Kein Zugeständnis an Arbeitgeber!
Letztes Jahr gelang es den streikenden Beschäftigten im Einzelhandel, mit der Gewerkschaft ver.di die einseitige Kündigung aller Manteltarifverträge durch die Arbeitgeber abzuwehren. Das war, besonders unter den Bedingungen eines hohen Anteils von prekär Beschäftigten, ein Erfolg. Einige AktivistInnen warnten aber auch vor Fallstricken, die in der von ver.di unterzeichneten Vereinbarung enthalten waren. „Solidarität“ sprach mit Susanne Mantel, Betriebsrätin im Einzelhandel und Mitglied der ver.di-Tarifkomission Berlin-Brandenburg*, über die Herausforderungen, die sich jetzt für ver.di stellen. (* Angabe der Funktion dient nur zur Kenntlichmachung der Person)
Zum Beispiel wurde ein neuer Tarifvertrag für Warenverräumung mit einem Stundenlohn von 9,74 Euro abgeschlossen. Laut ver.di sollte es so gelingen, Beschäftigte dieser häufig ausgegliederten Tätigkeit in die Tarifbindung der Stammunternehmen zu holen und damit die Löhne der WarenverräumerInnen deutlich anzuheben.
Arbeitgeber nutzen Niedriglohngruppe
Stattdessen strebt Kaufland nun an, Teile seiner Belegschaft in den neuen Tarifvertrag abzugruppieren. Auch Lidl hat angekündigt, dass die Auffülltätigkeiten in der Zukunft nicht mehr von KassiererInnen übernommen werden, sondern MitarbeiterInnen nur dafür eingestellt werden sollen. Für Susanne Mantel ist das alles wenig überraschend. „ver.di sollte die Lehre daraus ziehen, dem Arbeitgeber keine neuen Türen durch Niedriglohngruppen zu öffnen.“
Weiterer Bestandteil der Tarifeinigung war das Vorgehen hinsichtlich der „Modernisierung der Tarifverträge“. Ziele sind eine neue Entgeltstruktur, Änderungen der tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit sowie der Umgang mit dem demografischen Wandel. Die Verhandlungen werden in den nächsten Wochen beginnen. Ein Problem stellt dabei die vereinbarte Friedenspflicht dar. Eine große Gefahr besteht darin, dass die Löhne der Beschäftigten über eine neue Entgeltstruktur abgesenkt werden.
„Der Arbeitgeberverband wird versuchen, mit eigenen Forderungen den Ton anzugeben. Um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen, muss man sich gezielt vorbereiten. ver.di muss mit klaren Forderungen in die Verhandlungen gehen – Forderungen, die ver.di für die Beschäftigten interessant macht. Es muss sich lohnen, sich aktiv in der Gewerkschaft zu organisieren“, sagt Mantel. Um eine Abgruppierung über neue Tätigkeitsprofile zu verhindern, schlägt sie deshalb vor, dass ver.di mit einer Grundgehaltsforderung für alle Beschäftigten im Handel in die Verhandlungen geht, die deutlich über dem jetzigen Einstiegs-Stundenlohn von 9,77 Euro (K1 Einstiegsgehalt) in der untersten Gehaltsgruppe liegt. Ein Einstiegsgehalt sollte sich ihrer Meinung nach eher an einem Stundenlohn von zwölf Euro orientieren. Auf dieses Grundgehalt könnte dann ein Plus wegen Zusatzqualifizierung, Kassenverantwortung oder ähnlichem angerechnet werden. Zusätzlich müssen laut Susanne Mantel Wege gefunden werden, prekären Beschäftigungsverhältnissen den Riegel vorzuschieben.
Vorbereitung auf den nächsten Arbeitskampf
Die Friedenspflicht läuft Ende März 2015 aus. Im Oktober soll eine ver.di-Tarifkonferenz zur Frage der neuen Entgeltstruktur stattfinden. Es ist wichtig, dass sich ver.di-Aktive in die Diskussionen einmischen.
Die Arbeitgeber werden immer wieder mit der Kündigung der Manteltarifverträge drohen. Doch ver.di darf sich diesem Druck nicht beugen. Mantel bekräftigt: „Wir sind schon jetzt gefordert, Vorbereitungen für einen Arbeitskampf 2015 zu treffen. Dass ein Streik immer ein Mittel ist, um Menschen für den Gewerkschaftsgedanken zu begeistern, haben die Neueintritte 2013 gezeigt. Jetzt liegt es an ver.di, die neu gewonnenen Mitglieder zu halten, mit deren Kraft starke Forderungen aufzustellen und diese gegenüber dem Arbeitgeberverband zu behaupten.“
Dabei müssen die Lehren aus der Streikbewegung im letzten Jahr gezogen werden. Beeindruckend war die Bereitschaft vieler KollegInnen, 20, 30, 50 und sogar noch mehr Tage zu streiken. Was fehlte, war eine bundesweite Koordination und Steigerung des Kampfes durch die ver.di-Führung. Vorschläge wie eine bundesweite Demonstration sowie eine Streikkonferenz mit Delegierten aus den bestreikten Betrieben sollten beim nächsten Mal in die Tat umgesetzt werden. Es wäre gut, wenn sich AktivistInnen im Einzelhandel vernetzen, um Vorschläge und Forderungen zu entwickeln und sich gemeinsam dafür stark zu machen.