Den Widerstand unterstützen, nicht den westlichen Imperialismus!
14 Abgeordnete der Linkspartei fordern eine UN-mandatierte militärische Intervention zur Rettung der Stadt Kobane vor der Offensive des so genannten „Islamischen Staats“. Andere in der LINKEN, wie ihr Vorsitzender Riexinger, sprechen sich für eine „zivile Intervention“ aus und sind grundsätzlich gegen Waffenlieferungen in die Region, egal an welche der kämpfenden Kräfte. Wiederum andere Gruppen auf der Linken sehen die wesentliche Aufgabe zur Zeit darin, Geld für Waffen für die Volksverteidigungseinheiten der YPG zu sammeln. Alle scheinen von dem Drang angetrieben zu sein, möglichst konkrete Hilfe für die Verteidigung von Kobane zu ermöglichen. Aber was können wir hier in Deutschland tun und was ist nötig, um den IS zu stoppen?
Fünf Thesen von Sascha Stanicic und Claus Ludwig
1. Die westlichen Staaten wollen Kobane nicht retten
Die LINKE-Abgeordneten, die einen UNO-Militäreinsatz fordern, legen ihren Forderungen die Annahme zugrunde, es gäbe eine „internationale Gemeinschaft“, die ein gemeinsames Interesse an einer friedlichen und demokratischen Lösung im Nahen Osten hätte. Doch diese „Gemeinschaft“ existiert nicht. Vor Ort agieren kapitalistische Staaten, die ihre eigenen geostrategischen und ökonomischen Interessen durchsetzen, in wechselnden Bündniskonstellationen, und dabei äußerst zynisch und brutal agieren. Es darf nicht vergessen werden: auch der IS ist letztlich ein Frankenstein-Monster des Westens und verschiedener Regime in der Region, das außer Kontrolle geraten ist (wobei die IS-Führung natürlich immer ihre eigenen Ziele verfolgte); die Türkei hat Tausende KurdInnen auf dem Gewissen; in Saudi-Arabien (Teil der Anti-IS-Koalition) werden ebenso Menschen geköpft, wie durch den IS.
Vor Kobane, das können wir jeden Abend in den Nachrichten sehen, haben sich diese Staaten längst entlarvt. Die USA könnten die IS-Stellungen vor Kobane aus der Luft pulverisieren. Die Türkei könnte die Grenzen für PKK- und YPG-KämpferInnen öffnen, die nach Kobane wollen. Ohne Zweifel spielt Erdogan sein eigenes Spiel, hat den IS gestützt und spekuliert darauf, dass sich IS und YPG nun gegenseitig schwächen und über die Einrichtung einer Pufferzone die Autonomie in Rojava zerstört werden kann. Die Bundesregierung könnte die Patriot-Raketen aus der Türkei abziehen, um Erdogan stärker unter Druck zu setzen. Kobane wurde und wird verraten, dem IS ausgeliefert, für strategische Interessen geopfert.
Es ist daher bestenfalls naiv, schlimmstenfalls politisch kriminell, im Kampf gegen den IS auf die UNO, NATO oder westlichen Staaten zu setzen.
2. DIE LINKE soll zur Regierungsbeteiligung sturmreif geschossen werden
Der Aufruf der LINKE-Abgeordneten für einen UNO-mandatierten Militäreinsatz dient innerparteilich dazu, die außenpolitischen Grundsätze der Partei zu schleifen und DIE LINKE für Zustimmungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr sturmreif zu schießen. Das ist der Kern ihres Aufrufs „Kobane retten“, auch wenn sie dies mit Forderungen nach humanitärer Hilfe, Aufnahme von Flüchtlingen und Solidaritätskundgebungen garnieren. Dahinter steckt das Ziel, DIE LINKE auf eine Regierungskoalition mit SPD und Grünen auf Bundesebene vorzubereiten.
3. Keine Waffen sind auch keine Lösung
Die im Kern pazifistische Haltung, die von anderen Teilen der Linkspartei vertreten wird, welche sich grundsätzlich gegen jede Form von Waffenlieferungen aussprechen, wie Bernd Riexinger und Katja Kipping eine „zivile Intervention“ fordern oder behaupten, eine bessere militärische Ausstattung würde den VerteidigerInnen von Kobane nicht helfen, ist realitätsfern. Waffenlieferungen an die irakische Armee oder die mit den pro-imperialistischen Parteien im Nord-Irak verbundenen Peschmerga sind abzulehnen, weil diese Kräfte reaktionäre Ziele verfolgen. In Kobane sieht die Situation anders aus. Der dort gerade laufende militärische Angriff des IS muss auch (aber nicht nur) militärisch zurück geschlagen werden. Die VerteidigerInnen von Kobane selbst fordern ausdrücklich keine Intervention fremder Truppen, sondern bessere, panzerbrechende Waffen und die Öffnung der türkisch-syrischen Grenze für kurdische KämpferInnen aus anderen Teilen Nordsyriens und der Türkei. Wenn sie Waffen fordern, kann es nicht Aufgabe der Linken in Deutschland sein, sich dieser Forderung entgegenzustellen. Gleichzeitig liegt der Schlüssel dazu, die Unterstützung für den IS zu untergraben und eine vereinigte Bewegung aller Volksgruppen in der Region zu erreichen, in einem antikapitalistischen Programm, das sich gegen jede Form von Unterdrückung ausspricht, demokratische Rechte verteidigt und eine tatsächliche Alternative zu dem miserablen Lebensverhältnissen im Kapitalismus aufzeigen kann. Deshalb müssen SozialistInnen klar sagen: es darf keine politischen Zugeständnisse, keine politische Kollaboration, keine Zustimmung zur westlichen Intervention in der Region im Gegenzug zu möglichen Waffenlieferungen geben.
4. Massenhafte Solidarität nötig
Wir können jetzt was tun! Wir können die WiderstandskämpferInnen in der Region stärken und es ihnen erleichtern, den politischen, sozialen und auch militärischen Kampf zu führen. Das ist die zentrale Aufgaben der Linken und der Arbeiterbewegung in Europa, nicht die konkret fruchtlose und letztendlich innerparteilich-taktisch inspirierte Debatte über eine Aufweichung der Antikriegshaltung der LINKEN.
Entscheidend ist der Aufbau einer tatsächlich großen Solidaritätsbewegung, die den politischen Druck auf Bundesregierung, Türkei, USA erhöht, sowie Hilfsgüter und Gelder sammelt, die den Menschen in Rojava zu Gute kommen. Auch die in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden brauchen unsere Solidarität, auch dabei ihre Proteste gegen Übergriffe von Salafisten, türkischen Faschisten und deutscher Polizei zu schützen.
Eine solche Bewegung könnte um folgende Forderungen aufgebaut werden:
- Solidarität mit Rojava und dem Widerstand der dortigen Bevölkerung
- Unterstützung für alle multiethnischen und multireligiösen Selbstverteidigungskräfte von ArbeiterInnen und Armen, die sich religiös oder ethnisch motivierten Angriffen und Unterdrückung entgegen stellen
- Sofortige Aufhebung des Verbots der PKK und anderer kurdischer Organisationen in Deutschland; Streichung der PKK von der EU-Terrorliste
- Organisierung von Spendensammlungen und Hilfslieferungen für Rojava durch die internationale Gewerkschaftsbewegung und DIE LINKE
- Sofortiger Abzug der Bundeswehr-Einheiten aus der Türkei
- Keine Waffenexporte an die Türkei und die Barzani-Regierung im Nordirak, Einstellung sämtlicher militärischer und polizeilicher Zusammenarbeit mit der Türkei
- Öffnung der türkisch-syrischen Grenze für alle Flüchtlinge aus Syrien und alle, die aus der Türkei und aus Rojava nach Kobane wollen, um den Kampf zu unterstützen
- Nein zur Festung Europa und zum mörderischen Grenzregime – Flüchtlinge aufnehmen statt sie zu bekämpfen
- Kein Vertrauen in die imperialistischen Regierungen – Nein zur Intervention von USA, NATO, Türkei und arabischen Regimes in Syrien
5. Eine politische Alternative entwickeln – Für Arbeitereinheit und sozialistische Demokratie
Das Schicksal der Menschen im Nahen Osten und die Frage, ob der so genannte „Islamische Staat“ zurück gedrängt werden kann, hängt davon ab, ob die imperialistische Dominanz der Region, Rivalitäten der konkurrierenden regionalen Eliten und die Spaltung der einfachen Bevölkerung entlang ethnischer und religiöser Linien überwunden werden kann.
Die Hoffnung vieler Menschen auf US-Luftangriffe gegen den IS mag verständlich sein. Aber alle Erfahrungen mit dem Eingreifen der imperialistischen Staaten zeigen: erstens handeln diese nur im eigenen geostrategischen und wirtschaftlichen Interesse und nicht für Frieden, Demokratie und die sozialen Rechte der Bevölkerung in der Region. Zweitens verschärfen sie die Spaltungen und treiben Menschen in die Arme der Islamisten, weil diese sich als Kämpfer gegen den Imperialismus präsentieren können. Der IS ist stark geworden nicht weil plötzlich so viele Menschen von einem radikal-islamischen Virus infiziert wurden, sondern weil er Ausdruck eines Aufbegehrens von Sunniten gegen Unterdrückung und Diskriminierung ist. Die einfachen sunnitischen ArbeiterInnen und Bauern/Bäuerinnen müssen deshalb mit einem Programm und einer Strategie erreicht werden, dass die gemeinsamen sozialen Interessen aller einfachen Menschen unabhängig von Religion und ethnischer Zugehörigkeit in den Mittelpunkt stellt. SozialistInnen verteidigen deshalb nicht nur diejenigen Menschen, die zur Zeit vom IS angegriffen werden, sondern auch SunnitInnen, die gerade von schiitischen Kräften attackiert werden, wie es in Teilen des Iraks passiert.
Der Versuch eines demokratischen Selbstverwaltungsprojekts in Rojava könnte ein Ansatz dafür sein, eine Alternative aufzubauen, die sich auf die unabhängige Bewegung der ArbeiterInnen und Armen stützt und den Anspruch einer multiethnischen Gesellschaft mit Minderheitenrechten und der Gleichstellung der Frau erfüllt. Würde in Rojava ein Schritt weiter gegangen und eine wirkliche Selbstverwaltung in der, sicherlich schwachen, Ökonomie eingeführt, könnte das die Ausstrahlungskraft enorm erhöhen und möglicherweise einen neuen Impuls für den „stecken gebliebenen“ Prozess der arabischen Revolution geben. Dies wäre umso mehr der Fall, wenn sich die Bevölkerung in ihren Selbstverwaltungsstrukturen und die linken Organisationen der KurdInnen nicht an die westlichen Regierungen, sondern an die internationale Arbeiterbewegung mit ihren Appellen für Unterstützung richten würden. Ein solcher Appell, konkret vorgetragen in Versammlungen und Gremien von Gewerkschaften und linken Parteien in Europa und anderen Ländern, könnte auf einen Widerhall stoßen. Das wäre umso mehr der Fall, wenn Massenmobilisierungen der Kurdinnen und Kurden in der Türkei weitergehen und in anderen Teilen Rojavas, sowie im Iran und Irak stattfinden würden.
Eine solche Bewegung müsste sich die Einheit der einfachen Menschen – von ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen, prekarisierten Armen – auf die Fahnen schreiben und für den Aufbau von multi-ethnischen Selbstverteidigungsmilizen, Gewerkschaften und Arbeiterparteien eintreten. Den religiös geprägten und/oder mit imperialistischen Mächten paktierenden Regierungen könnte die Idee einer Regierung von demokratisch gewählten VertreterInnen der Arbeitenden und Armen entgegen gestellt werden. Der imperialistischen Dominanz und Herrschaft von Klanführern, regionalen Großgrundbesitzern und Kapitalisten und der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen könnte eine sozialistische Demokratie und eine freiwillige Föderation sozialistischer Länder in der Region entgegen gestellt werden, in der die Mehrheit der Menschen demokratisch entscheidet, wie die Ressourcen ihrer Länder eingesetzt werden. Das ist die einzige Perspektive, um dem Kreislauf von ethnischen Bürgerkriegen, islamistischen Diktaturen und imperialistischen Kriegsinterventionen ein Ende zu bereiten!