Über eine Million von fünf Millionen, die heute weniger als 8,50 Euro verdienen, sollen leer ausgehen
Wirtschaftsverbände und Unternehmer wollten keinen Mindestlohn. Jetzt fordern sie weitreichende Ausnahmen. Gewerkschaften und Linkspartei lehnen dies ab. In ihren Reihen werden zudem höhere Beträge als die geplanten 8,50 Euro und eine schnelle weitere Erhöhung des Mindestlohns diskutiert.
von Frank Redelberger, Kassel
Der Gesetzesentwurf, der im Juni im Bundestag (und im Juli im Bundesrat) beraten werden soll, lässt Langzeitarbeitslose, Auszubildende, PraktikantInnen und Jugendliche unter 18 Jahren außen vor. Weitere Änderungen am Entwurf drohen, zum Beispiel Ausnahmen für ganze Bereiche wie den ZeitungszustellerInnen.
Der Entwurf der Regierung
Bereiche mit bestehenden Tarifverträgen sollen bis 2017 ausgenommen sein. Die Höhe von 8,50 Euro will man bis 2018 einfrieren. Bei einer erwarteten Inflation von zwei Prozent würde der Mindestlohn dann einer Kaufkraft von heute etwa 7,80 Euro entsprechen. Diese Höhe würde in keiner Weise vor Altersarmut schützen, bei einem Stundenlohn von 9,47 Euro käme man auf eine Rente von 672 Euro.
Die Regierung will zudem nur in „regelmäßigen Abständen“ prüfen, ob man den Mindestlohn erhöht. Auch die Aussetzung der Erhöhung (zum Beispiel in Wirtschaftskrisen) wird erwogen.
Geplante Ausnahmen
Jugendliche unter 18 Jahren sollen keinen Mindestlohn bezahlt bekommen, weil sie sonst angeblich keine schlechter bezahlte Ausbildung anfangen würden. Die Ausbildungsvergütung ist mit durchschnittlich 708 im Osten beziehungsweise 767 Euro im Westen nur etwa halb so hoch wie der Mindestlohn bei einer Vollzeitstelle. Stattdessen brauchen wir eine gesetzliche Mindestauszubildendenvergütung von 1.400 Euro.
Langzeitarbeitslose sollen bei Aufnahme einer neuen Arbeit in den ersten sechs Monaten ebenfalls keinen Mindestlohn erhalten. Das würde jedoch bloß dazu führen, dass Unternehmen Langzeitarbeitslose für sechs Monate zu Billiglöhnen einstellen und dann möglicherweise wieder feuern.
Der Mindestlohn muss für alle arbeitenden Menschen gelten. Denn durch die Ausnahmen würden gesetzlich geregelte Niedriglohnsektoren geschaffen, die gegenüber allen anderen Bereichen abgehängt wären.
Chancen des Mindestlohns nutzen
70 Prozent der Beschäftigten im Niedriglohnbereich sind Frauen. Durch den Mindestlohn würden sie besonders profitieren und die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern verringert werden. Das Gleiche gilt für Lohnunterschiede zwischen ost- und westdeutschen KollegInnen. Das würde die Möglichkeit zu gemeinsamen Protesten über einzelne Branchen hinaus, zum Beispiel für die Erhöhung des Mindestlohns, verbessern.
Die Regierung sieht vor, ab 2018 eine Tarifkommission aus Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern über eine Erhöhung verhandeln zu lassen. Hier sollten Gewerkschaften auch über die Betriebe hinaus gemeinsam mit sozialen Bündnissen und der LINKEN Druck erzeugen. So ließen sich außerdem unorganisierte oder schlecht organisierte Bereiche mobilisieren.
Dass es jetzt überhaupt zu der Einführung eines Mindestlohns kommt, ist ein Erfolg der jahrelangen Forderung aus den Reihen von Gewerkschaften, Linkspartei und sozialen Bewegungen. Aber der öffentliche Druck muss jetzt beibehalten und noch verstärkt werden – gegen drohende Ausnahmen und für einen höheren Mindestlohn.
Kampagne nötig – gegen Ausnahmen und für einen Mindestlohn, der zum Leben reicht
Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske fordert eine Erhöhung auf zehn Euro schon für das nächste Jahr, das sollten auch andere Gewerkschaften und DIE LINKE aufgreifen. Doch auch zehn Euro reichen nicht. Deshalb tritt die SAV für zwölf Euro ein.
Wir fordern:
Kein Schweizer Käse: Für die sofortige Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ohne Ausnahmen
Für eine Kampagne von Gewerkschaften, Linkspartei und sozialen Bewegungen gegen Ausnahmen und für einen höheren Mindestlohn
Mobilisierung zu Protesten anlässlich der Mindestlohn-Beratungen im Bundestag