3 Jahre NSU: Mehr Fragen als Antworten

Die LINKE im Untersuchungsausschuss

Die ergänzende abweichende Stellungnahme der Partei Die LINKE zum Bericht des Untersuchungsausschusses, die unter der Federführung der Abgeordneten Pe­tra Pau entstand, ist widersprüchlich. In der Stellungnahme der Partei werden viele wichtige Punkte benannt, u.a. der strukturelle Rassismus bei der Polizei. Die LINKE kommt zu dem Schluss, dass der „Verfassungsschutz“ nicht reformiert werden kann, sondern abgeschafft werden muss. Sie macht die Struktur des „Ver­fassungsschutzes“ und das V-Leute-System ursächlich für diese Verharmlosung verantwortlich und verweist auf das Eigeninteresse des VS am V-Leute-System.

Zu Recht wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die bisherigen Er­kenntnisse nicht zufriedenstellen können:

„[…] können aus Sicht der Fraktion DIE LINKE weder der Untersuchungsausschuss noch der Abschlussbericht für sich beanspruchen, den NSU-Komplex mit allen Fa­cetten des Staatsversagens, das die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunterneh­mern sowie den Mord an Michèle Kiesewetter, die bislang bekann­ten Sprengstoffatten­tate in Köln und die Raubüberfallserie, erst ermöglicht hat, vollständig und wirklich zufriedenstellend ausgeleuchtet zu haben.“ xvi

Allerdings wird auch in der Stellungnahme der Fraktion Die LINKE vom „kom­pletten Staatsversagen“ und der „Vertuschung und Verharmlosung des Rechtsextremis­mus“ gesprochen. Die Fraktion Die LINKE trägt den Bericht des Untersuchungs­ausschusses mit. Durch die gemeinsame Unterschrift mit den eta­blierten Parteien stützt sie dessen Kernthesen vom „Versagen“ und bekennt sich trotz gegenteili­ger eigener Vorstellungen zur „Reform“ des Inlands-Geheimdiens­tes „Verfas­sungsschutz“. Damit werden die eigenen Positionen entwertet.

Die Schlussfolgerungen der Fraktion bleiben halbherzig. Man bestätigt unisono mit den anderen Parteien, dass es keine Belege für staatliche Unterstützung gege­ben habe, aber schließt nicht aus, dass sich noch was finden ließe. Allerdings wer­den lediglich der Münchner Prozess und die parlamentarischen Untersuchungs­ausschüsse in Thüringen und Sachsen als mögliche Quellen der Erkenntnis be­nannt. So hält man sich die Möglichkeit offen, anders zu argumentieren, wenn neue Fakten bekannt werden. Aber die Fraktion verzichtet damit auf die Möglich­keit, das politische Establishment und den Staatsapparat mit einer klaren Gegen­position zu konfrontieren.xvii

Es hätte einen positiven Aspekt gehabt, wenn die LINKE fernab aller Spekulati­on sagen würde:

„Der Untersuchungsausschuss hat viele wichtige Fakten offen gelegt. Aber unse­re Nach­forschungen sind vielfältig von staatlichen Stellen behindert worden. Auf der Basis der heute vorliegenden Fakten hält die Fraktion Die LINKE die NSU-Affäre keineswegs für auf­geklärt. Wir halten die Schlussfolgerungen der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, es hätte keine staatliche Unterstützung für das Abtauchen und/oder das Agieren der NSU­-Terroristen gegeben, nicht für die wahrscheinlichste Variante. Seit dem 4. November 2011 sind mehr Fragen aufgetaucht als beantwortet worden. Wir halten die These, dass das Trio 1998 aufgrund von Ermittlungspannen untertauchen konnte, für falsch. Wir halten die Umstände des Todes von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für ungeklärt. Wir werden weiterhin parlamentarische Mittel und außerparlamentarische Untersuchungen nutzen, um den Skandal aufzuklären.“

Mit dieser Gegenposition hätte die Partei das politische Establishment herausge­fordert und diejenigen gestärkt, die auf der Beantwortung offener Fragen beharr­en, und hätte es schwerer gemacht, diese offenen Fragen in die Nähe von „Ver­schwörungstheorien“ zu rücken.

Untersuchung von unten

Die SAV hat im Dezember 2011 davor gewarnt, dass eine umfassende Aufklärung der NSU-Affäre durch die Organe der Exekutive und Legislative unwahrscheinlich ist und dass diese durch einen „Untersuchungsausschuss“ von unten, durch die antifaschistische Bewegung, Migranten-Organisationen, linke Parteien, kritische Anwälte und JournalistInnen ergänzt werden müsste. Diese Warnung hat sich be­stätigt.

Die Behörden, vom BKA zum MAD, vom thüringischen „Verfassungsschutz“ bis zu den Ermittlern, die mit der Česká-Mordserie beschäftigt waren, haben hart ge­arbeitet, um Anfragen verzögert zu bearbeiten, haben Akten verschwinden und ha­ben bei Vernehmungen gewaltige Erinnerungslücken erkennen lassen. Eine Auf­klärung aus dem Inneren des Apparates haben auch bürgerliche Journalisten und Politiker für eher unwahrscheinlich gehalten.

Die Rolle des Untersuchungsausschusses des Bundestages haben wir bereits be­leuchtet. Die durchaus harsche Kritik dieses Ausschusses an staatlichen Organen ist letztendlich ein Mittel zum Weißwaschen dieser Organe bezüglich ihrer Aktivi­täten zum Umgang mit der Nazi-Szene. Der Untersuchungsausschuss des sächsi­schen Landtages musste sich noch mehr Frechheiten seitens der Behörden anhö­ren, wurde oft nicht ernst genommen und war ohnehin nur mit den Stimmen der Oppositionsparteien ins Leben gerufen worden. Die CDU hatte sich – ebenso wie die NPD – enthalten.

Der Münchner Prozess hat durchaus interessante Einzelheiten zu Tage ge­bracht. Es ist allerdings nicht die Aufgabe des Gerichtes, sämtliche Dimensionen der NSU-Affäre zu beleuchten. In München geht es darum, Beweise für die Mittä­terschaft Beate Zschäpes und der anderen Angeklagten zu finden und so eine Ver­urteilung zu erwirken. Eine umfassende Aufklärung ist vom Prozess nicht erwar­ten.

Zu einem „Untersuchungsauschuss von unten“ ist es nicht gekommen. Aller­dings haben viele antifaschistische und linke Initiativen zum NSU-Skandal gear­beitet. Ohne die Recherche der Antifa-Gruppen wäre über die Vorgeschichte der NSU weit weniger bekannt. Parlamentarische Anfragen der linken Fraktionen in Bundestag und Landtagen haben Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Nazi­-Gruppen gebracht. Die unermüdliche Arbeit der Anwälte der Nebenklage im Münchner Prozess trägt ebenso dazu bei, den NSU-Komplex und den strukturel­len Rassismus in Deutschland zu enthüllen.

In den zweieinhalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU hat sich eine alte These der antifaschistischen Bewegung neu bewahrheitet: Im Kampf gegen Nazis und Rassisten können wir uns nicht auf den Staat und die etablierten Parteien verlas­sen. Wir müssen es selber machen: 1) Den täglichen Widerstand gegen die Fa­schisten in unseren Städten. 2) Die Aufklärung über Nazi-Strukturen. 3) Das Erar­beiten von Alternativen gegen die rassistische Spaltung und einer gemeinsamen Perspektive von einem guten Leben für alle, ungeachtet ihrer Herkunft.

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http://www.berliner-zeitung.de/nsu-prozess/nsu-prozess-wichtiger-zeuge-im-auto­-verbrannt,11151296,24474928.html

iihttp://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-tod-von-v-mann-corelli-wirft-fra­gen-auf-1.1940178

iiihttp://www.neues-deutschland.de/artikel/933604.zu-viele-fragen-zum-nsu-terror­-sind-noch-offen.html

ivhttp://www.wdr5.de/sendungen/politikum/kommentar/NSU100.html

vAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Druck­sache 17/14600, S. 829.

viEbd., S. 832

viiEbd., S. 831

viiihttp://www.deutschlandfunk.de/nsu-mordserie-verfassungsschutz-war-zu-nah-dran.694.de.html?dram%3Aarticle_id=286920).

ixHei­matschutz: Der Staat und die Mordserie der NSU. Aust/Laabs, München 2014, E-Book-Version, Position 365

xAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Druck­sache 17/14600, S. 847 ff.

xiHei­matschutz: Der Staat und die Mordserie der NSU. Aust/Laabs, München 2014, E-Book-Version, Position 14114

xiiAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Druck­sache 17/14600, S. 840 ff.

xiiiEbd., S. 641

xivJunge Welt, 5.5.2014

xviAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Druck­sache 17/14600, S. 984 ff.

xviiEbd., S. 984