Große Koalition will Streikrecht demontieren
Das Tauziehen um das Gesetz zur „Tarifeinheit“ geht in die heiße Phase. Währenddessen spitzen sich die Konflikte bei Lufthansa und der Bahn zu.
von Torsten Sting, Mitglied im ver.di-Bezirksfachbereichs-vorstand Rostock, Verkehr (Angabe zur Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person)
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kündigte Mitte September an, rasch einen Gesetzentwurf vorzulegen, der weitreichende Folgen für die Gewerkschaften haben wird. Geplant ist, dass nur noch die mitgliederstärkste Arbeitnehmerorganisation in einem Betrieb einen Tarifvertrag abschließen kann.
Entgegen ursprünglicher Pläne soll eine Einschränkung des Streikrechts sogenannter Minderheitsgewerkschaften nicht explizit genannt werden. Trotzdem würde das Recht auf Streik beeinträchtigt werden.
Haltung des DGB
Auf dem Bundeskongress des DGB im Mai wurde in puncto „Tarifeinheit“ ein Beschluss gefasst. Dieser war das Ergebnis jahrelanger Auseinandersetzungen. Gab es 2010 noch eine gemeinsame Initiative von Arbeitgeberverband BDA und DGB-Bundesvorstand zur Kleinhaltung der Spartengewerkschaften, nahm im Laufe der Zeit die Kritik in den eigenen Reihen zu. Der Beschluss der Konferenz spricht sich zwar für das Prinzip der „Tarifeinheit“ aus, tritt jedoch »gegen jeglichen Eingriff in das Streikrecht« ein.
Konflikt bei der DB
Mitte September spitzte sich der Konflikt bei der Deutschen Bahn (DB) zu. Hier wird quasi der Praxistest für die „Tarifeinheit“ erprobt. Zwei Gewerkschaften sind vertreten und haben mit dem Konzern Tarifverträge abgeschlossen. Die im DGB angesiedelte Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) und die im Beamtenbund organisierte Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). Letztere forderte die EVG in den vergangenen Jahren mit einer offensiven und letztlich auch recht erfolgreichen Arbeit heraus. Die GDL konnte viele neue Mitglieder gewinnen und organisiert derzeit etwa 80 Prozent der LokführerInnen und die Mehrheit des fahrenden Personals. Jetzt will die GDL nicht mehr nur für die LokführerInnen, sondern auch für das Zugpersonal verhandeln – und fordert fünf Prozent mehr, eine zweistündige Arbeitszeitverkürzung und Maßnahmen gegen Arbeitsverdichtung. Die EVG geht mit einer sechs-prozentigen Lohnforderung in die Verhandlungen.
Spaltung durch DGB-Spitze
Es ist logisch, dass bei diesem Konflikt sowohl die bürgerlichen Medien, Parteien und Bosse auf die GDL eindreschen. Eher ungewöhnlich ist, dass ein Gewerkschafter ins gleiche Horn bläst. Genau dies tut jedoch der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. In einem (den Medien bewusst zugespielten) Brief beklagt sich der Spitzenfunktionär beim Vorsitzenden des Deutschen Beamtenbundes über die Politik der GDL: „Der aggressive Abgrenzungs- und Konfliktkurs der GDL ist […] nicht vereinbar mit einer solidarischen Interessenvertretung aller Arbeitnehmer.” Zudem wirft er der GDL vor, „ohne Rücksicht auf öffentliche Ansehensverluste der deutschen Gewerkschaften in ihrer Gesamtheit die eigene Einflusssphäre ausbauen“ zu wollen. Die Folge sei ein „Imageschaden“ für die deutschen Gewerkschaften insgesamt.
Solidarität ist gefragt
Dieses Verhalten ist ein Armutszeugnis sondergleichen. Funktionäre à la Hoffmann haben in den letzten Jahrzehnten reichlich „Imageschaden“ angerichtet und die Schwächung der Gewerkschaften maßgeblich zu verantworten.
Solange es keinen Zusammenschluss aller Gewerkschaften mit dem Ziel einer konsequenten Interessenvertretung gibt, sollten alle KollegInnen das Recht auf Wahlfreiheit haben; Wahlfreiheit darüber, in welcher Gewerkschaft sie sich organisieren und welcher Tarifvertrag für sie gelten soll.
Aktuell ist es die Aufgabe von kritischen Gewerkschaftsaktiven, für einen solidarischen Umgang seitens GDL und EVG einzutreten, für einen gemeinsamen Kampf gegen das Bahn-Management zu werben und mit dafür zu sorgen, dass das Gesetzesvorhaben der Großen Koalition zu Fall gebracht wird.