Die LINKE im Untersuchungsausschuss
Die ergänzende abweichende Stellungnahme der Partei Die LINKE zum Bericht des Untersuchungsausschusses, die unter der Federführung der Abgeordneten Petra Pau entstand, ist widersprüchlich. In der Stellungnahme der Partei werden viele wichtige Punkte benannt, u.a. der strukturelle Rassismus bei der Polizei. Die LINKE kommt zu dem Schluss, dass der „Verfassungsschutz“ nicht reformiert werden kann, sondern abgeschafft werden muss. Sie macht die Struktur des „Verfassungsschutzes“ und das V-Leute-System ursächlich für diese Verharmlosung verantwortlich und verweist auf das Eigeninteresse des VS am V-Leute-System.
Zu Recht wird in der Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die bisherigen Erkenntnisse nicht zufriedenstellen können:
„[…] können aus Sicht der Fraktion DIE LINKE weder der Untersuchungsausschuss noch der Abschlussbericht für sich beanspruchen, den NSU-Komplex mit allen Facetten des Staatsversagens, das die rassistische Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern sowie den Mord an Michèle Kiesewetter, die bislang bekannten Sprengstoffattentate in Köln und die Raubüberfallserie, erst ermöglicht hat, vollständig und wirklich zufriedenstellend ausgeleuchtet zu haben.“ xvi
Allerdings wird auch in der Stellungnahme der Fraktion Die LINKE vom „kompletten Staatsversagen“ und der „Vertuschung und Verharmlosung des Rechtsextremismus“ gesprochen. Die Fraktion Die LINKE trägt den Bericht des Untersuchungsausschusses mit. Durch die gemeinsame Unterschrift mit den etablierten Parteien stützt sie dessen Kernthesen vom „Versagen“ und bekennt sich trotz gegenteiliger eigener Vorstellungen zur „Reform“ des Inlands-Geheimdienstes „Verfassungsschutz“. Damit werden die eigenen Positionen entwertet.
Die Schlussfolgerungen der Fraktion bleiben halbherzig. Man bestätigt unisono mit den anderen Parteien, dass es keine Belege für staatliche Unterstützung gegeben habe, aber schließt nicht aus, dass sich noch was finden ließe. Allerdings werden lediglich der Münchner Prozess und die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Thüringen und Sachsen als mögliche Quellen der Erkenntnis benannt. So hält man sich die Möglichkeit offen, anders zu argumentieren, wenn neue Fakten bekannt werden. Aber die Fraktion verzichtet damit auf die Möglichkeit, das politische Establishment und den Staatsapparat mit einer klaren Gegenposition zu konfrontieren.xvii
Es hätte einen positiven Aspekt gehabt, wenn die LINKE fernab aller Spekulation sagen würde:
„Der Untersuchungsausschuss hat viele wichtige Fakten offen gelegt. Aber unsere Nachforschungen sind vielfältig von staatlichen Stellen behindert worden. Auf der Basis der heute vorliegenden Fakten hält die Fraktion Die LINKE die NSU-Affäre keineswegs für aufgeklärt. Wir halten die Schlussfolgerungen der Mehrheit des Untersuchungsausschusses, es hätte keine staatliche Unterstützung für das Abtauchen und/oder das Agieren der NSU-Terroristen gegeben, nicht für die wahrscheinlichste Variante. Seit dem 4. November 2011 sind mehr Fragen aufgetaucht als beantwortet worden. Wir halten die These, dass das Trio 1998 aufgrund von Ermittlungspannen untertauchen konnte, für falsch. Wir halten die Umstände des Todes von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos für ungeklärt. Wir werden weiterhin parlamentarische Mittel und außerparlamentarische Untersuchungen nutzen, um den Skandal aufzuklären.“
Mit dieser Gegenposition hätte die Partei das politische Establishment herausgefordert und diejenigen gestärkt, die auf der Beantwortung offener Fragen beharren, und hätte es schwerer gemacht, diese offenen Fragen in die Nähe von „Verschwörungstheorien“ zu rücken.
Untersuchung von unten
Die SAV hat im Dezember 2011 davor gewarnt, dass eine umfassende Aufklärung der NSU-Affäre durch die Organe der Exekutive und Legislative unwahrscheinlich ist und dass diese durch einen „Untersuchungsausschuss“ von unten, durch die antifaschistische Bewegung, Migranten-Organisationen, linke Parteien, kritische Anwälte und JournalistInnen ergänzt werden müsste. Diese Warnung hat sich bestätigt.
Die Behörden, vom BKA zum MAD, vom thüringischen „Verfassungsschutz“ bis zu den Ermittlern, die mit der Česká-Mordserie beschäftigt waren, haben hart gearbeitet, um Anfragen verzögert zu bearbeiten, haben Akten verschwinden und haben bei Vernehmungen gewaltige Erinnerungslücken erkennen lassen. Eine Aufklärung aus dem Inneren des Apparates haben auch bürgerliche Journalisten und Politiker für eher unwahrscheinlich gehalten.
Die Rolle des Untersuchungsausschusses des Bundestages haben wir bereits beleuchtet. Die durchaus harsche Kritik dieses Ausschusses an staatlichen Organen ist letztendlich ein Mittel zum Weißwaschen dieser Organe bezüglich ihrer Aktivitäten zum Umgang mit der Nazi-Szene. Der Untersuchungsausschuss des sächsischen Landtages musste sich noch mehr Frechheiten seitens der Behörden anhören, wurde oft nicht ernst genommen und war ohnehin nur mit den Stimmen der Oppositionsparteien ins Leben gerufen worden. Die CDU hatte sich – ebenso wie die NPD – enthalten.
Der Münchner Prozess hat durchaus interessante Einzelheiten zu Tage gebracht. Es ist allerdings nicht die Aufgabe des Gerichtes, sämtliche Dimensionen der NSU-Affäre zu beleuchten. In München geht es darum, Beweise für die Mittäterschaft Beate Zschäpes und der anderen Angeklagten zu finden und so eine Verurteilung zu erwirken. Eine umfassende Aufklärung ist vom Prozess nicht erwarten.
Zu einem „Untersuchungsauschuss von unten“ ist es nicht gekommen. Allerdings haben viele antifaschistische und linke Initiativen zum NSU-Skandal gearbeitet. Ohne die Recherche der Antifa-Gruppen wäre über die Vorgeschichte der NSU weit weniger bekannt. Parlamentarische Anfragen der linken Fraktionen in Bundestag und Landtagen haben Erkenntnisse über die Gefährlichkeit von Nazi-Gruppen gebracht. Die unermüdliche Arbeit der Anwälte der Nebenklage im Münchner Prozess trägt ebenso dazu bei, den NSU-Komplex und den strukturellen Rassismus in Deutschland zu enthüllen.
In den zweieinhalb Jahre nach dem Auffliegen des NSU hat sich eine alte These der antifaschistischen Bewegung neu bewahrheitet: Im Kampf gegen Nazis und Rassisten können wir uns nicht auf den Staat und die etablierten Parteien verlassen. Wir müssen es selber machen: 1) Den täglichen Widerstand gegen die Faschisten in unseren Städten. 2) Die Aufklärung über Nazi-Strukturen. 3) Das Erarbeiten von Alternativen gegen die rassistische Spaltung und einer gemeinsamen Perspektive von einem guten Leben für alle, ungeachtet ihrer Herkunft.
http://www.berliner-zeitung.de/nsu-prozess/nsu-prozess-wichtiger-zeuge-im-auto-verbrannt,11151296,24474928.html
iihttp://www.sueddeutsche.de/politik/nsu-prozess-tod-von-v-mann-corelli-wirft-fragen-auf-1.1940178
iiihttp://www.neues-deutschland.de/artikel/933604.zu-viele-fragen-zum-nsu-terror-sind-noch-offen.html
ivhttp://www.wdr5.de/sendungen/politikum/kommentar/NSU100.html
vAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Drucksache 17/14600, S. 829.
viEbd., S. 832
viiEbd., S. 831
viiihttp://www.deutschlandfunk.de/nsu-mordserie-verfassungsschutz-war-zu-nah-dran.694.de.html?dram%3Aarticle_id=286920).
ixHeimatschutz: Der Staat und die Mordserie der NSU. Aust/Laabs, München 2014, E-Book-Version, Position 365
xAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Drucksache 17/14600, S. 847 ff.
xiHeimatschutz: Der Staat und die Mordserie der NSU. Aust/Laabs, München 2014, E-Book-Version, Position 14114
xiiAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Drucksache 17/14600, S. 840 ff.
xiiiEbd., S. 641
xivJunge Welt, 5.5.2014
xviAbschlussbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, Drucksache 17/14600, S. 984 ff.
xviiEbd., S. 984