Andere Games sind möglich
Ego-Shooter werden immer anspruchsvoller und realistischer, Kooperationen zwischen Rüstungs- und Videospielindustrie nehmen zu, genau wie bewaffnete Auseinandersetzungen und imperialistische Konflikte. Diese und weitere Verbindungen beleuchtet Michael Schulze von Glaßer in seinem neuen Buch „Das virtuelle Schlachtfeld – Videospiele, Militär und Rüstungsindustrie“.
von David Redelberger, Kassel
Es gibt politische GamerInnen und gamende AktivistInnen – ich kann mich mit beiden Begriffen identifizieren. Nicht nur deshalb habe ich mich sehr gefreut, dieses Buch zu lesen, denn es stößt in ein Vakuum. Meiner Erfahrung nach neigen viele GamerInnen dazu, beim Spielen komplett abschalten zu wollen, während einige politische AktivistInnen den Sinn von Videospielen, in welchen Militarismus und Kapitalismus gutgeheißen werden, nur schwer nachvollziehen können und deshalb auf (zu weite) Distanz zur Gaming-Szene gehen. Michael Schulze von Glaßers Buch richtet sich sowohl an GamerInnen als auch an AktivistInnen und ist dementsprechend angenehm einsteigerfreundlich geschrieben.
Virtuelle Kämpfe – reale Hintergründe
Das Buch geht zunächst allgemein auf Militärvideospiele und die Gewaltdarstellung in ihnen ein und stellt dann wiederkehrende inhaltliche Elemente dar. Der Autor hat die besprochenen Games alle durchgespielt, stellt deren Inhalt dar und sortiert sie thematisch ein. Schnell wird deutlich, dass die virtuell dargestellten Feindbilder und militärischen Konflikte einhergehen mit den momentanen imperialistischen Auseinandersetzungen in der realen Welt – kein Wunder, sind doch die größten Firmen der Videospieleindustrie in den USA oder Europa ansässig. Zu jedem thematischen Feld schließt deshalb auch eine Kritik an. Im Spiel „Call of Duty: Modern Warfare 2“ beispielsweise haben im Jahr 2016 russische Nationalisten die Macht in Russland übernommen. Eine Abspaltung v
on diesen organisiert einen Anschlag auf den Moskauer Flughafen, der/die SpielerIn führt diesen als verdeckt operierender US-Soldat mit durch, um die Gruppe zu infiltrieren. Mehrere 100 ZivilistInnen und Sicherheitspersonal sterben dabei, weshalb das Massaker später in der realen Fachpresse heftig kritisiert wurde. Im Spiel greift das US-Militär ähnlich wie in der realen Welt in politische Auseinandersetzungen in einem anderen Land ein, um diese zu beeinflussen.
Militarisierung von Gaming
Im dritten Teil des Buches werden dann die Beziehungen und Verbindungen zwischen Militär, Rüstungs- und Videospielindustrie beleuchtet. Dabei gibt es ein beiderseitiges Interesse an Kooperation aus verschiedenen Gründen: Aus Sicht der Videospieleindustrie die Authentizität und verbesserte Absätze, aus Sicht der Rüstungsindustrie größere Bekanntheit und eventuelle Lizenzgebühren. Angehörige von Armeen werden gern als „militärische BeraterInnen“ für Videospiele eingesetzt, während andersherum SoldatInnen immer häufiger an Bildschirmen mit auf Games basierenden Programmen trainiert werden – im Laufe der Zeit wurden aus einigen Videospieleherstellern so sogar Rüstungsfirmen. Es zeigt sich auch die Schwierigkeit, überhaupt an diese Informationen zu kommen, denn beide Seiten hüllen sich gern in Schweigen. Eine kleine Anfrage der Linksfraktion von 2011 thematisierte diese Verbindungen bei der Bundeswehr sowie deren Nachwuchswerbung bei der Videospielmesse gamescom.
„Andere Games sind möglich!“
Im vierten und letzten Teil schließlich folgt die aus politischer Sicht sicherlich interessanteste Differenzierung zwischen Kriegsspielen und Antikriegsspielen. Michael Schulze von Glaßer diskutiert hier, was ein Videospiel zum Antikriegsspiel macht und zeigt, dass nicht alle Spiele kriegsverherrlichend sein müssen, schließlich hat er seinem Buch das „langfristige Ziel einer Welt ohne Armeen“ zugrunde gelegt. So wird zum Beispiel das Spiel „Specs Ops: the Line“ als Antikriegsspiel genannt, bei welchem in einer Szene auf Befehl des/der Spielers/Spielerin weißer Phosphor eingesetzt wird, auch gegen ZivilistInnen. Anschließend sieht man das Ergebnis des eigenen Befehls in Form von verkohlten und verbrannten Leichen, abgetrennten Gliedmaßen und ähnlichem – das Spiel lässt einen selbst an dieser Stelle nicht rennen und der/die SpielerIn ist so gezwungen, sich mit den eigenen Taten auseinanderzusetzen.
Fazit
Wir sollen an Kriege gewöhnt werden. Zunehmend werden Auslandseinsätze der Bundeswehr beschlossen. Das Buch zeigt, wie diese Gewöhnung am Bildschirm stattfindet. Die kommenden imperialistischen Kriege werden uns das bitter bewusst machen. In diesem Sinne wäre es wünschenswert gewesen, noch mehr politische Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Es gab bspw. bereits erste Proteste gegen die Bundeswehrpräsenz auf der gamescom, die auch im Buch erwähnt werden. Solche Aktionen sind sinnvoll und müssen ausgebaut werden, aber auch längere Kampagnen gegen Militarisierung könnten ein Mittel der Gegenwehr sein. Der Themenkomplex Militär-Rüstung-Videospiel braucht mehr kritische Aufmerksamkeit und dieses Buch ist ein sehr lesenswerter Einstieg.
Interview
Michael, wie bist du dazu gekommen, dich politisch mit der Verbindung zwischen Militär/Rüstung und Videospielen zu beschäftigen? Näherst du dich Thema eher als Aktivist, Journalist oder doch eher als Gamer?
Es ist eine Mischung aus allen drei: als Jugendlicher habe ich viel gespielt. In der Zeit habe ich mich aber auch politisiert und angefangen mich für meine Meinung zu engagieren – besonders im Bereich des Antimilitarismus. Später kam dann das journalistische Schreiben hinzu. Heute publiziere ich in verschiedenen Medien über die in Spielen dargestellte Politik, wobei meine Meinung natürlich in die Themenauswahl und die Artikel einfließt. Das ist eher untypisch für Videospiel-Journalisten, da sich besonders bei den großen Medien der Branche kaum jemand auch mit Politik auseinanderzusetzen scheint – da überwiegen die reinen „Gamer“. Kritische Berichterstattung findet kaum statt.
Die Kooperationen zwischen Rüstungsindustrie und Videospielindustrie nehmen eher zu, gerade seit deren kommerziellen Erfolg. Welche Auswirkungen hat das auf die Spiele?
Viele Spiele propagieren Militäreinsätze oder Kriegsgerät und werden nicht selten auch vom Militär oder Rüstungsunternehmen mitentwickelt. Allerdings sind diese Kooperationen sehr intransparent und es ist nicht immer klar wer mit wem, wie kooperiert – also ob die Rüstungshersteller etwa Lizenzgebühren von den Videospielproduzenten verlangen, wenn aus der Realität entnommene Waffen im Spiel auftauchen. Grundsätzlich ist die Auswirkung der Kooperation, egal in welcher Form sie stattfindet, natürlich eine zunehmende Militarisierung: die Verbraucher sollen vom Militär überzeugt und von Waffen begeistert werden.
Nicht nur Videospiele werden momentan immer mehr militarisiert, auch Kriegsgerät bekommt Gaming-Elemente, zum Beispiel in Form von Konsolen-Controller zur Steuerung von bewaffneten Drohnen. Wie schätzt du die zukünftige Entwicklung ein? Wird es eine „Gamification“ von Kriegen und bewaffneten Auseinandersetzungen geben?
Bei Militäreinsätzen braucht man immer Leute vor Ort – ohne Soldaten, die auf den Straßen auch mit den Menschen sprechen ist ein Land nicht zu erobern. Daher hat die Automatisierung des Krieges ihre Grenzen. Zumindest wenn das Ziel der Krieges auch die Beruhigung des Landes nach der Eroberung vorsieht. Bei hochtechnisierten Waffen wie Drohnen sieht man aber wie erwähnt schon eine Nähe zu Videospielen. Also kurz gesagt: die „Gamification“ von Kriegen wird zunehmen, hat aber eine absehbare Grenze.
Was können Linke tun, um den Entwicklungen bei Videospielen entgegen zu treten? An welchen Punkten können wir aktiv werden? Welche Rolle sollte die Partei die Linke spielen?
Ein erster Schritt ist Aufklärung: in Schulen sollte mehr über Medien aufgeklärt werden. Diese Forderung ist nicht neu, muss aber endlich umgesetzt werden. Die jungen Menschen müssen dazu angehalten werden zu reflektieren was sie in Videospielen aber auch in Nachrichtenmedien vorgesetzt bekommen – sie müssen befähigt werden Propaganda zu durchschauen. Dabei können auch Kennzeichnungen am Anfang der Spiele helfen. So sollte beim Spielstart eingeblendet werden, dass die in vielen Spielen dargestellten Geschichten gegen elementare Internationale-, Menschen- und Kriegs-Rechte verstoßen – auch dafür kann die Politik sorgen. Eine weitere Forderung muss Transparenz sein: Videospiel-Unternehmen sollten offenlegen müssen mit welchen Rüstungsunternehmen sie in welcher Form kooperieren und ob das Militär ihr Spiel unterstützt hat. Es darf nicht darum gehen irgendwelche Spiele in einen Akt der Zensur zu verbieten. Aber es muss konkret vielmehr Reflektion, Aufklärung und Transparenz beim Medium „Videospiel“ stattfinden.