Die Krim schließt sich Russland an

Foto: http://www.flickr.com/photos/kylaborg/ CC BY 2.0
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Spannungen zwischen den Großmächten erreichen neuen Höhepunkt

 Beim Referendum auf der Krim, das am 16. März durchgeführt wurde, stimmte eine überwältigende Mehrheit für einen Anschluss an Russland. Folgt man dem offiziell verlautbarten Abstimmungsergebnis, so haben bei einer Wahlbeteiligung von 83,1 Prozent 96,77 Prozent „für“ die Integration gestimmt. In Simferopol, der Haupstadt der Halbinsel, feierten Zehntausende das Ergebnis.

Von Niall Mulholland

Am 17. März rief das Regionalparlament die „Republik Krim“ aus. Präsident Putin und führende Politiker der Krim unterzeichneten am 18. März ein Abkommen, mit dem formal der Übertritt ins russische Staatsgebiet vollzogen wurde.

Sergei Aksjonow, der de facto die Rolle des Ministerpräsidenten der Krim inne hat, sagte, dass die Halbinsel nächste Woche offiziell den Rubel als zweite anerkannte Währung neben der ukrainischen Hrywnja einführen wird. Das Parlament der Krim hat unterdessen beschlossen, dass ukrainisches Staatseigentum verstaatlicht wird und ukrainische Militäreinheiten auf dem Territorium der Krim „aufgelöst“ werden.

Von westlichen führenden Politikern ist das Referendum verurteilt worden, da es ihnen zufolge „rechtswidrig und illegal“ gewesen sei. Sie verurteilten Putin dafür, ethnische Spannungen angeheizt zu haben. Die Reisebeschränkungen und Kontosperrungen, die seitens der EU und der USA gegen BehördenvertreterInnen Russlands und der Krim verhängt wurden, sowie die Androhung weiterer Sanktionen sind alles in allem wirkungslos geblieben. Dabei sind die westlichen Staaten in der Frage gespalten, inwieweit man Russland bestrafen soll. Viele EU-Mitgliedsländer fürchten, dass Sanktionen gegen Russland, die nur als Retourkutsche angesehen werden können, die ohnehin blutarme Wirtschaft der EU weiter schwächen könnten.

Anders als ihre Empörung über das Eingreifen Russlands auf der Krim vermuten lassen könnte, haben sich die USA und die europäischen Mächte in der Vergangenheit schon ganz ähnlich verhalten. Der Unterschied bestand lediglich darin, dass sie dabei wesentlich umfassender und auch mit mehr Blutvergießen zu Werke gegangen sind. So sind die westlichen imperialistischen Mächte entgegen ihrer eigenen international geltenden Gesetze in den Irak und Afghanistan einmarschiert und haben diese Länder besetzt. Sie hatten die Kontrolle über die „Wahlen“, die in diesen Ländern dann durchgeführt wurden. Im Vorfeld des vom Westen unterstützten Referendums über die Unabhängigkeit des Kosovo flog die NATO 1999 über Monate hinweg Bombenangriffe, um das serbische Regime zu schwächen.

Es liegt auf der Hand, dass das Referendum auf der Krim nicht unter Bedingungen stattgefunden hat, unter denen eine freie demokratische Debatte bzw. Wahlentscheidung möglich gewesen wäre. Nach der vom Westen unterstützten Absetzung des ukrainischen Ministerpräsidenten Viktor Janukowistch haben sogenannte Selbstverteidigungsmilizen (die sowohl vor Ort gegründet wurden als auch solche, von denen man annehmen muss, dass es sich bei ihnen um verdeckte russische Soldaten gehandelt hat) die Kontrolle über die Militärbasen und andere strategisch wichtige Punkte auf der Krim übernommen.

Das Parlament der russischsprachigen Bevölkerungsmehrheit auf der Krim stimmte dafür, die Ukraine zu verlassen und sich Russland anzuschließen. Das Referendum diente nur noch dazu, die getroffene Entscheidung im Nachhinein durchzuwinken, wobei es nur zwei Wahlmöglichkeiten gab: Integration ins russische Staatsgebiet oder verstärkte Autonomie.

Sämtliche ukrainische Medien wurden abgeschaltet und über Wochen hinweg strahlten pro-russische Medien eine nationalistische Propaganda aus. Die TatarInnen und die ukrainischsprachige Minderheit auf der Krim, die 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, beklagten eine einschüchternde Atmosphäre, und die meisten von ihnen haben das Referendum boykottiert.

Dennoch stimmt es, dass es unter der Mehrheit der Krim-Bevölkerung eine starke Tendenz für eine Annäherung an Russland gab und gibt. Das ist zum großen Teil auf den reaktionären Charakter des neuen Regimes in Kiew zurückzuführen und auf die Art und Weise, wie dieses an die Macht gekommen ist.

Zu den monatelangen Protesten gegen Janukowitsch war es aufgrund der jahrelangen wirtschaftlichen Stagnation und der wachsenden Armut gekommen. Hinzu kam die große Wut über das korrupte und autoritäre Regime sowie dessen Hintermänner, die Oligarchen.

Die Revolte, die Züge einer Revolution hatte, offenbarte rasch, wie gering die Unterstützung für das marode Regime von Janukowitsch war. Die Gewalt, mit der die Bereitschaftspolizei gegen die Proteste auf dem Maidan-Platz vorging, bewirkte eine breit empfundene Abscheu gegenüber dem Regime, das daraufhin in sich zusammenbrach.

Aufgrund des Fehlens von Massenorganisationen der ArbeiterInnen, die einen unabhängigen Klassen-Standpunkt hätten einnehmen können, dominierten jedoch reaktionäre Oppositionspolitiker – darunter auch ukrainische Ultra-Nationalisten und Rechtsextreme – die Protestbewegung. Mitglieder der antisemitischen „Svoboda“-Partei und des faschistischen „Rechten Sektor“ traten in Kiew und andernorts als Stoßtruppen auf. Sie verübten physische Übergriffe auf GewerkschafterInnen und linke AktivistInnen, die sich ebenfalls den Protesten anschließen wollten.

Die anti-russische Rhetorik des neuen Regimes in Kiew und die Einbeziehung der extremen Rechten, die wichtige Ministerposten inne hat, verbreitete unter der ethnisch-russischen Minderheit Angst und Sorge. Letztere wohnt in erster Linie im Osten und Süden der Ukraine. Zu den ersten Entscheidungen der neuen Rada, dem ukrainischen Parlament, gehörte es, den Gebrauch der russischen Sprache einzuschränken und dafür zu stimmen, die sogenannte „Kommunistische Partei“ zu verbieten.

Weil die Krim bereits zu den ärmsten Landesteilen der Ukraine zählte, fürchteten viele Krim-BewohnerInnen auch, dass das neue Regime in Kiew Abkommen über Finanzhilfen mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zustimmen würde, was mit harten Kürzungsmaßnahmen verbunden wäre. Das würde zu einer weiteren Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen führen.

Für die Menschen auf der Krim wird das Ergebnis des Referendums jedoch keinen Frieden, Stabilität und Wohlstand bringen. Durch die Integration der Krim in die schwache Wirtschaft Russlands werden sich die Lebensstandards nicht verbessern.

Das autoritäre Regime unter Putin und die ihn unterstützenden Oligarchen intervenieren nur deshalb auf der Krim und heizen dabei den russischen Nationalismus an, weil sie ihre eigenen geostrategischen Interessen, die sie „in der näheren Umgebung“ hegen, verteidigen wollen. Die Halbinsel ist zum Kulminationspunkt für die sich zuspitzenden Spannungen zwischen Russland und Kiew sowie den Unterstützern der Ukraine aus dem Westen geworden, die ihrerseits danach trachten, ihre imperialistische Macht und Einflussgebiete bis an die Grenzen zu Russland auszuweiten.

Das hat zu einer gefährlichen Mobilisierung der militärischen Kräfte geführt. Vergangene Woche gab Washington den Befehl, in Polen, Litauen und im Schwarzen Meer Militärübungen durchzuführen. Nach dem Referendum auf der Krim genehmigte das ukrainische Parlament die Teil-Mobilisierung von 40.000 Reservisten. Beide Seiten sagen, dass sie wegen der Ukraine keinen Krieg wollen. Dennoch kann eine Zuspitzung der Spannungen zu „lokalen“ Konflikten führen.

Den Preis für eine Eskalation der Krise werden am Ende die abhängig Beschäftigten in der gesamten Ukraine zu zahlen haben. Als es letzte Woche in den ostukrainischen Städten Donezk und Charkiw zu Kämpfen zwischen pro-ukrainischen und pro-russischen DemonstrantInnen und Milizen kam, sind dabei mehrere Menschen ums Leben gekommen. Sollte es zu weiteren Zusammenstößen kommen, könnte dies dazu führen, dass auch in mehrheitlich von ethnischen RussInnen bewohnten Gebieten in der Ukraine der Ruf nach einem Referendum laut wird. Es könnte dann auch dort zu Versuchen kommen, sich von der Ukraine abzuspalten und das Horrorszenario eines blutigen Konflikts um die Zukunft des Landes steht im Raum.

Nur die organisierte und vereinte Arbeiterklasse ist in der Lage, mit unabhängigen und internationalistischen Ansätzen einen entscheidenden Gegenpol zum reaktionären Nationalismus beider Seiten bilden und die Einmischungsversuche der kapitalistischen Großmächte beenden zu können.

Die demagogischen und nationalistischen Politiker in Kiew, Simferopol und Moskau schaffen es vielleicht, momentan die Unterstützung aus der Bevölkerung zu bekommen, indem sie aus den Sorgen der Menschen Kapital schlagen. Ihre am Markt ausgerichtete Politik und ihr Nationalismus werden jedoch nicht dazu beitragen, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Auch werden sie der Korruption und der allgemeinen Unterdrückung kein Ende bereiten. Unterdessen beklagen sich schon viele Menschen, die sich gegen Janukowitsch eingesetzt haben, zutiefst über die kriminelle Bande, die die Macht an sich gerissen und die ihren Oligarchen-Freunden die Regionalregierungen überlassen haben.

Wie die jüngste Revolte der ArbeiterInnen und jungen Leute in Bosnien-Herzegowina zeigt, stehen neue Aufstände gegen die aussichtslose wirtschaftliche Lage und die gesellschaftlichen Bedingungen sowie die korrupten Politiker unvermeidlich auf der Tagesordnung. Was diese Erhebungen aber brauchen, ist, dass sie organisiert und politisch zum Ausdruck gebracht werden, um eine sozialistische Alternative im Sinne der Masse der abhängig Beschäftigten, der jungen Generation und der verarmten Schichten anbieten zu können.

 

Niall Mulholland ist Mitglied im Internationalen Sekretariat des Komitees für eine Arbeiterinternationale. Der Artikel erschien am 18.3.2014 auf www.socialistworld.net