IrakerInnen und KurdInnen dürfen ihren imperialistischen „Helfern“ nicht vertrauen
Der folgende Artikel erschien zuerst am 16. August auf der englischsprachigen Webseite socialistworld.net
von Robert Bechert, CWI
Millionen von ArbeiterInnen weltweit sind schockiert vom rapiden Fortschreiten der extrem religiös-fundamentalistischen ISIS (Islamischer Staat im Irak und der Levante), die jetzt die Errichtung des Kalifats des „islamischen Staats“ proklamiert haben.
Obwohl die meisten „Berichte“ aus dem Kriegsgebiet mit Vorsicht zu genießen sind, besteht kein Zweifel an der sektiererischen Brutalität von ISIS gegenüber GegnerInnen und anderen Religionen, was sie selbst in Propagandavideos zur Schau stellen. Trotz ihrer Opposition gegenüber den großen imperialistischen Mächten und ihrer populistischen Ablehnung einigen Auswirkungen des Kapitalismus ist ISIS in keinster Weise fortschrittlich und steht nicht für das Ende von Ausbeutung und Unterdrückung. Ihr Vorgehen beinhaltet diktatorische, faschistische Methoden zur Zerschlagung von allem, was nicht ihrer Version des Islam und ihrem Führers, jetzt umbenannt in Kalif Ibrahim, folgt. In der Praxis geht ISIS einen mörderischen Weg, ähnlich dem anderer religiöser Fundamentalisten vor ihnen, wie die katholischen Kreuzritter, die auf ihrem Marsch durch den Nahen Osten im Mittelalter Moslems & Muslimas, Juden & Jüdinnen und orthodoxe ChristInnen abgeschlachteten oder den Kontrahenten im europäischen Dreißigjährigen Krieg im 17. Jahrhundert.
Das Fortschreiten von ISIS ist nicht nur eine Bedrohung für jene, die ihre Herrschaft nicht akzeptieren oder einer anderen Religion folgen, sondern wird auch für die westlichen imperialistischen Mächte zum Problem. ISIS droht nicht nur Staaten, die auf der Basis des Sykes-Picot-Abkommen von 1916 begründet wurden, zu sprengen, sondern repräsentiert den größten „Rückschlag“ für Bushs und Blairs neokonservative Strategie nach dem 11. September 2001, was nun die Position des westlichen Imperialismus im Nahen Osten und darüber hinaus untergraben könnte.
Imperialistische Heuchelei
Während der Suche nach Antworten auf ISIS, versucht der Westen verzweifelt wenigstens einen kleinen Propagandavorteil aus dem Vormarsch von ISIS zu schlagen. Westliche Führer versuchen, sich als humanitäre Verteidiger der Unterdrückten darzustellen und so dem giftigen Erbe der Irak-Invasion von 2003 zu entgehen.
Das ist aber nicht möglich. Der Vormarsch von ISIS repräsentiert eine vernichtende Niederlage der bisherigen Politik der USA und Großbritanniens mit der Unterstützung der großen Parteien in beiden Ländern – RepublikanerInnen & DemokratInnen in den USA und Labour (Sozialdemokratie) und Konservative in Großbritannien.
Zur Zeit der Irak-Invasion warnte das CWI, dass diese imperialistische Intervention zum Zerfall des Iraks in rivalisierende ethnische und religiöse Einheiten führen würde. Wir sagten das nicht als UnterstützerInnen der Diktatur Saddams, sondern weil die einzige fortschrittliche Kraft, die Saddam stürzen hätte können, eine Bewegung der irakischen ArbeiterInnen und verarmten Massen gewesen wäre. Das CWI warnte, dass der Irak ohne eine solche Massenbewegung, die fähig wäre mit Kapitalismus und Imperialismus zu brechen, zu Abspaltungen in ethnische oder religiöse Einheiten führen können, die von neuen Möchtegern-Mini-Saddams regiert werden.
Diese Argumentation wurde von Tony Blair zurückgewiesen, dem Chefpropagandisten der Invasion von 2003, der dieses imperialistische Abenteuer mit der Behauptung, dass nur eine Intervention Saddams Diktatur beenden könne, tarnen wollte. Die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, die 2011 mit Massenaktionen Diktatoren stürzten, zeigten, dass das falsch war. Allerdings war Tony Blair nie gegen Diktatoren sondern nur gegen solche, die nicht mit ihm übereinstimmten. Folglich ist es kein Problem für ihn, mit dem neuen ägyptischen Möchtegern-Diktator Sisi zusammenzuarbeiten und als Berater bezahlt zu werden.
Jetzt versucht Blair zu behaupten, dass ISIS gewachsen ist, weil der Westen darin versagt hat, die Opposition in Syrien zu bewaffnen. Aber im Irak hat sich ISIS selbst bewaffnet und zwar durch die Eroberung von Waffen, die die irakische Armee vom Westen bekommen hatte. Eine Zeitlang sahen Elemente des Westens und des Nahen Ostens ISIS positiv; im Juni veröffentlichte ISIS im Internet Fotos von einigen ihrer Kämpfer mit dem rechts-außen US-Senator John McCain, der von seiner „sehr bewegenden Erfahrung, diese Kämpfer zu treffen“ sprach.
Die türkische Regierung, die das Wachstum von ISIS in Syrien bis vor kurzem praktisch toleriert hat, in dem sie freie Bewegung über die Grenzen erlaubte, fühlt sich jetzt von der gestärkten ISIS bedroht, die sowohl die engen Beziehungen bedroht, die Ankara mit der regionalen kurdischen Regierung im Nordirak hat, als auch langfristig Auswirkungen innerhalb der Türkei haben kann.
Der Irak zerfällt
Im Irak war die Geschwindigkeit des ISIS-Vormarschs ein Ergebnis der sektiererischen Politik, die von der schiitischen Clique um Nuri al-Maliki betrieben wurde und sunnitische Stämme und KurdInnen entfremdete. Das beschleunigte den Zerfall des Landes.
Es unsicher, ob der neue irakische Premierminister Abadi fähig sein wird, die Unterstützung einiger sunnitischer Stämme und Oppositioneller zu gewinnen, die sich als Reaktion auf die sektiererische Politik Malikis ISIS angeschlossen haben. Während Saudi-Arabien und der Iran, die jeweils führenden sunnitischen und schiitischen Mächte, Abadi willkommen geheißen haben, ist unklar, wie viele irakische SunnitInnen ihn als einen Bruch mit der bisherigen sektiererischen schiitischen Herrschaft sehen.
Nach den fürchterlichen Berichten über ISIS‘ Umgang mit GegnerInnen oder denen, die sie als „Ungläubige“ sehen, ist es selbstverständlich, dass Forderungen nach Aktionen, die ihren Vormarsch stoppen, aufkommen. Nach den Kriegen und dem „Neuaufbau“ in Afghanistan und im Irak ist nirgends auf der Welt die Erwartung verbreitet, dass eine neuerliche westliche Stationierung die Situation grundlegend verändern würde. Die westliche herrschende Klasse möchte mit Sicherheit vermeiden, noch einmal eine große Anzahl von Truppen auf irakischem Boden zu platzieren, obwohl nicht völlig ausgeschlossen werden kann, dass es Versuche, Teile des Iraks zu halten, geben könnte.
Mit dem Zusammenbruch des militärischen Widerstands der irakischen Armee gegen ISIS, versucht der westliche Imperialismus umgehend, kurdische Kräfte zu stärken, speziell jene, die mit der regionalen Regierung zusammenarbeiten. Das ermöglicht es dem westlichen Imperialismus, so hoffen sie, in der Region Einfluss zu behalten. Es ist kein Zufall, dass die britische Regierung einen ihrer rechtesten politischen Figuren, Hadhim Zahawi, der kurdische Wurzeln hat, nach Ibril schickt. Aber kurdische ArbeiterInnen und Jugendliche sollten solchen „Helfern“, die, wie in Zahawis Fall, furchtbare Angriffe auf die Armen in ihrem Heimatland unterstützen, auf keinen Fall vertrauen!
Arbeitende Bevölkerung muss unabhängig handeln!
Diese Mächte sind dazu bereit, sektiererische religiöse Regimes wie in Saudi-Arabien zu unterstützen, wenn es für sie nützlich ist. Um den sektiererischen Krieg, der sich ausbreitet, zu stoppen, ist es notwendig, dass ArbeiterInnen Widerstand organisieren, einen Widerstand, der gegen die sektiererischen Angriffe durch Kräfte wie ISIS und schiitische Todeskommandos, die in und rund um Bagdad operieren, kämpfen und zugleich das Recht auf Selbstbestimmung der Völker, zum Beispiel der KurdInnen, verteidigen.
Die Grundlage dafür kann nur die Bildung von demokratisch verwalteten, nicht sektiererischen Komitees als Basis für die Selbstverteidigung der Bevölkerung sein, die jene SunnitInnen anziehen könnte, die sich ISIS angeschlossen haben, um sich gegen sektiererische schiitische Angriffe zu verteidigen. Ohne einen solchen nicht-sektiererischen Zugang besteht die Gefahr, dass imperialistisch unterstützte Militäraktionen ISIS in manchen Regionen nicht schwächen sondern die Unterstützung sogar noch verstärken würden.
Jedenfalls werden militärische Rückschläge für ISIS nicht das Ende der Krise sein, die Irak und Syrien ergriffen hat. In beiden Ländern braucht der Kampf gegen Unterdrückung, Diktatur und Armut die Bildung einer Bewegung von ArbeiterInnen. Nur eine solche Bewegung kann für demokratische Rechte (einschließlich voller Religionsfreiheit), gegen weitere imperialistische Interventionen und für eine Regierung, die von wirklichen RepräsentantInnen der ArbeiterInnenklasse und der Armen geführt wird, die bereit sind, mit dem kapitalistischen System, dass für die Völker im Nahen Osten versagt hat, zu brechen und die sozialistische Umgestaltung der Region zu beginnen.