DIE LINKE stagniert, erzielt aber Erfolge in Köln und anderen Großstädten
Das Ergebnis der Wahlen vom 25. Mai ist für die Partei kein Anlass zum Jubeln. Sie bleibt auf dem Niveau ihres relativ schwachen Ergebnisses von 2009. Damals erreichte sie ca. 312.000 Stimmen (4,3 Prozent), dieses Mal kam sie auf rund 320.000 Stimmen (4,6 Prozent) und damit nicht in die Nähe des bei den Bundestagswahlen im vergangenen September abgerufenen Potenzials (583.000 Stimmen).
von Claus Ludwig, Köln
Diese Stagnation sollte man sich nicht schön reden. Allerdings konnte sich die Partei im Vergleich zu ihrem schwachen Abschneiden bei der Landtagswahl 2012 verbessern, als sie mit 2,5 Prozent unter 200.000 Stimmen blieb. Dieses Mal war mit den Piraten und v.a. der AfD die Konkurrenz weit stärker als 2009. Wenn man es wirklich sehr positiv formulieren will, hat sich die Partei in NRW auf Wahlebene stabilisiert.
Auffällig ist, dass die Partei in ihren ehemaligen Hochburgen mit Ruhrgebiet mit Ausnahme von Dortmund Federn lassen musste und dagegen in den wachsenden, vergleichsweise wohlhabenden Großstädten wie Köln, Bonn und Münster deutlich zugelegt hat. Ohne die Zugewinne in Köln allein hätte DIE LINKE.NRW weniger Stimmen geholt als 2009.
Die Verluste in Städten wie Duisburg und Essen haben teilweise mit dem desolaten Zustand der Partei selbst zu tun. In Essen gab es vor der Wahl lang anhaltende Querelen, die für die Bevölkerung politisch nicht zu durchschauen waren. In Duisburg hat die Ratsfraktion gegen die Beschlusslage der Partei der Vernichtung von günstigem Wohnraum zu Gunsten eines Outlet-Centers zugestimmt und die Kürzungshaushalte von SPD/Grüne mitgetragen. Die Quittung für diese Enttäuschung waren deutliche Verluste der LINKE und im Fall von Duisburg Wahlerfolge für die getarnten Faschisten von ProNRW und die offenen der NPD.
Doch die hausgemachten Pannen der Partei können die fläckendeckenden Verluste im Ruhrgebiet nicht erklären. Auch in Orten wie Oberhausen, wo die Partei eine erkennbar gute Arbeit macht, gab es Verluste, wenn auch nicht so gravierend.
Die soziale Zusammensetzung der Wählerschaft der Partei scheint sich geändert zu haben. Die Enttäuschten aus den armen und abgehängten Schichten erreicht man immer weniger. Dagegen hat DIE LINKE offensichtlich zugelegt unter großstädtischen ArbeitnehmerInnen mit mittleren Einkommen. Gerade in den wachsenden Städten wie Köln, Bonn, Münster und teilweise auch Dortmund sind diese Schichten von sozialen Problemen betroffen, trotz ihres relativ sicheren sozialen Status, vor allem von den rasant steigenden Mieten, aber auch oftmals von der sich verschlechternden Verkehrssituation oder dem Mangel an guten Kita-Plätzen. Viele dieser Stimmen hat DIE LINKE erstmals bei der Bundestagswahl im September 2013 von den Grünen gewonnen und konnte Teile davon auch bei der Kommunalwahl aktivieren.
Auf der Grundlage dieser veränderten Wählerschaft konnte die Partei dort punkten, wo sie ein gutes Image ohne Querelen und Chaos hat oder aktiv vor Ort gearbeitet hat, in den Stadträten, aber vor allem in den außerparlamentarischen Bewegungen und Initiativen
Erfolg in Köln
In der Domstadt konnte DIE LINKE im Vergleich zu den Kommunalwahlen mit ca. 27.000 Stimmen rund 10.000 hinzugewinnen und schnitt mit knapp 7 Prozent (2009: 4,8 Prozent) überraschend gut ab. Dies lag nicht an einem besonders aktiven oder engagierten Wahlkampf. Im Vergleich mit 2009 ist die Zahl der Aktiven eher gesunken. Die Plakate der Partei waren nicht wirklich auffällig, die Slogans nicht zugespitzt. DIE LINKE hatte zwar Stellung bezogen, z.B. gegen den Mangel an günstigen Wohnungen oder für die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen, aber hatte kein Thema als Alleinstellungsmerkmal. Die Forderung nach „mehr bezahlbarem Wohnraum“ hatten sich auch sämtliche etablierten Parteien verbal zu eigen gemacht, DIE LINKE hatte auf eine Präzisierung, wie bezahlbare Wohnungen entstehen können, verzichtet.
Allerdings reichte die Abwesenheit von Querelen und Skandalen aus, die Partei gut aussehen zu lassen. In Köln hatte es durchaus scharfe Auseinandersetzungen zwischen kommunalpolitischen „Realos“, die auf stark parlamentarische geprägte Arbeit setzen und dem linken Flügel um die Antikapitalistische Linke – AKL gegeben, der auch SAV-Mitglieder angehören. Über diese Differenzen wurde auch in den örtlichen Medien berichtet. Diese Konflikte wurden jedoch politisch ausgetragen, es gab keine persönlichen Attacken. Alle Strömungen der Partei waren in den Wahlkämpfen der letzten Jahre gemeinsam aktiv.
Die Existenz unterschiedlicher Ansätze in der Partei erwies sich für das Wahlergebnis eher als positiv. Über Veröffentlichungen und Fleißarbeit im Rat war die Partei auch in den Medien präsent – die Berichterstattung im letzten Jahr war eher positiv – und über die Mitglieder, welche für das Primat der außerparlamentarischen Bewegungen eintreten, war die Partei bei Aktionen vertreten, z.B. bei antifaschistischen Demonstrationen oder bei der Initiative Recht auf Stadt, welche durch den Kampf gegen eine Zwangsräumung bekannt geworden ist.
Grundlage für das relativ gute Wahlergebnis war jedoch eine Veränderung der WählerInnen-Basis. In der Hochhaussiedlung Chorweiler verdoppelte DIE LINKE zwar ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2009 von 6 Prozent auf 12 Prozent. Aber die Wahlbeteiligung sank massiv auf 16 Prozent, statt 5.000 nahmen nur 3.000 Menschen an der Wahl teil, so dass die Anzahl der Stimmen lediglich von 306 auf 363 stieg.
Im ehemaligen Arbeiterviertel Kalk, in dem der Ortsverein der LINKEN stark von Parteilinken geprägt wird und AKL- und SAV-Mitglieder als KandidatInnen antraten, stieg die Stimmenzahl hingegen von 530 auf 891 (+68 Prozent), der Anteil der LINKE konnte von 10,7 auf 14,4 Prozent gesteigert werden. Dies hat durchaus mit der starken Präsenz der Partei in Kalk zu tun, aber Basis ist die soziale Veränderung im Stadtteil. Kalk war bisher eher von Armut geprägt, aber in die Neubaugebiete sind viele Familien mit mittleren Einkommen gezogen, darunter viele Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, des Gesundheitswesens und der Medienbranche. Unter diesen Neuankömmlingen konnte DIE LINKE ebenso gut punkten wie bei ihren bisherigen WählerInnen aus den ärmeren Schichten. Der Unterschied ist, dass sie diese bei den Kommunalwahlen besser mobilisieren konnte.
Ähnliche oder sogar noch höhere Zuwachsraten bis zu 80 Prozent der Stimmen im Vergleich mit der Kommunalwahl 2009 erzielte die Kölner LINKE in weiteren Stadtteilen, die durch eine Mischung von Menschen mit niedrigen Einkommen und unter den Problemen einer wachsenden Großstadt leidenden ArbeitnehmerInnen mit durchschnittlichen oder leicht überdurchschnittlichen Einkommen geprägt sind, vor allem in den Zentren der Stadtbezirke in Nippes, Ehrenfeld, Mülheim und der Innenstadt.
Bürgerliche Parteien
Den etablierten bürgerlichen Parteien fällt es leichter, ihr Potenzial bei den Kommunalwahlen abzurufen. Während DIE LINKE nur knapp 50 Prozent ihrer Bundestagswahl-Stimmen mobilisieren konnte, erhielten SPD und CDU rund zwei Drittel der Stimmen. Die Grünen bekamen mit 800.000 Stimmen sogar mehr Unterstützung als bei der für sie schlecht verlaufenen Bundestagswahl, wo sie nur von 760.000 Menschen gewählt wurden.
Dieses Ergebnis bestätigt, dass Europa- und Kommunalwahlen in erster Linie Veranstaltungen für etwas wohlhabendere und gebildete Schichten sind, die Erwartungen und Hoffnungen in die kommunale Machtverteilung setzen. Im relativ wohlhabenden Münster beteiligten sich 60 Prozent an der Wahl, im armen Duisburg lediglich 40 Prozent.
Solange DIE LINKE überwiegend als linke Flanke des bestehenden Parteiensystems gesehen wird und vor Ort nicht deutlich machen kann, dass sie eine andere Art von Partei, die auf Selbstorganisation der „Verlierer“, der Ausgebeuteten setzt, bleibt ihr Potenzial daher begrenzt.
Bei den Etablierten bleibt im Kern alles beim Alten. Die SPD gewinnt leicht, CDU und Grüne verlieren minimal im Vergleich mit den letzten Kommunalwahlen und der Niedergang der FDP geht weiter.
Anfang vom Ende der Pro-Bewegung
Die sogenannte „Bürgerbewegung ProNRW“, eine sich als rechtspopulistisch bezeichnende Truppe mit deutlichen faschistischen Elementen, hat in ihrer Hochburg Köln, wo sie als ProKöln (PK) antrat, eine deutliche Niederlage erlitten. Sie verlor rund die Hälfte ihrer 20.000 WählerInnen und stürzte von 5,4 Prozent auf 2,6 Prozent ab. Sie verfehlte ihr Ziel, viertstärkste Fraktion im Rat zu werden und bekam statt fünf nur zwei Ratsmandate, verlor den Fraktionsstatus.
DIE LINKE und die AfD haben PK überholt, selbst die schwer angeschlagene FDP hat mehr Mandate. Auch die Piratenpartei und die lokale Gruppe Deine Freunde (grün-alternativ, basisnah) konnten jeweils zwei Ratsmandate erobern. Statt in acht ist ProKöln nur noch in fünf von neun Bezirksvertretungen präsent.
Die Bilanz im Rest von NRW fällt für die Pro-Bewegung gemischt aus. Die Stimmenzahl sank von 41.00 auf 36.000 Stimmen, obwohl auch Republikaner und NPD 23.000 Stimmen verloren. Allerdings wurden mehr Mandate erreicht. In Duisburg erzielte ProNRW mit rund 4 Prozent einen Erfolg, in mehrere Räte, u.a. Aachen, Essen, Bochum und Wuppertal, konnte ProNRW erstmals Ratsmitglieder entsenden.
Insofern ist die Pro-Bewegung der kompletten Katastrophe entgangen und kann noch nicht als erledigt betrachtet werden. Aber die kleineren Erfolge können die Schlappe von Köln nicht ausgleichen. Köln als Hochburg war für die Gruppe um den Leverkusener Rechtsanwalt Markus Beisicht der Schlüssel, um den Anspruch zu formulieren, zur bundesweit führenden „rechtspopulistischen“ Kraft zu werden. Die Stellung dort wurde genutzt, um von starken rechten Organisationen wie dem belgischen Vlaams Belang oder der FPÖ aus Österreich im Rahmen einer privilegierten Partnerschaft unterstützt zu werden. FPÖ und VB waren auf der Suche nach einem deutschen Partner für das EU-Parlament und hatten zeitweise gehofft, die Pro-Bewegung würde sich in diese Richtung entwickeln. Dieses Kapitel dürfte sich erledigt haben. ProNRW ist wieder auf die Provinz zurück geworfen, Ratsmitglieder in mittelgroßen bergischen Städten oder Duisburg werden kein bundesweites oder gar internationales Aufsehen erregen.
Ein Grund für die Niederlage von ProKöln/ProNRW ist der Aufstieg der AfD. Mit der AfD existiert zum ersten Mal ein „seriöses“ rechtspopulistisches Angebot, was nicht so sehr nach Nazi stinkt wie die Beisicht-Truppe. Die AfD hat bei den NRW-Kommunalwahlen 2,5 Prozent (175.000) Stimme geholt und ist in viele Stadträte in Fraktionsstärke eingezogen, insgesamt wurden 88 Ratsmitglieder der AfD gewählt.
Dieses Ergebnis ist keineswegs spektakulär. Die AfD hat bei den Kommunalwahlen deutlich weniger Stimmen bekommen als bei den gleichzeitig stattfindenden Europawahlen. Für die Stimmenverluste der „Pro-Bewegung“ in ihren Hochburgen ist die AfD daher nur bedingt verantwortlich. Nach einer Analyse der Kölner Amtes für Stadtentwicklung und Statistik blieben 8.800 der rund 10.000 verlorenen WählerInnen von ProKöln der Wahl fern.
Der Erfolg der AfD ist also nicht der einzige Grund für die Niedergang von PK. Die Organisation hatte 2009 mit dem Moschee-Bau ein Thema, welches eine breite Wirkung erzielte. Die etablierten Parteien hatten PK durch anti-muslimische Propaganda den Weg bereitet. Das Thema Moschee war jedoch erledigt, die anti-islamische Stimmung nicht mehr so dominant. Dieses Mal setzte PK auf die Hetze gegen Flüchtlinge, ging in Abgrenzung zur AfD weiter nach rechts und deutete latente Gewaltbereitschaft an („Bürgermut stoppt Asylantenflut“). Das war eine Fehlkalkulation. Zumindest in Köln gibt es keine aufgeheizte Stimmung gegen Flüchtlinge, auch BürgerInnen in den Vororten, die gegen den Bau neuer Unterkünfte in ihrer Nachbarschaft demonstrieren, halten Distanz zu den Rechten. Fast überall existieren Initiativen, die sich für eine „Willkommenskultur“ einsetzen.
Dieses Mal war zudem die antifaschistische Mobilisierung sehr erfolgreich. Die Kampagne „Kein Veedel für Rassismus“, ein Zusammenschluss diverser antifaschistischer Gruppen, schaffte es, die Mehrzahl der Infostände und „Kundgebungen“ von ProKöln mit massiven Protesten zu begleiten, zu umzingeln und die rechte Truppe zu isolieren. Die geplante Abschlusskundgebung im Stadtteil Riehl wurde von 800 Menschen blockiert, so dass die Rechten nicht einmal zu ihrem Kundgebungsort gelangen konnten. Auch die Ausweichkundgebung auf der anderen Rhein-Seite in Kalk wurde innerhalb einer Stunde von 400 AnwohnerInnen und AntifaschistInnen eingekreist. PK hatte 10.000 Plakate aufgehängt, mehr als jede andere Partei, aber diese wurden massenhaft abgehängt oder übermalt.
Auch PK selbst trug zu ihrem Debakel bei. Die Ratsfraktion hatte über mehrere Jahre mehr Fraktions- und Arbeitskreis-Sitzungen abgerechnet als jede andere Partei. Laut PK hatte jeden Wochentag eine Fraktionssitzung stattgefunden. Für diese zahlte die Stadt Sitzungsgelder. Nach Hinweisen ehemaliger PKler, dass nicht alle angegebenen Sitzungen stattgefunden hätten, eröffnete die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen „banden- und gewerbsmäßigen Betruges“, das während des Wahlkampfes andauerte. Dieser Prozess und die mehrwöchige Untersuchungshaft gegen das damalige Ratsmitglied Uckermann, einen der Hauptbeschuldigten, wurden von den örtlichen Medien genüsslich ausgeschlachtet. Der Kölner Stadtanzeiger führte ohnehin seit Längerem eine Kampagne gegen PK und berichtete über den Skandal in aller Ausführlichkeit.
Der Absturz in Köln wird zu einer Krise der Organisation führen. Es fehlen unter anderem Gelder und Möglichkeiten zur Öffentlichkeitsarbeit. Dadurch und durch den Aufstieg der AfD ist die „Pro-Bewegung“ wieder auf den Status einer kleinen rechten Gruppe zurück geworfen, die mit den Resten der Republikaner, der NPD und örtlichen Gruppen um die Vorherrschaft im rechten Lager vor Ort konkurrieren muss. Noch ist sie eine der stärksten Gruppen dieser Art mit einer gewissen regionalen Basis, aber es ist fraglich, ob sie aus dem Tief wieder heraus kommen kann.
Claus Ludwig war von 2004 bis 2014 Mitglied des Rats der Stadt Köln für DIE LINKE. Er ist außerdem Betriebsrat im öffentlichen Dienst und Mitglied im SAV Bundesvorstand.