Jeden Tag werden neue Bilder aus der Krisenregion veröffentlicht: Eltern, die verzweifelt neben ihren mit Ebola infizierten Kindern sitzen, auf Hilfe hoffen, doch von den Kliniken zurückgewiesen werden. Eine Mutter, die am Straßenrand stirbt, während ihre Tochter zwischen ihren Beinen sitzt und weint. Ein Arzt, der versucht einen sterbenden Säugling zu beruhigen. Medizinisches Personal, das bei den Regierungen dieser Welt um Hilfe bettelt und vertröstet wird. Die Welt schaut wieder einmal auf unbeschreibliches Leid und trotz aller Hilfsbereitschaft so unglaublicher vieler, aufopfernder Menschen scheint sich nichts zu bewegen.
von Steve Kühne, Dresden
Die MitarbeiterInnen der US-amerikanischen Seuchenbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention), die mit der Ebola-Epidemie befasst sind, schütteln seit Monaten die Köpfe. Spätestens seit dem späten Frühjahr diesen Jahres kündigte sich im Westen Afrikas eine der furchtbarsten Seuchenkatastrophen der letzten 50 Jahre an. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits hunderte HelferInnen im Einsatz gegen einen unsichtbaren Feind, dem kaum jemand entkommen kann, der mit ihm in Berührung kommt.
Der Ebola-Virus ist nicht neu, seit den 70er Jahren ist er der Menschheit als unaufhaltbarer Killer bekannt. Damals entdeckte ihn Peter Piot durch bloßen Zufall. Vierzig Jahre sind seither ins Land gegangen. Warum gibt es noch immer kein Heilmittel, keine Impfung gegen die Krankheit, die seither einigen Tausend Menschen das Leben nahm? Weil sehr zum Bedauern jener Menschen die Krankheit eben in Afrika wütet, dem ärmsten Kontinent der Welt. Private Unternehmen wollen Profit machen – das lernt heute jede Schülerin und jeder Schüler im Gemeinschaftskundeunterricht. Diese Weisheit ist gleichbedeutend mit der bitteren Frage danach, wer wann wie viel Geld bezahlt. Wie viel Geld könnte den ein liberianischer Bauer aufbringen, um seiner Tochter den Schutz gegen einen Angriff einer Armee aus 0,014 mm langen Viren zu kaufen? Was könnte eine Tagelöhnerin in Monrovia schon ausgeben, um ihr Leben zu retten? Nicht genug. Warum dann forschen? Wozu immense Mittel bereitstellen? Wofür menschliche Arbeitskraft einsetzen, wenn die Profite nicht groß genug sind.
Piot beklagte im „Spiegel“ vom 22. September das zu geringe Wissen der MedizinerInnen über diese Seuche. Doch wieso ist denn unser Wissen über diese Seuche so gering? Aus einer Banalität heraus: Weil das Eis, welches die Viren in einer Blutprobe konservieren soll, schneller schmilzt als das verseuchte Blut in einer der europäischen oder US-amerikanischen Forschungseinrichtungen angekommen ist. Und so ist die Probe verdorben!
Warum gibt es solche Forschungseinrichtungen eigentlich nicht in Liberia, in Sierra Leone, in Guinea? Warum gibt es dort keine großen Hospitäler mit Seuchenstationen? Ausgerechnet dort, in tropischen Regionen, wo sich solche Viren spielend vermehren? Warum gibt es dort keine großen Universitäten mit großen medizinischen Fakultäten? Warum kann Liberia, wo die Hälfte der Ebola-Toten zu beklagen ist, keine internationalen Ärztekongresse einberufen, die sich tagelang mit Ebola befassen – mit Prävention, mit Behandlung, mit Heilung? Warum gab es in diesem Land, in dem vier Millionen Menschen leben 2010 nur ganze 57 Ärzte?
Der Kapitalismus hat diese Regionen vergessen! Hat er das? Ist es nicht vielmehr so, dass er sie jahrhundertelang ausbeutete, die Menschen unterdrückte, verhungern ließ und bei Aufständen gegen das koloniale Joch abschlachtete? Nur, um billige Rohstoffe für die Fabriken in Europa aus dem afrikanischen Boden zu holen, die dann ArbeiterInnen in Europa unter schrecklichen Bedingungen in Fertigprodukte zu verwandeln hatten. Das ist bis heute kapitalistische Realität. In Guinea werden Rohstoffvorkommen durch europäische und US-Firmen ausgebeutet und Milliardenumsätze gescheffelt. Der Kapitalismus hat diese Regionen nicht vergessen. Die dort lebenden Menschen sind ihm nur ganz einfach egal!
Sie sind ihm egal, weil er ohnehin unfähig ist diese Regionen zu entwickeln. Das könnte er nur, wenn es dort kaufkräftige KonsumentInnen gäbe. Irgendwen, der dort Geld für Waren und Dienstleistungen auf den Tisch legen könnte. Wenn es die gäbe würde es nolens volens auch zur Einrichtung eines Gesundheitssystems, das diesen Namen verdient kommen und die Aktivitäten gegen Ebola wären vielleicht etwas engagierter. Wirklich gut wären sie wohl auch dann nicht.
Dunkle Aussichten
Die Zahlen, die die Rechner im CDC ausspucken sind beängstigend: Alle 20 Tage wird sich die Menge der Infizierten verdoppeln. Anfang Oktober werden es 20.000 sein und im nächsten Frühjahr dann 1,4 Millionen. Erst dann wäre das „Plateau“, der Umkehrpunkt, erreicht sein. Dann wären, wenn die Krankheit weiter in der Form fortschreitet, in Liberia 700.000 Menschen infiziert. Und das Sterben ginge dann noch über Monate weiter.
Peter Piot fürchtet gar das Übergreifen von Ebola nach Indien. Viele indische ArbeiterInnen haben auf der Suche nach einem Broterwerb den Weg nach Afrika antreten müssen. Würden sie sich anstecken, wäre eine Kettenreaktion in Indien, mit seinem schlecht ausgebauten Gesundheitssystem wohl vorprogrammiert. Die Epidemie würde auf den nächsten Kontinent springen und so zur Pandemie werden.
Das alles sind düstere Aussichten. Was davon wahr wird und was uns, der Menschheit, erspart bleiben wird, steht in den Sternen. Es gibt in all dem Trübsal sicher auch gute Nachrichten: Das Virus scheint sich nicht zu verändern. Eine Mutation, beispielsweise die Übertragung über Tröpfcheninfektion wie bei einer Grippe, dürfte ausgeschlossen sein.
Wie kam es zu dieser Epidemie?
Der niedrige Entwicklungsstand der Länder, man bedenke nur, es werden Affen und Flughunde gegessen und der Aberglaube, der Totenkult und die fehlende Bereitschaft mit medizinischem Personal zusammenzuarbeiten… Es sind derartige Erklärungen, die man hin und wieder zu hören bekommt, wenn man über den Ausbruch von Ebola spricht. Man kann sie als schlechte Gruselgeschichten abtun. Das nun ganze Dorfgemeinschaften und Stadtviertel zum Opfer des Virus werden ist nicht die Schuld der Menschen, die dort leben.
Ja, vier Ebola-Virenstämme, die dem Menschen gefährlich werden, kommen in Flughunden und Affen vor und ja, die wurden gejagt und gegessen. Doch Liberia ist ein geschundenes Land: Französische Kolonialisten, US-amerikanische Kapitalisten, Abenteurer, Diktatoren, sie plünderten das Land aus. Bis 2004 tobte ein schrecklicher Bürgerkrieg. Bittere Armut ist das Ergebnis dieser Unterdrückung und ja, wo Lebensmittel knapp sind, geht die Bevölkerung eben auf Jagd – man denke nur an Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Beim Essen erlegter Tiere kamen Menschen mit dem Virus in Berührung.
Und die Übertragung von Mensch zu Mensch? Die ist doch bei diesem Virus vergleichsweise schwer – nur durch Schmierinfektion, also intensivem Kontakt. Man schaue sich nur die Bilder aus der Krisenregion an: Ein Vater sitzt mit seinem sterbenden Kleinkind auf dem Arm vor einer überfüllten Klinik. Man hat ihn abgewiesen. Er wird sein Kind dort nicht zurücklassen. Er wird bei ihm bleiben, bis es gestorben ist. Bis dahin wird es aber von Fieberkrämpfen geschüttelt, wird schwitzen, sich übergeben, und in der letzten Phase aus Mund, Nase und Augen bluten. So überträgt sich das Virus von Mensch zu Mensch. Wo das Geld für Krankenhäuser und Isolierstationen fehlt, werden diese Übertragungswege real. Man könnte auch sagen, Kapitalismus tötet!
Wer sich noch auf den Beinen halten kann und von einem Krankenhaus abgewiesen wurde, der irrt durch die Stadt zu anderen Ärzten. Es gibt kaum Ambulanzen und so werden Taxis oft zu notdürftigen Krankentransportern und helfen so das Virus verteilen. Tagelöhner, die von der Hand in den Mund leben müssen täglich nach Arbeit suchen und jede ihnen gebotene Stelle annehmen. Mit ihrem bisschen Geld suchen sie dann auf Wochenmärkten nach Essbarem. Bettler flehen auf den Straßen westafrikanischer Städte um Geld und Nahrung – wie sollen sich solche Gesellschaften gegen die Invasion unsichtbarer Armeen absichern?
Was tut die deutsche Bundesregierung?
Maximilian Gertler, ein Arzt, der im Krisengebiet war, erklärte gegenüber den „tagesthemen“, von deutscher Hilfe sei in der von Ebola heimgesuchten Region nichts zu spüren gewesen. Im Frühsommer noch wäre die Infektionskette zu unterbrechen gewesen, wenn man nur wirksame Isolationsstrukturen aufgebaut hätte. Aber die Herrschenden schauten weg.
Nun soll endlich geholfen werden und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) rief in den Reihen der Bundeswehr medizinisches Personal zur Hilfe auf. Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit, zog nach und forderte Ärtzinnen und Ärzte, Schwestern und Pfleger auf nach Westafrika zu gehen. Und immerhin, es dauerte nur einige Tage und 4.500 (!) Menschen in Uniform und in Zivil bekannt gaben, helfen zu wollen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nur darauf gewartet hatten, dass endlich der Ruf kommt.
Ob den Menschen in Westafrika diese aufopferungsvolle Bereitschaft nützen wird bleibt indes zweifelhaft. Denn dazu müsste das Gerede der deutschen Bundesregierung eben mehr sein als bloße Lippenbekenntnisse. Aber das muss man wohl in Zweifel ziehen. So wurde ein Fall bekannt, in dem sich die Bundesregierung weigerte einem Kinderkrankenhaus in Sierra Leones Hauptstadt Freetown 200.000 Euro an Hilfsmitteln zu gewähren. Die Organisation Cap Anamur, die dieses Hospital unterhält, hatte dort selbst eine Isolierstation errichtet, um schnell helfen zu können und da sie damit schon begonnen hatte, konnte man das Geld nicht überweisen, so die schlichte und menschenverachtende Begründung.
Doch auch die Summen als solche, die nun locker gemacht werden sollen sind geradezu humorvoll niedrig. Die Mediziner der Bundeswehr sollen in einem noch zu errichtenden Krankenhaus in Liberia und einer Seuchenstation in Sierra Leone zum Einsatz kommen. Dafür will die Bundesregierung 20 Millionen Euro hinlegen. Man bedenke: Gerade läuft ein Beschaffungsprogramm für 140 Eurofighter, Stückpreis 86 Millionen Euro. Man braucht nicht extra Mathematik zu studieren, um zu errechnen, wie viele Krankenhäuser man für einen Eurofighter in der Krisenregion errichten könnte.
Und diesen Irrsinn gibt es nur im kapitalistischen Profitsystem: Von den 109 von der Bundeswehr bislang beschafften Eurofightern langweilen sich gerade 103 am Boden – sie sind defekt! In der Wahl zwischen militärischem Edelschrott und der Hilfe für eine im menschlichen Unglück versinkende Region, hat sich die Bundesregierung zu Gunsten der deutschen Rüstungsindustrie entschieden. Kapitalismus tötet!
Aber auch bei den Ärztinnen und Ärzten ist die Sache nicht ganz so einfach: Die Mitglieder der Bundeswehr müssen erst noch geschult werden und so wird es noch Wochen oder gar Monate dauern, bis endlich die dringend gebrauchte Hilfe ankommen wird. Im zivilen Bereich ist es nicht besser: Der Stellenabbau in den deutschen Krankenhäusern, die Streichung von Pfleger-. Schwestern- und Arztstellen, die die Politik der etablierten Parteien von Grün, über SPD und FDP bis zu CDU/CSU zu verantworten hat, haben es vielen Krankenhäusern unmöglich gemacht einfach so auf Personal zu verzichten und die wenigen Krankenhäuser, die noch Seuchenisolierstationen haben können dort auf niemanden verzichten, aber genau diese Fachkräfte würden gebraucht!
Das nun die Bundesregierung noch 1,5 Millionen Euro für die Forschung an einem Mittel gegen Ebola ausgeben will ist schon nur noch eklig. Peanuts könnte man auch sagen. Würde die Bundesregierung für diesen Betrag Gummihandschuhe kaufen, wäre der Krisenregion wahrscheinlich mehr geholfen.
Was ist alles möglich, wenn die Herrschenden Krieg führen wollen, um die Profite zu sichern? Da werden schnell russische An-124 gechartert. Pro Einsatz flogen sie mit 150 Tonnen an deutschem Kriegsgerät nach Afghanistan und transportieren gerade jetzt in rollenden Einsätzen Bundeswehrtechnik zurück. Aber beim Flug nach Senegal streikte die deutsche Transportmaschine Transall. Im militärischen Ernstfall werden binnen Tagen britische und US-amerikanische Flugzeugträger in jeden Winkel der Erde geschickt, mit Luftkissenfahrzeugen werden Truppen und Material angelandet. Warum passiert bei Ebola nichts von all dem? Warum hört niemand die Hilferufe von „Ärzte ohne Grenzen“ und dem Klinikpersonal vor Ort? Weil Krieg eine Form des Sterbens ist, an dem gut verdient wird. Ebola hingegen ist eine Form des Sterbens, an der niemand verdient. Kapitalismus tötet! So einfach ist das.
Würde man helfen wollen, warum schickt man dann nach ermüdend langem Prozedere wie jetzt die USA 3.000 Soldaten? Warum schickt man nicht 3.000 ABC-Schutzanzüge aus dem Arsenal der Armeen? Warum haben nur Armeen diese Technik und warum nicht Hilfsorganisationen? Warum müssen Helfer in provisorischer und oft genug völlig ungenügender Schutzkleidung arbeiten und sich der Gefahr der Ansteckung aussetzen, während es alles gibt, was nötig wäre?
Von einer Katastrophe zur nächsten
Der Kapitalismus führte Afrika in die Armut, Sierra Leone und Liberia in den Bürgerkrieg und all das führte zur jetzigen Situation. Doch damit endet der Leidensweg noch lange nicht. In Liberia bestellt niemand mehr die Felder, weil Wanderarbeiter nicht mehr von Dorf zu Dorf ziehen können. Ganze Landstriche stehen unter Quarantäne. Menschen hungern schon jetzt, wenn nun auch noch die Ernte ausfallen wird, dann steht Westafrika vor einer schrecklichen Hungersnot. Die mit Gewalt durchgesetzten Ausgangssperren bringen die Bevölkerung auf, es wird bereits geschossen und das wirtschaftliche Leben erliegt. Wenn im nächsten Jahr diese Seuche endlich überstanden sein wird, dann stehen die betroffenen Länder vor dem absoluten nichts. Der Kapitalismus schleppt sich von der einen Katastrophe zur nächsten.
„Es gibt keine Alternative als die sozialistische Revolution!“ (Ernesto Ché Guevara)
Ebola ist keine Erfindung des Kapitalismus, Seuchen wird es in einer sozialistischen Welt auch geben. Doch in einem System, in dem nicht der Profit, sondern die Bedürfnisse der Menschen den Ton angeben, wird es auch in Westafrika ein flächendeckendes Gesundheitswesen geben. Seuchen würden frühzeitig als das erkannt, was sie eben sind und würden ein Räderwerk in Gang setzen: Aufklärung in allen Landesteilen, Unterstützung – auch psychologische – für HelferInnen und Betroffene, demokratische Strukturen vor Ort würden den Einsatz aller Mittel veranlassen und bei fehlenden Ressourcen um Hilfe bitten und diese bekommen. Es würde ein Plan für den Umgang mit der Seuche erstellt und umgesetzt werden, bei dem niemand mehr auf Finanzen zu schauen hätte, sondern nur noch darauf, was am wirksamsten hilft. Die notwendige Ausrüstung hätte nicht mehr das Militär für den nächsten Krieg in den Depots, sondern die Institutionen und Organisationen, die diese Dinge benötigen.
Stattdessen müssen wir erleben, was wir erleben. Die Opfer von Ebola hätten etwas besseres verdient. Wir alle hätten etwas besseres verdient! Doch unter kapitalistischen Verhältnissen werden wir es nicht bekommen. Es wird aller Voraussicht nach nicht der letzte Ebola-Ausbruch sein und nicht das letzte Mal, das kapitalistisches Chaos die Dinge noch mehr verschlimmert. Das ist das vielleicht eigentlich Tragische.
Wenn es anders werden soll, dann muss sich etwas Grundlegendes ändern. Im Kapitalismus ist das jedoch unmöglich und so bleibt nur eine Alternative und die hat der Revolutionär und Doktor der Medizin Ernesto Ché Guevara seinerzeit treffend erkannt. Vor Studenten sagte er einmal, als er erlebte, wie eine alte Frau sich nach einem harten, arbeitssamen Leben nicht die geringste Behandlung und nicht auch nur das billigste Medikament leisten konnte, sei ihm klar geworden, dass es wichtigeres gebe als ein berühmter Forscher zu sein und bürgerlichen Luxus zu erstreben, „nämlich, diesen Menschen zu helfen.“ So wurde Dr. Guevara zum sozialistischen Revolutionär.