Eindrücke von der „Friedensbewegung 2014“ in Aachen und wie Linke mit ihr umgehen sollten
Durch eine Erklärung verschiedener LINKE-PolitikerInnen und anderer AktivistInnen hat die Debatte um die so genannte neue Friedensbewegung einen neuen Schub erhalten. Diese sprechen sich für einen offenen Umgang mit den Montagsdemonstrationen bzw. -mahnwachen aus, die seit einigen Wochen in über vierzig Städten der Republik stattfinden und wenden sich gegen eine Politik der Abgrenzung, wie sie von vielen Linken praktiziert wird. Sie sehen sogar die Möglichkeit aus diesen Kundgebungen „eine kraftvolle und emanzipatorische Bewegung zu entwickeln“.
Von Sascha Stanicic
Auch die SAV hatte in einem Artikel deutlich Stellung gegen die bei diesen Demonstrationen vielfach vertretenen kruden verschwörungstheoretischen und nationalistischen Ideen bezogen. Das hat auch unter unseren Mitgliedern eine gewisse Diskussion ausgelöst, weil an den montäglichen Demonstrationen doch viele Menschen teilnehmen, die auf der Suche nach politischen Antworten gegen Krieg und Kapitalismus sind. Sollte man als Linke daran nicht eher positiv anknüpfen und in einen offenen Dialog treten? Hinzu kam, dass genau dies von einigen Linken gemacht wurde und es auf verschiedenen Montagsdemonstrationen zu Distanzierungen von Rassismus und Faschismus kam. Der als attac-Aktivist bekannt gewordene Pedram Shahyar aus Berlin ist zum Wortführer dieser Haltung geworden, geht aber deutlich weiter, da er explizit die für nationalistische und verschwörungstheoretische Positionen bekannten Protagonisten der Berliner Mahnwache Ken Jebsen und Lars Mährholz in Schutz nimmt.
Die Aachener Montagdemonstration, die sich den Namen „Friedensbewegung 2014“ gegeben hat, gilt bundesweit als eine derjenigen, die sich von rechtslastigen Ideen distanzieren. Pedram Shahyar behauptete mir gegenüber sogar, diese sei von Linken „übernommen“ worden und das zeige, wie man mit der Bewegung umgehen müsse. Ich hatte am 19. Mai Gelegenheit, mir die Kundgebung dieser selbsternannten Friedensbewegung in Aachen anzuschauen und vor allem anzuhören. Ich bekam eine tatsächlich widersprüchliche und schwer einzuordnende Veranstaltung geboten.
In einem Gespräch mit einer jungen Frau, die Flugblätter verteilte und zum Organisatorenkreis gehört, stieß ich tatsächlich auf große Offenheit für meine Fragen und Kritik und traf auf jemanden, der zum ersten Mal in seinem Leben politisch aktiv geworden war. Es wäre sicher fahrlässig, solche jungen AktivistInnen mit den Jebsens, Elsässers und Mährholz‘ in einen Topf zu werfen und nicht das Gespräch mit ihnen zu suchen. Doch ein politisches Phänomen charakterisiert sich nicht durch die Summe der an ihm beteiligten Individuen. Es gibt immer Kräfte, die ein größeres Gewicht haben, Ideen die dominieren und politische Verortungen, die vorgenommen und von allen Beteiligten (oft stillschweigend) akzeptiert werden (es sei denn sie werden offen in Frage gestellt).
Mit einer solchen Verortung wurde ich sowohl in dem Gespräch mit der jungen Aktivistin, als auch durch die Moderatorin der Kundgebung konfrontiert. Die junge Frau sagte, dass sich die Aachener Gruppe von Links- und Rechtsextremismus distanziere. Als ich diese Gleichsetzung kritisierte, auf den Unterschied zwischen „rechtsextremen“ und „linksextremen“ Zielsetzungen, Inhalten und Methoden hinwies und mich als – zumindest aus Sicht des bürgerlichen Establishments – „Linksextremist“ zu erkennen gab, war die Aktivistin sichtlich irritiert, aber offen diese Gleichsetzung zu hinterfragen. Aber auch die Moderatorin der Kundgebung rief unter großem Applaus: „Wir sind weder links noch rechts!“ Diese Gleichsetzung dient in der Regel den herrschenden Kräften, die damit eine radikale, linke Kritik an den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen und sozialistische Ideen diskreditieren wollen. Sie führt außerdem in der Regel zu einer nationalistischen Position, denn sie setzt links und rechts nicht mit Klasseninteressen gleich, sondern sieht ein gemeinsames Interesse aller, die nicht extremistisch sind – unabhängig davon, ob man ArbeiterIn oder Kapitalist ist.
Der zweite Redner war ein Politologie-Student, der in dem Organisationsteam der Gruppe aktiv ist. Er hielt eine für einen gerade erst politisch aktiv gewordenen Menschen überraschend professionelle und klar strukturierte Rede, die im Wesentlichen zum Inhalt hatte, das Zinssystem zur Ursache allen Übels auf der Welt zu machen. Schon auf dem Flyer, das mir die junge Frau gegeben hatte, stolperte ich über die Forderung nach einem „gerechten Geldsystem“. Als ich sie darauf ansprach und fragte, warum dort nicht „Wirtschaftssystem“ stehe, konnte sie mir keine Antwort geben und versprach, die Frage in die Gruppe einzubringen. Der Redner jedenfalls war offensichtlich sehr überzeugt, dass es nicht die kapitalistische Produktionsweise als solche oder auch nur die Verteilung von Reichtum, sondern das Zinssystem ist, das zu einem Zwang nach Wirtschaftswachstum, unkontrolliertem Konsum und allen wesentlichen Problemen der Welt führt.
Verschwörungsthesen
Darauf folgte eine halbstündige Rede eines recht eigenwillig gekleideten jungen Mannes. Seine Rede wurde immer wieder von starkem Applaus der circa einhundert ZuhörerInnen unterbrochen. Dieser Herr war nach Angaben eines Mitglieds der Organisationsgruppe dieser nicht bekannt, sondern hatte um die Möglichkeit eine Rede halten zu dürfen gebeten. Er konnte dann ungestört eine halbe Stunde lang krude Verschwörungstheorien darlegen. Er wetterte gegen die amerikanischen und englischen Kriegstreiber und sagte, Deutschland werde von der NATO missbraucht und während Russland nach dem Abzug der sowjetischen Truppen die Bundesrepublik als souveränen Staat behandle, tun dies die USA und die NATO nicht. Die „Finanzterroristen“ der Federal Reserve Bank kontrollieren im Weltbild dieses Redners alles und üben eine globale Herrschaft aus. Und außerdem seien auch die Twin Towers am 11. September nicht durch die in sie hinein gesteuerten Passagierflugzeuge eingestürzt ….
Interessant war weniger die Rede, als die Reaktion der wenigen Anwesenden, die immer wieder begeistert applaudierten. Als im Anschluss an die Rede die offensichtlich unerfahrene Moderatorin einen recht hilflos wirkenden Versuch machte, sich von „einseitigen Schuldzuweisungen“ – „wir sind nicht für Russland und wir sind nicht für die USA“ – zu distanzieren, applaudierte nur noch die Hälfte der TeilnehmerInnen. Auch die beiden Männer neben mir applaudierten da nicht. Kurz vorher begrüßte der eine den anderen noch mit den Worten: „Meine Leute sind hier verstreut“ – was gut zu dem Eindruck passte, dass an verschiedenen Stellen unter den ZuhörerInnen bestimmte Leute immer wieder den Applaus anstimmten.
Die junge Frau, mit der ich vor Beginn der Kundgebung sprach, hatte mir gegenüber noch erklärt, dass sich die Aachener „Bewegung“ von den Berliner Kundgebungen distanziere und sich deshalb statt, wie in Berlin „Mahnwache“, „Friedensbewegung 2014“ nenne. Der nächste Redner, der betonte, dass er für das Organisationsteam und nicht nur für sich spreche, sah das wohl anders, denn er stellte die Aachener Kundgebung eindeutig in eine Reihe mit den „Mahnwachen“ und den Berliner Kundgebungen. Distanzierungen und Klarstellungen angesichts der bundesweiten Debatte über diese so genannten Friedensbewegung gab es nicht.
Schlussfolgerungen für die Linke
Mein Fazit aus dieser Erfahrung ist erstens, dass es sich um keine soziale Bewegung handelt. Dazu sind es zu wenig Beteiligte und unter diesen offensichtlich zu viele, die Verschwörungstheorien und verkürzte Zinssystem-Kritik vertreten. Zweifellos sind darunter aber Menschen, die zum ersten Mal politisch aktiv werden, sich aufrichtig gegen die Kriegsgefahr engagieren wollen und auch offen für linke Ideen sind. Der Ton wird aber von Leuten gesetzt, die nicht auf der Suche nach politischen Antworten sind, sondern sehr bewusst bestimmte Ideen vertreten. Diese Ideen sind nicht nur falsch, sondern gefährlich. Sie bieten keine Basis für einen gemeinsamen Kampf von Lohnabhängigen, Erwerbslosen, RentnerInnen und Jugendlichen gegen Krieg, Sozialabbau etc. – weil sie die falschen Gegner ausmachen: statt das kapitalistische System bzw. bestehende gesellschaftliche Verhältnisse als Gegner zu benennen, sind es die „Finanzterroristen“ in der Federal Reserve Bank, die USA, bestimmte Personengruppen. Das entlässt das System, aber auch die deutschen Kapitalisten bzw. diejenigen Kapitalisten, die ihr Geld nicht mit Finanztranskationen machen, aus der Verantwortung und bietet eine Anknüpfungsfläche für rechte und nationalistische Ideen. Darüber können auch formelle Distanzierungen von Rassismus und Faschismus nicht hinweg täuschen. Diese greifen zu kurz, weil sie sich gar nicht mit den tatsächlich vorgetragenen Ideen und Positionen auseinandersetzen, die ja in der Regel nicht „platt“ rassistisch, antisemitisch oder faschistisch sind. Die Haltung, man sei weder links noch rechts, kann da nur als eine Einladung an bürgerliche und eben auch nationalistische Kräfte wirken. Denn wenn man „weder rechts noch links“ ist, muss man seine Position anders verorten. In gewerkschaftlichen Kämpfen, in denen AktivistInnen auch oftmals ihre parteipolitische Unabhängigkeit betonen und man ähnliche „weder rechts noch links“-Statements hören kann, ist diese Verortung durch den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit gegeben. Es wird eine Klassenposition eingenommen, wenn auch nicht immer bewusst und explizit formuliert. Das ist bei den neuen Montagsdemos anders. Hier wird die „Nationalität Mensch“ als antirassistisch präsentiert und doch eine Wir-Gruppe in Abgrenzung zu den Bänkern und Finanzmarktakteuren der USA gebildet, zu der dann deutsche Nationalisten dazu gehören können. Das ist gefährlich und sollte nicht akzeptiert, sondern inhaltlich bekämpft werden.
Das bedeutet, dass Linke kein Interesse daran haben können, dass diese kleinen Kundgebungen zu großen Kundgebungen werden. Denn damit werden die dort vertretenen falschen und gefährlichen Positionen stärker verbreitet und würden eine Akzeptanz in den sozialen Bewegungen erhalten und den weiteren Aufbau solcher Bewegungen verkomplizieren.
Stattdessen sollten Initiativen für Antikriegsproteste von links ergriffen werden, wie dies am 31. Mai in Berlin und anderen Städten und am 29. Mai anlässlich des Auftritts des ukrainischen Ministerpräsidenten Jazenjuk bei der Aachener Karlspreisverleihung schon der Fall ist. DIE LINKE, linke Organisationen und die „traditionelle“ Friedensbewegung sollten außerdem zeitnah zu einer bundesweiten Demonstration anlässlich der Kriegsgefahr in der Ukraine aufrufen. Außerdem sollten Linke diese selbst ernannte neue Friedensbewegung der Montagskundgebungen inhaltlich herausfordern – zumindest dort, wo man den Eindruck hat, dass die Kundgebungen nicht nur von Verschwörungstheoretikern und Deutschnationalen geprägt sind. Die Bringpflicht besteht hier jedoch bei denjenigen, die diese Kundgebungen organisieren. Sie sollten Fragen beantworten:
Vertreten sie die These, dass das Zinssystem die tiefere Ursache der sozialen Ungleichheit, von Kriegen und Umweltzerstörung ist?
– Sind sie der Meinung, dass die Federal Reserve Bank eine globale Kontrolle ausübt und für die Kriege der letzten einhundert, oder auch nur dreißig Jahre, verantwortlich ist?
– Sind sie der Meinung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat ist?
– Sind sie für eine Zusammenarbeit mit allen Kräften, die sich gegen die US-amerikanische Finanzpolitik und gegen die US-Banken richten?
– Was bedeutet es weder links noch rechts zu sein? Setzen sie Links- und Rechtsextremismus gleich?
– Sind NPD-Mitglieder als KundgebungsteilnehmerInnen akzeptiert?
Gibt es zu diesen Fragen eine klare ablehnende Positionierung, könnten die Montagskundgebungen auch ein Ort für Linke werden. Eine solche Positionierung käme aber eine klaren Abgrenzung von den Elsässers und Jebsens gleich und müsste eine Differenzierung innerhalb dieser neuen „Bewegung“ zu Folge haben. Ohne eine solche, muss die Linke eine Trennlinie ziehen. Das kann sie sehr wohl freundlich und im Dialog mit KundgebungsteilnehmerInnen machen. Aber gezogen werden sollte sie.