Die rechte Koalitionsregierung muss weg, mit ihr alle Kürzungspolitik!
von Els Deschoemacker, LSP/PSL (Belgische Sektion des CWI), Brüssel
Oppositionelle Protestierende warteten nicht erst darauf, dass sich die neue rechte Regierung – die die die extrem rechte Flämisch-nationalistische NVA, sowie die flämische und wallonischen liberalen Parteien und die flämischen Christdemokraten einschließt – gebildet hatte, bevor sie in Aktion traten.
Die SchülerInnen machten es Anfang September vor, als sie enthusiastisch dem Aufruf der ALS (Actief Linkse Studenten, Studierendenorganisation unser belgischen Schwesterorganisation) zur Aktion folgten, der sich gegen die von der aus den selben rechten Parteien bestehenden flämischen Regierung geplanten gewaltigen Kürzungen im Bildungssektor und eine Erhöhung der Studiengebühren richtete.
Seit dieser ersten Aktion am 10. September, haben die SchülerInnen an ihren Schulen Aktionskomitees gebildet, sit-ins organisiert, eine SchülerInnen-Demo und einen sehr erfolgreichen Streik am 22. Oktober geführt. Aktionen, nach denen jedes Mal Vollversammlungen erfolgten.
Mitte September haben PolizistInnen eine ihrer größten Demonstrationen überhaupt organisiert, die sich gegen Angriffe auf ihre Pensionsansprüche richtete. Ein 4000 Menschen starker Protest aller Gewerkschaften ereignete sich am 23. September in Brüssel, nachdem bekannt geworden war, dass die neue Regierung überlegt, die nächste inflationsausgleichende Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst auszusetzen.
Aber dennoch war es ein Schock, als die gesamten Pläne der Regierung Anfang Oktober bekannt wurden. „Die lesen sich wie eine soziale Horrorgeschichte“, sagte der nationale Vorsitzende der Christlichen Gewerkschaftsbewegung. Die Angriffe sind zu zahlreich, um sie hier aufzulisten. Große Angriffe auf den Bildungssektor, auf Löhne, Renten und eine weitere Reform des Arbeitsmarktes werden darin kombiniert mit drastischen Kürzungen im Gesundheitswesen, öffentlichen Diensten, Kinderbetreuung und Erwerbslosenunterstützung. Es ist die selbe Art von Austeritätspolitik, die über die Jahren in anderen Ländern Europas exerziert wurde. Jedoch dort nie so komplett und allumfassend. „Von den Neugeborenen bis zu denen, die zu Grabe getragen werden, sind alle Leute davon betroffen“, erklärte der nationale Vorsitzende der Sozialistischen Gewerkschaftsföderation auf einem lokalen Gewerkschaftstreffen in Antwerpen, wo 400 Delegierte anwesend waren. Er ging dann dazu über, einen beeindruckenden Aktionsplan einer vereinten Gewerkschaftsfront vorzustellen, die die Zentralen der sozialistischen, christlichen und liberalen Gewerkschaften mit einschließt.
Ein auf socialistworld.net am 19. September veröffentlichter Artikel erklärte den Hintergrund der Angriffe der neuen Regierung. Da hieß es: „Die LSP/PSL macht bereits Vorschläge dafür, wie ein Aktionsplan zur Vorbereitung und Mobilisierung für Aktionen aussehen könnte, darunter eine Informationskampagne, ein konkreter Appell für nationale und regionale Demonstrationen und/oder Veranstaltungen, Einberufung von Vollversammlungen in Betrieben, möglichen regionalen Streiks, auf denen ein nationaler 24- oder 48-stündiger Streik und ein Ultimatum an die Regierung etc. erfolgen sollte etc.“
Landesweite Demonstrationen und Generalstreiks
Dieser vom Gewerkschaftsverband vorgeschlagene Aktionsplan rief zu einer von Streikaktionen begleiteten landesweiten Demonstration am Donnerstag, den 6. November auf. Das Ziel der Gewerkschaften war eine Teilnahme von 100.000 Menschen. Die Demonstration diente außerdem als Plattform zur Vorbereitung regionaler Streiks an Montagen: So am 24. November und am 8. Dezember, die schließlich in einem landesweiten Generalstreik am 15. Dezember münden sollen.
Es wurden Erklärungen abgegeben, dass dann wenn die Regierung keine größeren Zugeständnisse macht, der Kampf vom 5. Januar des nächsten Jahren an weitergehen werde, nach einer kurzen Evaluationsphase. BahnarbeiterInnen, die zu den am schlimmsten von den Angriffen der Regierung betroffenen Beschäftigten gehören, sagen offen: „Diese Regierung muss weg!“ Diese Haltung entspricht dem, was man auf fast jeder Gewerkschaftskundgebung und in jedem Interview mit ArbeiterInnen hört.
Das ist kein Zufall. Es wird von den aller bewusstesten ArbeiterInnen verstanden, dass das extreme Kürzungsprogramm zu aller erst extrem arbeitnehmerfeindlich ist. Es bereitet sogar noch dramatischere Kürzungen vor. Aber um diese durchsetzen zu können, bedarf es einiger Angriffe auf das Streikrecht und auf die Rechte der Gewerkschaften überhaupt, um die Macht der organisierten Arbeiterklasse zu schwächen. Offensichtlich wollen die Herrschenden das so genannte „Belgische Modell“ loswerden, bei dem es Beratungen zwischen Gewerkschaften und Regierung gibt, welches bisher dazu gedient hat, über den Verhandlungsweg etwas „ausgewogenere“ Angriffe durchzusetzen. Dieses Modell war sehr einträglich für die Bosse, als es darum ging, schrittweise und langsam, aber doch systematisch, die Regierungsausgaben für Sozialhilfe über die letzten zwei Jahrzehnte abzusenken.
“Minimaler Service”: Angriff aufs Streikrecht
Aber diese Regierung wittert die Chance, noch einen Schritt weiter zu gehen. Die starke Stellung der Gewerkschaften wird offen in Frage gestellt und das wird verbunden mit einem Angriff auf das Streikrecht durch die Einführung eines so genannten garantierten „Minimalservices“. Dies gilt für den Bahnbetrieb und die Gefängnisse. Es bedeutet dass in Zeiten von Streiks ein Mindestservice garantiert sein soll. Dies gilt in den Dienstleistungsbereichen, deren Belegschaften besonders kämpferisch waren, als sie sich gegen ständige Angriffe auf ihre Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen wehrten.
Der Druck von unten spielt sicherlich eine Rolle beim Zustandekommen des Typs von Aktionsplan, den die Gewerkschaftsführung vorgeschlagen hat. Es gibt wachsende Ungeduld an der Basis, so zum Beispiel unter den BahnarbeiterInnen. Diese haben etliche wilde Streiks unternommen, die das Land für einige Wochen erschüttert haben. Aber die Gewerkschaftsführer, die ihre eigene Rolle und ihre eigenen Positionen in Gefahr sehen, reden jetzt von mehr Aktionen und sogar davon, die rechte Regierung loswerden zu wollen.
Während der Vorsitzende der NVA (der flämischen Nationalisten), Bart De Wever, laut sagte „Die Gewerkschaften können streiken so viel sie wollen, die Regierung wird nichts am grundlegenden Kurs ihres Plans ändern“, planen die GewerkschaftsführerInnen genauso ihren Kampf. Ihr Ziel ist ohne Zweifel die Rückkehr der alten Drei-Parteien.Koalition, eine Art Große Koalition, die aus allen drei traditionellen „politischen Familien“ besteht, welche wieder die Sozialdemokratie beinhalten würde.
Eine solche Koalition würde die Kürzungspolitik nicht beenden. Die Vorgängerregierung, gebildet aus aus einer solchen Koalition, bereitete selbst vor ihrem Fall dramatische Kürzungen vor. Diese hatte sie bereits im Vorfeld der letzten Wahlen im Mai verkündet. Dennoch wird so eine Koalition von den GewerkschaftsführerInnen als „kleineres Übel“ und als empfänglicher für den Druck der Arbeitnehmerschaft verkauft.
Logik des „Kleineren Übels“
Alle Generalstreikbewegungen in Belgien seit 1988 wurden von oben verhindert. Damals [1988] gelang es einer solchen Bewegung zum letzten Mal, durch Kampf eine rechte Regierung zu Fall zu bringen. Zwecks Verhinderung einer solchen Generalstreikbewegung wurde stets das Argument ins Feld geführt, dass der Sturz einer Regierung nur einer noch rechteren Regierung das Feld bereiten würde. Das war 1993, 2005 und 2012 der Fall. Denn seit 1988 waren die Sozialdemokraten stets Teil einer jeden Regierungskoalition. Aber dieses Mal zeiht das Argument nicht. Wenn eine ernsthafte Generalstreikbewegung sich entwickelt, wird es viel schwerer ihre Dynamik aufzuhalten. Während wie von der LSP/PSL und dessen bewusst sind, dass „Kleinere Übel“-Stimmungen in der Bewegung auftauchen können und sicher auftreten werden, müssen wir deutlich vor den Folgen einer Rückkehr zur vorigen Koalition [mit Einschluss der Sozialdemokratie] warnen. Besonders aus propagandistischen Gründen, um den Einfluss der oppositionellen PS (der frankophonen Sozialdemokraten) zu unterminieren. Wouter Beke, der Vorsitzende der flämischen Christdemokraten, sagte dass das Abkommen, welches die Grundlage zur Bildung der neuen Regierung war, genauso gut mit der Sozialdemokratie, den „Sozialisten“, hätte zustanden kommen können. Die Aussage des ehemaligen sozialdemokratischen Premierministers Di Rupo, dass „siebzig Prozent“ der antisozialen Maßnahmen der neuen Regierung lediglich eine Fortsetzung der Politik der Vorgängerregierung seien, zeigt deutlich, was eine „alternative“ Koalition für die arbeitenden Menschen bedeuten würde!Deshalb reicht es nicht aus, einen Aktionsplan zum Sturz der Regierung zu haben – die ganze Austeritätspolitik muss gestoppt werden. Die Arbeiterbewegung sollte nicht auf eine der pro-kapitalistischen Parteien schauen und von denen Rettung erwarten. Die Arbeiterbewegung muss ein alternatives politisches Werkzeug schaffen. In Form einer Partei, die als Plattform für ArbeiterInnen und Jugendliche im Kampf fungiert und in der über die politischen Ziele, das Programm, die Strategie und Taktik diskutiert wird.
Dies würde der Unterstellung der bürgerlichen Medien, formuliert durch die bürgerliche Zeitung „De Tijd“, es gäbe „keine realistische Alternative zu den Kürzungen und den anderen Regierungsmaßnahmen die keine Arbeitsplätze zerstören werden“, Paroli bieten. Die Zeitung argumentiert, dass eine Politik die sich den Kürzungen widersetzt, mehr Arbeitsplätze vernichten würde, indem sie Arbeitskosten erhöhen würde.
Diese Behauptung ist völlig heuchlerisch, da die Regierung in keiner Weise garantieren kann, dass ihre Kürzungspolitik Arbeitsplätze schaffen wird. In einer Debatte betonten zwei führende Minister dass wir „in einer Marktwirtschaft leben und nicht in einer Planwirtschaft“ – womit sie implizierten dass eine Planwirtschaft Arbeitsplätze garantieren würde! Wir stimmen zu, aber unter der Bedingung dass eine Planwirtschaft auf demokratische Weise funktionieren muss. So eine Wirtschaftsordnung wäre in der Tat im Stande, den von uns allen produzierten Reichtum in Bildung, ins Gesundheitswesen und in die Verkürzung der Arbeitszeit – ohne Lohnverlust – zu investieren. Sie würde auch die Geißel der Arbeitslosigkeit, unter der wir heute leben, beenden.
Es ist kein Zufall, dass die Medien diese Koalition als „Kamikaze“-Regierung tituliert haben. Wenn diese Regierung gestürzt würde, wäre die herrschende Klasse bereit, mit einer „traditionellen“ Regierung zu leben. Jedoch würde eine in Folge einer Massenbewegung an die Macht gebrachte Regierung stets in Angst vor neuen Kämpfen sein. Während für eine Weile eine gewisse Unterstützung für eine solche (die Sozialdemokratie beinhaltende, traditionelle) Koalition bestünde, eben weil diese als Mittel zur Verhinderung einer rechteren Regierung gesehen würde, würden neue Angriffe dieser Regierung zu einer neuen Radikalisierung und zu Opposition der Arbeiterklasse führen.
Die PvdA/PTB füllt das Vakuum
Ein Teil des politischen Vakuums auf der Linken füllt auch Wahlebene die linke PvdA/PTB (Arbeiterpartei). Sie propagiert ein alternatives Regierungsprogramm, auf der Basis ihres linksreformistischen „Kaktus-Plans“. Dieser fordert Investitionen im öffentlichen Wohnungsbau, im öffentlichen Verkehrswesen, in Renten und dem Gesundheitswesen. Dabei werden auch höhere Löhne und staatliche Leistungen gefordert, die durch Besteuerung der Reichen finanziert werden sollen sowie Unternehmenssteuern, Bestrafung von Steuerbetrügern, Steuern auf Banken und die (Wieder-)Errichtung staatlicher Banken. Die größte Investition bei Umsetzung des PvdA/PTB-Planes wäre aber die forcierte Rückzahlung öffentlicher Schulden, möglicherweise in der Hoffnung dadurch mehr haushaltspolitischen Spielraum zu bekommen. Aber dieser Plan geht davon aus, dass der Kapitalismus nicht in der Krise ist. was die herrschende Klasse zum Absenken des Lebensstandards der Massen zwingt. Die PvdA/PTB fordert nicht die Verstaatlichung der Schlüsselsektoren der Wirtschaft unter Kontrolle der Arbeiterklasse, für alle Unternehmen die mit Verlagerung drohen. Eine linke oder Arbeiterregierung die eine glaubwürdige Alternative aufzeigen will und die unter dem Druck des Großkapitals und seiner Drohung der Kapitalflucht steht, käme nicht an der Lösung dieser Frage vorbei.
Teil der Vorbereitung eines gewerkschaftlichen Aktionsplans muss ein Aktionsplan sein, bestehend aus Vollversammlungen, nicht nur in den Betrieben, sondern auch in den Schulen und Hochschulen. Dieses Mal bringt der verallgemeinerte Angriff auf ArbeiterInnen und Jugendliche den Zündstoff für eine potenzielle Generalstreikbewegung von ArbeiterInnen zusammen mit den Bewegungen der SchülerInnen und Studierenden. Denn es die Zukunft dieser Jugend, die in Gefahr ist!
Ein Plan zur Information und Mobilisierung muss her. Dazu nötig sind Versammlungen in den Betrieben, an denen alle ArbeitnehmerInnen teilnehmen können. Ziel muss sein, die Bewegung von unten aufzubauen. Es gilt, die Zuversicht in der Arbeiterklasse zu erwecken, dass ein Sieg möglich ist, aber auch dass es nötig ist, Einheit zu schaffen. Durch systematische kollektive Diskussionen am Arbeitsplatz können die Argumente geschärft und konkrete Aktionspläne ausgearbeitet werden. Auch können und müssen Verbindungen zu anderen Betrieben und zur Bewegung der SchülerInnen und Studierenden so hergestellt werden. Bis hin zu einer Vernetzung auf einer stadtweiten Ebene. Doch über allem steht die Notwendigkeit der Einheit zwischen ArbeiterInnen im Norden und Süden Belgiens. Diese Einheit ist entscheidend, um die Regierung in die Knie zu zwingen.
Nicht nur die Regierung muss weg, sondern die ganze Austeritätspolitik. Dies beginnt mit einer Bewegung zum Sturz der Regierung, aber muss weitergehen. Dabei müssen die im Kampf gemachten Erfahrungen genutzt werden zum Aufbau einer Kraft, die für ein sozialistisches Programm kämpft.