Polarisiertes Europa

Foto: https://www.flickr.com/photos/european_parliament/ CC BY-NC-ND 2.0
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Europawahl: Linke und rechtspopulistische Kräfte legen zu

In 28 Ländern wurde am 25. Mai das Europaparlament gewählt. Angesichts der sehr unterschiedlichen Lage in verschiedenen Staaten, unterscheiden sich die Wahlergebnisse sehr. Für die meisten Länder aber gilt: Wer regiert, verliert. Und: sowohl rechtspopulistische als linke Parteien konnten zulegen. Während eine Mehrheit von knapp 57 Prozent der EU-BürgerInnen gar nicht an den Wahlen teilnahm, schickte der Rest mehr EU-KritikerInnen – von rechts und links – nach Brüssel und Straßburg als vor fünf Jahren.

Von Sascha Stanicic

Die Erfolge von rechtspopulistischen Parteien in einigen Ländern sind eine ernste Warnung und haben die politischen Verhältnisse erschüttert. Das gilt besonders für die Wahlsiege des Front National in Frankreich und der UK Independence Party in Großbritannien. Das drückt vor allem die tiefe Unzufriedenheit und Verunsicherung vieler Menschen angesichts der Krisenprozesse im Kapitalismus aus. Die Rechtspopulisten vertreten in der Regel nicht nur migrationsfeindliche und EU-kritische Positionen, sondern bieten auch keine Alternativen zur Austeritätspolitik der pro-kapitalistischen Parteien an. Trotzdem präsentieren sie sich als Parteien der „kleinen Leute“. Ihre Wahlerfolge drücken daher nicht einfach eine rechte Gesinnung unter ihren WählerInnen, sondern oftmals vor allem eine Protestwahl und politische Orientierungslosigkeit aus. Vor allem dort, wo es keine starke linke Alternative gab oder diese nicht überzeugend EU-kritisch auftraten, konnten die Rechten zulegen. Aber auch andere Anti-Establishment-Kräfte konnten in einigen Ländern Erfolge erzielen, wie die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und die Aktion unzufriedener Bürger in Tschechien. Unter dem Strich drückt sich bei den Wahlen die Vertiefung eines Polarisierungsprozesses in der Europäischen Union aus, denn vor allem in den besonders von der Krise betroffenen Staaten der so genannten Peripherie konnten linke und sozialistische Parteien von der wachsenden Unzufriedenheit profitieren.

In Griechenland wurde SYRIZA mit 26,55 Prozent stärkste Partei. Die kommunistische KKE erzielte über sechs Prozent der Stimmen. In Spanien erreichten die beiden linken Kandidaturen der Vereinten Linken mit zehn und des erst kürzlich gebildeten Linksbündnisses Podemos mit acht Prozent ebenfalls einen beachtlichen Erfolg. Auch in den Niederlanden konnte die Sozialistische Partei mit zehn Prozent mehr Stimmen als die sozialdemokratische Arbeitspartei erringen. Sozialdemokratische Parteien mussten in vielen Ländern Federn lassen, nicht zuletzt in Frankreich, Spanien, Griechenland und Irland. In Süd-Irland legte die als links geltende Sinn Fein zu. Der Sitz der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV) im Europaparlament ging jedoch leider verloren, weil die Socialist Workers Party (SWP) mit dem von ihr dominierten Bündnis „People Before Profit“ eine Konkurrenzkandidatur gegen den SP-Europaparlamentarier Paul Murphy durchführte und die linken Stimmen spaltete.

 Deutschland

Mit 52,6 Prozent sind die NichtwählerInnen wieder einmal stärkste Kraft bei einer Wahl in der Bundesrepublik. Dass die Wahlbeteiligung von 43 auf 48 Prozent gestiegen ist, liegt wahrscheinlich daran, dass in mehreren Bundesländern zeitgleich Kommunalwahlen stattfanden.

Deutschland unterscheidet sich von den meisten anderen EU-Staaten, weil die Wirtschaft Krisengewinnerin ist. Auch wenn diese Situation nicht zuletzt durch eine Ausweitung des Niedriglohnbereichs und der prekären Beschäftigungsverhältnisse erreicht und somit durch große Teile der Arbeiterklasse bezahlt wurde, hat das in weiten Teilen der Bevölkerung das Bewusstsein stark geprägt. Viele Menschen denken, man sei noch mal an der Krise vorbei gekommen. Anders als in vielen Ländern, ist in den letzten Jahren laut Umfragen die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft und zum Euro eher gewachsen, wenn auch immer noch nur eine Minderheit der Meinung ist, dass die EU-Mitgliedschaft eher Vorteile bringt. Das ist ein Grund, weshalb die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD zusammen nicht verloren haben. Die in weiten Teilen der Bevölkerung jedoch durchaus bestehende Ablehnung der undemokratischen EU-Institutionen konnte vor allem die Alternative für Deutschland nutzen, die auf sieben Prozent der Stimmen kam. Diese speisten sich auch zu einem erheblichen Teil aus früheren NichtwählerInnen. Das ist zwar noch keine Garantie dafür, dass sich die AfD im politischen Parteienspektrum festsetzt, aber spricht dafür, dass die Partei keine Eintagsfliege ist. Nachdem die FDP ihren Niedergang mit 3,4 Prozent der Stimmen fortsetzt, reagierten erste CDU-Politiker auf die neue Kräftekonstellation mit der Forderung, die AfD als möglichen Koalitionspartner zu betrachten.

Das Ergebnis der LINKEN drückt zwar einerseits die relative Stabilisierung der Partei seit der tiefen Krise vor zwei Jahren aus, kann aber kein „Grund zum Feiern“ (Bernd Riexinger) sein, denn sie war offensichtlich nicht in der Lage der EU-kritische Haltung in großen Teilen der Bevölkerung einen linken Ausdruck zu geben

 Auswirkungen

Die Wahlen zeigen, dass die Krise weiterhin die politische Instabilität erhöht und die Bindungen der Bevölkerung an die etablierten Parteien sich immer weiter lockern. Die Erfolge der Rechtspopulisten und rechten Nationalisten müssen als Warnung für die Linke und die Arbeiterbewegung verstanden werden. Wenn diese keine Massenbewegungen gegen die Austeritätspolitik auf die Beine stellen und zum Erfolg führen, können rechte Kräfte die Unzufriedenheit und Zukunftsangst vieler Menschen ausnutzen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die etablierten bürgerlichen Parteien dies dazu nutzen werden, um eine restriktivere Migrationspolitik durchzusetzen und staatlich orchestrierten Rassismus zu verstärken, der von den eigentlichen Verursachern der Krise und ihrer Folgen ablenken soll. Gleichzeitig hat die Stärkung linker Kräfte gezeigt, dass wir es nicht mit einer einseitigen Rechtsverschiebung zu tun haben, sondern mit einer Polarisierung und Abwendung von den etablierten Parteien und Institutionen. Die linken Parteien sollten das Ergebnis der Europawahl als Herausforderung annehmen und daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass sie wachsen können, wenn sie sich auf außerparlamentarische Bewegungen stützen und eine konsequente antikapitalistische Opposition gegen die EU, die Troika und die kapitalistische Krisenpolitik betreiben.