodass KAGIDA eingeschüchtert von der Gegenwehr nach hundert Metern wieder kehrt machte. Dennoch verdoppelte sich – auch dank des rechten Jubelvolks von auswärts – die Zahl der rechten Demonstrant*innen über die vergangenen Wochen auf 160. Es ist also davon auszugehen, dass sich KAGIDA nicht entmutigen lassen wird und auch die nächsten Montage aufläuft. Wir werden uns dem rechten Haufen auch weiter in den Weg stellen.
Gleichzeitig erwecken die Mobilisierungen gegen KAGIDA viele Strukturen in Kassel zum Leben, die dafür sorgen können, dass wir bald gemeinsam den Spieß herumdrehen: Die rassistischen Proteste und die Vorurteile gegenüber Flüchtende und Migrant*innen nähren sich auch aus einer heraufziehenden sozialen Kälte vor dem Hintergrund einer Zunahme prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse und einem Aufklaffen der Schere zwischen Arm und Reich. Diese Probleme konnten bisher nicht noch nicht überall durch konsequente Gegenwehr von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen beantwortet werden. Auch wenn es dennoch Beispiele aus den prekären Beschäftigungsfeldern gibt, wo ordentlich Gegenwind organisiert wird. Daran gilt es sich zu orientieren. Anstatt wie KAGIDA den Schwächsten der Gesellschaft den Sündenbock für diese Verhältnisse zuzuschieben, stellt uns antirassistische Arbeit immer mehr vor die Herausforderung eine Bewegung gegen Sozialabbau, Lohnkürzungen und Umverteilungspolitiken von unten nach oben aufzubauen. Ein erfolgreicher Kampf für höhere Löhne und soziale Gerechtigkeit wird nur gemeinsam und unabhängig von der Herkunft Erfolg haben. Den Kampf um diese Themen dürfen wir nicht den Rechten überlassen. Das kommende Jahr bietet viele Möglichkeiten für die Entstehung einer solche Bewegung, unter anderem während der Kommunalwahlen, als auch bei kommenden Streikauseinandersetzungen wie bei den Erzieher*innen.