DIW veröffentlicht „Herbstgrundlinien 2014“
Der Wochenbericht 38/2014 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) vom 17. September enthält eine ausführliche Wirtschaftsprognose bis Ende 2015. Die Überschrift verkündet: „Deutsche Wirtschaft schwenkt wieder auf Aufwärtskurs ein“. Ist das realistisch?
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Zunächst einmal fällt auf, wie gering die Erwartungen der bürgerlichen Ökonomen inzwischen geworden sind, über wie wenig sie sich schon begeistern.
Prinzip große Worte
Zum Beispiel heißt es auf Seite 883: „Die Löhne steigen im Prognosezeitraum kräftig.“ Gemeint ist damit, dass die Tariflöhne 2014 um 1,4 Prozent schneller steigen als die Preise, 2015 um ein Prozent. Die effektiven Stundenlöhne sollen 2014 um ein Prozent und 2015 (dank der Einführung des Mindestlohns) um 1,5 Prozent schneller steigen als die Preise. Wenn das ein kräftiger Anstieg der Löhne ist, was ist dann ein schwacher?
Und auch der „Aufwärtskurs“ der Wirtschaft ist bei näherem Hinsehen nicht so berauschend. Für dieses Jahr erwarten sie ein Wachstum von 1,5 Prozent, für 2015 von 1,8 Prozent („Dies liegt jedoch daran, dass im Jahr 2015 mehr Arbeitstage anfallen“ – Seite 885). Das wäre sicher mehr als die Beinahe-Stagnation von 2012 und 2013 (0,4 beziehungsweise 0,1 Prozent Wachstum), aber nur halb so viel wie 2011 (3,6 Prozent). 2010 waren es sogar 4,1 Prozent. Tatsächlich gehen sie in ihrer mittelfristigen Prognose von einem jährlichen preisbereinigten Wachstum von 1,5 Prozent bis 2019 aus.
Einmal muss es ja klappen?
Zu den Gründen für den prognostizierten Aufwärtskurs gehören die niedrigen Zinsen, die expansive Geldpolitik der Zentralbanken. Aber die Zinsen sind schon seit Jahren extrem niedrig, die Geldpolitik ist expansiv – und das hat bisher erstaunlich wenig Auswirkung auf die „Realwirtschaft“ gehabt. Warum soll es jetzt grundlegend anders sein.
Ebenso ungewiss ist, ob steigende Reallöhne (abgesehen von ihrem begrenzten Umfang) ausgegeben oder nicht vielleicht zum Schuldenabbau oder Sparen für schlechte Zeiten verwendet werden. Aber das DIW baut auf diese Konsumsteigerung, die dann schließlich zu wachsenden Investitionen führen soll …
Aber auch ihre Sympathie für privaten Konsum ist nicht ungeteilt. Sie leiden unter der Schizophrenie der bürgerlichen Ökonomen, die das gleiche Phänomen unter dem einen Blickwinkel loben und unter dem anderen verurteilen. Entsprechend preist das DIW neben dem Konsum die „Wirtschaftsreformen“ in Südeuropa mit ihrem Kahlschlag bei Löhnen und Sozialleistungen.
Zu rosig
Es ist sicherlich nicht alles Unsinn, was das DIW schreibt. Viele der von ihm beschriebenen Faktoren werden sicher in den kommenden Monaten eine wichtige Rolle spielen.
Aber es ist lachhaft, so zu tun, als könne man auf eine Stelle hinter dem Komma genau angeben, wie sich die verschiedenen wirtschaftlichen Kennziffern unter dem Einfluss dieser einander oft entgegenwirkenden Faktoren über sechs Quartale hinweg entwickeln werden.
Und außerdem neigen die „Herbstgrundlinien“ dazu, eine möglichst rosige Entwicklung zu prognostizieren. Vor allem nehmen sie an, dass die Ukraine-Krise bis Jahresende abflaut und im nächsten Jahr wegen der Krise unterbliebene Investitionen nachgeholt werden. Der Leiter der DIW-Abteilung Konjunkturpolitik, Ferdinand Fichtner, sagt im Interview: „Wenn dem nicht so sein sollte, besteht tatsächlich die Gefahr, dass die Investitionszurückhaltung, die wir auch in Deutschland als Folge dieser politischen Spannungen beobachten, länger Bestand hat. Die folgende Konjunkturschwäche schlägt dann möglicherweise auch auf den Arbeitsmarkt durch. So könnten wir in eine Spirale geraten, in der der immer schlechter werdende Arbeitsmarkt zu einer schwächeren Konsumdynamik und damit wiederum zu einer schwachen Konjunktur und noch schwächerer Beschäftigung führt. Je länger uns die Krise begleitet, umso größer wird die Gefahr, dass die deutsche Wirtschaft in einen solchen Teufelskreis gerät“ (Seite 900). Aber warum sie in ihrer Prognose stattdessen ein Nachlassen der Spannungen unterstellen, begründen sie nicht.
Tatsächlich ist die politische und wirtschaftliche Lage so instabil, dass die optimistische Prognose des DIW ebenso wie eine wesentlich pessimistischere Prognose eintreten kann – bis hin zu einer neuen schweren Finanzkrise.