TTIP = ACTA durch die Hintertür?

Foto: https://www.flickr.com/photos/campact/ CC BY-NC 2.0
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Proteste wie bei ACTA sind wieder nötig!

2012 wurde von der Europäischen Kommission versucht, das Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement (Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommen) in der Europäischen Union (EU) durchzusetzen. Das scheiterte an Massenprotesten. Mit TTIP, TiSA und CETA kommen Teile von ACTA unter neuem Namen zurück.

von Tim Brandes, Berlin

Angeblich hätte sich durch ACTA in der Rechtslage hier nichts geändert. Doch die schwammigen Formulierungen in ACTA hätten die beteiligten Staaten verpflichtet, tiefe Eingriffe in Grundrechte vorzunehmen, wie die Privatsphäre sowie die Meinungs- und Informationsfreiheit. Damit sollten angeblich das Urheberrecht und der Schutz geistiger Eigentumsrechte gestärkt werden. Die Durchsetzung sollte, vom Rechtsstaat abgekoppelt, auf die Internetprovider übertragen werden. Diese wären als „Internet-Polizei“ verdachtsunabhängig für die Überwachung aller Daten auf Urheberrechtsverletzungen zuständig. Präventive Sperrungen zahlreicher Webseiten und Inhalte wären Realität geworden.

Du wirst kriminalisiert!

Jene sind im Internet jedoch schon Alltag: Du lädst ein Video deiner Geburtstagsparty bei Youtube hoch, während im Hintergrund ein Song von David Guetta läuft? Ein eindeutiger Verstoß gegen das Urheberrecht. Du lädst ein Bild von SpongeBob als Profilfoto bei Facebook hoch? Du versteigerst deine Kamera bei Ebay und holst dir dafür ein Produktfoto von der Internetseite des Herstellers? Alles Verstöße gegen das Urheberrecht. ACTA sollte das veraltete, nicht internetgemäße Urheberrecht in modernem Recht zementieren.

Bei Verstößen drohte die Netzsperre, das heißt einem konnte der Internetzugang und damit die Teilnahme am öffentlichen Leben im Netz weggenommen werden. Datenschutz und Netzneutralität waren in ärgster Gefahr. Das wollten die europäischen Bürgerinnen nicht hinnehmen. In Polen starteten bei Minusgraden die ersten Demonstrationen. Das Thema gelangte zunehmend in die Öffentlichkeit. International wurde zum 11. Februar 2012 hin mobilisiert. Deutschlandweit demonstrierten 100.000 Menschen in über 60 Städten gegen ACTA, davon allein 16.000 in München. Europaweit gab es Proteste in mehr als 200 Städten. Niemals zuvor haben weltweit so viele Menschen für ein offenes Internet und gegen eine übertriebene Urheberrechtsdurchsetzung protestiert. Und das alles dezentral organisiert! Das Thema gelangte in alle Medien, abends wurde sogar die „Tagesschau“ mit ACTA eröffnet. Aufgeschreckt auf Grund des massiven öffentlichen Drucks durch Proteste, Online-Petitionen und tausender E-Mails an Abgeordnete wurde der Ratifizierungsprozess gestoppt. Schließlich stimmte das Europaparlament mit überwältigenden 478 Stimmen dagegen, 165 Enthaltungen und 39 Befürwortern klar gegen ACTA. Die Entwicklung zeigt: Der Druck hunderttausender Menschen bewirkt doch etwas gegen „die da oben“. Vor allem die junge Generation hat erstmals erfahren, dass wir durch organisierten Protest Einschnitte in unsere Grundrechte erfolgreich abwehren können.

ACTA is back

Doch wie früher schon vermutet, soll ACTA unter anderem Namen zurückkehren. Wie schon damals werden in Hinterzimmern geheime Verhandlungen unter Mitwirkung von Lobbygruppen geführt. Statt ACTA heißen die Pläne nun TTIP, TISA und CETA. Die Öffentlichkeit und die nationalen Parlamente haben keine Möglichkeit sich zu informieren, geschweige denn Einfluss auszuüben. Demokratie? Fehlanzeige. So zeigen frühere Leaks von CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement), einem Freihandelsabkommen mit Kanada, dass für ACTA Paragraphen bis in den Wortlaut übernommen wurden. In neueren Leaks wurde eine Aufweichung vieler Punkte deutlich, was auch durch die Kommission bestätigt wurde. Den aktuellen Stand kann man jedoch aufgrund fehlender Transparenz nicht einsehen. Am Ende wird die Öffentlichkeit wieder vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne Möglichkeit zur Mitwirkung.

TiSA (Trade in Services Agreement) ist ein noch in Verhandlung stehender Vertrag zwischen den USA, der EU und 21 weiteren kleineren Ländern mit dem Ziel, Handelshemmnisse im öffentlichen Dienstleistungssektor zu beseitigen und dadurch neue Marktchancen zu eröffnen. Sprich, es geht um die Erleichterung von Privatisierung. Und das, obwohl die jüngste Kampagne „right2water“ gezeigt hat, dass die europäische Bevölkerung gegen Privatisierung ist.

Weiterhin wird seit einigen Jahren mit den USA über das TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) verhandelt. Die Verhandlungen sollen noch dieses Jahr beendet werden. Da die Zölle ohnehin schon sehr niedrig sind, geht es hauptsächlich um den Abbau von „nichttarifären Handelshemmnissen“. Das bedeutet einen de-regulierten Markt durch Aufweichung von Gesundheits-, Verbraucher- und Umweltschutzrichtlinien, welche noch mehr Hormonfleisch und auch Fracking nach Deutschland bringen können. Es sollen auch das Urheberrecht, Vorschriften zum geistigen Eigentum sowie deren Umsetzung verschärft werden. Gleichzeitig sollen Datenschutzrechte geschwächt werden, indem Unternehmen der Zugang zu individuellen persönlichen Daten für kommerzielle Zwecke erleichtert wird. Spätestens seit der NSA-Affäre dürfte allen bekannt sein, wie ernst die USA es mit dem Datenschutz meinen. Ironischerweise ist es bereits bittere Realität, dass die US-Regierung Büros der EU in New York, Washington und Brüssel verwanzt und ihr Computernetzwerk infiltriert hat, um so Zugang zu internen E-Mails und Dokumenten der EU zu erhalten.

TTIP stoppen

Inhalt der Verhandlungen sind auch Patent- und Markenrechte, welche die Interessen der Lobbys und internationalen Unternehmen schützen sollen. Mit TTIP werden alle Patente der USA auch in Deutschland gültig. Es dürften keine Generika (wirkungsgleiche Medikamente) mehr verkauft werden. Vieles ist in den USA patentierbar: Designs, Geschäftsideen, Saatgut und vieles mehr. Landwirte hätten es beispielsweise sehr schwer, ihre Produkte zu verkaufen, ohne Patentklagen zu riskieren.

Wie die komplizierten Vier-Buchstaben-Abkommen auch heißen, sie haben immer nur eines im Sinn: Die Durchsetzung der Interessen von Konzernen und Wirtschaft. Gerechtfertigt durch kaum nachweisbares Wirtschafts- und Arbeitsplatzwachstum wird versucht, erkämpfte europäische Standards zu beschneiden. Auf Verbraucherschutz und Grundrechte wird keine Rücksicht genommen. Das ist nicht hinnehmbar. Wie bei ACTA bedarf es einer starken Bewegung, um den Mächtigen zu zeigen, dass die Rechte und das Wohl der einfachen Leute keine Verhandlungsmasse sind. Mit entschlossenem Widerstand können wir auch diese wie zukünftige Vier-Buchstaben-Abkommen besiegen.