Eine sozialistische Alternative zum kapitalistischen Chaos ist nötiger denn je
2014 hat vielen Menschen Angst gemacht. Weltweiter Wirtschaftsabschwung, Bürgerkrieg in der Ukraine und Zunahme der Konflikte zwischen Russland und dem Westen, Vormarsch des „Islamischen Staats“, Krieg des Staates Israel gegen Gaza, Einzug der AfD ins Europaparlament und drei ostdeutsche Landtage, 15.000 auf Pegida-Demonstrationen in Dresden. So mancher mag angesichts dieser Entwicklungen gar nicht mehr die Tagesschau ansehen.
Doch es gibt auch andere Nachrichten: größter Generalstreik der Geschichte in Belgien gegen Regierungsangriffe auf Arbeiterrechte, kometenhafter Aufstieg der neuen linken Partei Podemos in Spanien, Erfolge für Mindestlohnkampagnen und linke KandidatInnen in den USA, Revolte gegen die Einführung von Wassergebühren in Irland, heldenhafter Widerstand gegen den „Islamischen Staat“ in Kobane, außerhalb von Dresden sind die „Gida“-Demonstranten überall mit deutlich mehr antirassistischen GegendemonstrantInnen konfrontiert, GDL-Streiks haben erste Erfolge erzielt, Amazon-Streiks wurden ausgeweitet.
Von Sascha Stanicic
Das sind die beiden Seiten der kapitalistischen Entwicklung im Jahr sechs nach der „großen Rezession“: Zerstörung und Widerstand. Die Zerstörung bringt nicht nur unsägliches Leid für Millionen von Menschen, sondern trägt in sich auch die Barbarei, vor der Rosa Luxemburg warnte. Der Widerstand trägt in sich das Potenzial, nicht nur der Zerstörung Einhalt zu gebieten, sondern auch eine neue Form des Wirtschaftens und Zusammenlebens zu entwickeln – gemeinsam statt gegeneinander, Kooperation statt Konkurrenz.
Ohne ein solches neues Wirtschaften und Zusammenleben wird die Zukunft im Kapitalismus für immer mehr Menschen auf dem Globus „Horror ohne Ende“ (Lenin) bedeuten. Das Jahr 2014 hat unmissverständlich deutlich gemacht, in welche Richtung die kapitalistische Entwicklung geht. Das sollte auch in Deutschland erkannt werden, wo es sich in den letzten Jahren ein wenig wie unter einer Käseglocke lebte. Die Krisen, die so viele andere Länder erschüttert haben, sind nicht an Deutschland vorbei gezogen – sie kreisen um das Land herum wie die Geier. Der weltwirtschaftliche Abschwung hat in Deutschland in der zweiten Jahreshälfte 2014 schon zu Stagnation geführt. Das kann sich zu einem Dauerzustand oder einer neuerlichen Rezession ausweiten. Dann werden die Mini- und Pseudo-Reformen der Großen Koalition vergessen sein und der Klassenkampf von oben, der seit der Agenda 2010 für viele Jahre mit voller Wucht geführt wurde, wird wieder verstärkt fortgesetzt werden. Denn dieser hatte nur vorübergehend an Intensität abgenommen. Das konnten sich die Kapitalisten leisten, weil sie so erfolgreich die Löhne und Arbeitsbedingungen von Millionen verschlechtern konnten.
Pegida
Pegida ist angesichts dieser Aussichten nicht nur ein Ausdruck der moralischen Verkommenheit von Teilen des (Klein-)Bürgertums, sondern auch eine, wenn auch weitgehend unbewusste, Vorbereitung dieser Schichten auf die Zukunft. Wenn die Verteilungskämpfe wieder zunehmen, soll die Ablenkungs- und Spaltungsmaschine schon warm gelaufen sein. Wenn deutsche Bosse wieder in größerem Stil entlassen und deutsche PolitikerInnen wieder die Axt an den Sozialstaat anlegen, sollen Unzufriedenheit und Wut auf die Schwächsten der Schwachen gelenkt werden: Flüchtlinge und migrantische ArbeiterInnen und Erwerbslose.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir nicht nur gegen Pegida und all die anderen Gidas auf die Straße gehen, sondern auch eine politische Alternative zu diesem rassistischen und rechten Wahnsinn aufbauen. Eine Alternative, die für gemeinsamen Kampf für soziale und demokratische Rechte steht, unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit. Eine Alternative, die nicht versucht, den Kapitalismus besser zu verwalten, als es die Kapitalisten selber können, sondern sich den so genannten Sachzwängen der Profitlogik verweigert und sich konsequent der Verteidigung der Lebensinteressen der einfachen Bevölkerung und der Natur verpflichtet. Eine sozialistische Alternative, die für wirtschaftliche Planung und Kooperation statt Marktkonkurrenz und Profitmaximierung steht.
Gewerkschaften
Gewerkschaften und LINKE tragen als Kräfte mit Massenanhang die größte Verantwortung, solche notwendigen Kämpfe zu führen und eine politische Alternative für die Arbeiterklasse zu entwickeln. Ihre Führungen zeigen täglich, dass sie nicht fähig oder nicht willens sind, diese Aufgabe anzugehen. Die Spitzen der Industriegewerkschaften haben sich schon lange der Standortlogik untergeordnet. Die EVG-Führung ist angesichts des GDL-Streiks zur Streikbrecherin mutiert. Die Mehrheit der Vorstände der DGB-Gewerkschaften machen gemeinsame Sache mit der Merkel-Gabriel-Regierung bei der Aushöhlung des Streikrechts durch das so genannte Tarifeinheitsgesetz. Die Spitzen von ver.di, GEW und NGG machen hier zwar wenigstens nicht mit und lehnen – aufgrund des Drucks ihrer Basis – dieses Gesetz ab. Aber auch sie verweigern den LokführerInnen und ZugbegleiterInnen der GDL die Solidarität und führen keinen entschlossenen Kampf gegen die gesetzliche Tarifeinheit. Ihr schärfstes Kampfmittel ist zur Zeit eine Unterschriftenliste. Es ist gut, wenn viele Unterschriften gesammelt werden und diese dazu genutzt wird, in den Betrieben über den Angriff auf das Streikrecht aufzuklären. Aber wann hat schon mal eine Unterschriftenliste ein Gesetz verhindert? SAV-Mitglieder setzen sich dafür ein, dass im neuen Jahr, noch vor der Beschlussfassung im Bundestag, eine bundesweite Großdemonstration gegen das Tarifeinheitsgesetz und zur Verteidigung des Streikrechts organisiert wird.
Die anstehenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie, bei den Bundesländern, den Sozial- und Erziehungsdiensten etc. böten einmal mehr die Gelegenheit für die Gewerkschaften nicht nur in eine tarifpolitische Offensive zu kommen, sondern diese Tarifrunden als einen gesellschaftspolitischen Verteilungskampf zu führen. Das wäre möglich, wenn diese Verhandlungen kämpferisch angegangen und Aktionen und Streiks koordiniert würden, wenn Forderungen aufgestellt würden, für die es sich zu kämpfen lohnt (wie bei den Sozial- und Erziehungsdiensten der Fall) und für deren Durchsetzung auch eine Kampfstrategie entwickelt würde. Auch hier könnten sich die Spitzen der DGB-Gewerkschaften eine Scheibe von der GDL abschneiden, die unter anderem eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich fordert und bereit ist, auch bei starkem medialem und politischem Gegenwind ihre Mitglieder zum Streik aufzurufen.
DIE LINKE
DIE LINKE sonnt sich derweil im Glanze des Ministerpräsidentenpostens in Thüringen und scheint nicht zu merken, dass es sich hier um einen klassischen Fall von „mehr Schein als Sein“ handelt. Die Koalition mit SPD und Grünen wurde mit einem weitgehenden Verzicht auf linke, sozialistische Inhalte erkauft. Die Hoffnung, dass Bodo Ramelow einen wirklichen Politikwechsel einleitet, wird genauso enttäuscht werden, wie sie bei den „rot-roten“ Koalitionen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern enttäuscht wurde. Am Ende wird auch hier Entfremdung vieler LINKE-WählerInnen und – UnterstützerInnen mit der Partei stehen. Die Wirkung in die Bundespartei aber ist eine Stärkung der Parlamentaritis, dieses in der LINKEN grassierenden Geschwürs, das die Partei auf die bürgerlich-kapitalistischen Institutionen fixiert und verhindert, dass sie zu einer aktiven Mitglieder-, Bewegungs- und Kampfpartei wird. Diese Erkrankung geht schon so weit, dass die Parteiführung um Kipping und Riexinger nun an die für den staatlichen Rassismus verantwortlichen Führungen in CDU und CSU appelliert, sie mögen doch bitte die Rassisten von Pegida bekämpfen. Ganz nach der Logik, den Brandstifter zum Feuerwehrmann zu machen …
Doch trotz allem bleibt DIE LINKE zur Zeit die einzige Partei mit Masseneinfluss, die den Anspruch hat, eine linke und sozialistische Alternative zum Kapitalismus zu formulieren und die, zumindest in Grenzen, Bewegungen und Proteste politisch unterstützt. Die Partei darf nicht denjenigen überlassen werden, die sie zu einem Regierungspartner auf Bundesebene für SPD und Grüne machen und dabei ihre Grundsätze über Bord werfen wollen. Nötig ist ein Kurswechsel der Partei hin zu wirklicher antikapitalistischer Politik, hin zur Unterstützung von Streiks, sozialen und gewerkschaftlichen Bewegungen – und zwar wirklicher Unterstützung, nicht nur verbaler oder bei fähnchenschwingenden Pressefototerminen. Die Kraft des Parteiapparats und der vielen Fraktionsapparate muss weitestgehend in den Dienst solcher Proteste gestellt werden. Die guten Ansätze, die es zum Beispiel mit der Organisierung von Konferenzen für streikende Einzelhandelsbeschäftigte oder Aktive aus den Krankenhäusern gab, dürfen nicht länger positive Ausnahmen sein.
SAV-Mitglieder setzen sich in der Partei DIE LINKE und innerhalb der innerparteilichen Strömung Antikapitalistische Linke (AKL) für einen solchen Kurswechsel ein.
Das Jahr 2015 wird einige Gelegenheiten bieten, um abhängig Beschäftigte und Jugendliche zu mobilisieren und für sozialistische Ideen zu gewinnen. Die Proteste gegen Pegida und andere Gidas werden weiter gehen. Sie müssen nicht nur größer und stärker werden, sondern auch vom Reagieren zum Agieren übergehen – am besten durch die Durchführung einer zentralen bundesweiten Massendemonstration gegen Pegida und Rassismus. Sie sollten auch von der moralischen Empörung gegen den Rassismus zu einem positiven Programm für gemeinsamen Kampf für soziale Verbesserungen weiter entwickelt werden. Nicht nur in den anstehenden Tarifrunden, sondern auch bei den Streiks bei Amazon und beim Kampf für mehr Personal in Krankenhäusern, wird Solidarität gefragt sein. Am 18. März finden anlässlich der Einweihung der neuen EZB-Zentrale in Frankfurt am Main die nächsten großen Blockupy-Proteste statt und im Juni wird die linke Bewegung den G7-Gipfel in Bayern mit Demonstrationen begrüßen.
Griechenland
Aber möglicherweise wird schon vorher die politische Agenda Europas neu sortiert. In Griechenland wird es zu Neuwahlen kommen, nachdem die Wahl eines neuen Staatspräsidenten gescheitert ist. Die Linkspartei SYRIZA hat beste Chancen, stärkste Kraft zu werden und die nächste Regierung zu führen. Das sollte sie gemeinsam mit anderen antikapitalistischen Kräften und auf Basis eines sozialistischen Programms und der Mobilisierung der Arbeiterklasse auf den Straßen und in den Betrieben tun. Wenn eine SYRIZA-Regierung unter einem Ministerpräsidenten Tsipras den Mut aufbringt, den Schuldendienst an die Banken einzustellen, die Austeritätsmaßnahmen der letzten Jahre rückgängig zu machen und die Macht der griechischen Reeder, Banken und Kapitalisten zu brechen, würde ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte aufgeschlagen. Angesichts der politischen Ausrichtung der SYRIZA-Führung ist das zwar kaum zu erwarten, denn diese hat wiederholt deutlich gemacht, dass sie im Rahmen von Kapitalismus und EU agieren will. Aber alleine ein Wahlsieg der griechischen Linken könnte eine neue Welle von Kämpfen und Mobilisierungen auslösen und den Klassenkampf in Griechenland enorm zuspitzen. Das hätte kontinentale Auswirkungen, würde ArbeiterInnen in anderen Ländern motivieren und würde gleichzeitig die Solidarität mit der griechischen Arbeiterklasse und die Debatte über die dortigen Entwicklungen, um Lehren daraus zu ziehen, zu einer wichtigen Priorität für die internationale Arbeiterbewegung und Linke machen.
Die SAV wird einen Beitrag dazu leisten, nicht nur Kämpfe und Bewegungen mit voran zu treiben, sondern vor allem auch in diesen eine sozialistische Perspektive zu formulieren. Dazu brauchen wir Unterstützung. Alle Leserinnen und Leser sind aufgefordert, sich uns anzuschließen und/oder eine Spende für unserer aktuellen Spendenappell zur Unterstützung der SAV und des Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI – die internationale sozialistische Organisation, der die SAV angeschlossen ist) zu machen.