Beschäftigte der Charité planen Warnstreik für personelle Mindeststandards per Tarifvertrag
Warnstreiks in Krankenhäusern sind normalerweise eine recht harmlose Angelegenheit. Zumeist beteiligt sich eine überschaubare Zahl von Beschäftigten für wenige Stunden an einer Protestaktion oder einer Demo. Die Patientenversorgung wird per Notbesetzung aufrechterhalten, was wegen der ohnehin ausgedünnten Personaldecke kaum einen Unterschied macht.
Am Berliner Uniklinikum Charité soll das am 17. März aber ganz anders sein. Für diesen Tag ruft ver.di zu Arbeitsniederlegungen auf, um der Forderung nach personellen Mindeststandards Nachdruck zu verleihen. Bereits jetzt hat die Gewerkschaft angekündigt, dass zehn Stationen und etliche Betten wegen der Aktion nicht belegt werden können.
Die seit Monaten laufende Tarifauseinandersetzung an der Charité ist in verschiedener Hinsicht außergewöhnlich. Das betrifft auch den Gegenstand des Konflikts: Die Gewerkschaft kämpft nicht wie sonst üblich für mehr Lohn und Gehalt, sondern für mehr Personal. ver.di fordert, per Tarifvertrag festzuschreiben, wieviel Personal in welchem Bereich mindestens vorhanden sein muss. Auf einer „Normalstation“ soll eine Pflegekraft künftig für höchstens fünf Patienten zuständig sein. Auf Intensivstationen soll das Verhältnis eins zu zwei, in besonders schweren Fällen eins zu eins betragen. Zudem wollen die Gewerkschafter durchsetzen, dass in den Nachtschichten keine Krankenschwester mehr allein auf ihrer Station Dienst tun muss.
Darüber wird an Europas größtem Uniklinikum nun seit geraumer Zeit verhandelt. Zu Beginn bestritt die Geschäftsleitung, dass es überhaupt Tarifverhandlungen zu personellen Mindeststandards geben darf, da dies ein „Eingriff in die unternehmerische Freiheit“ sei. Davon sind die Klinikmanager mittlerweile abgerückt. In den Gesprächen haben sie auch immer wieder den Eindruck erweckt, zu einem Kompromiss bereit zu sein. Doch ein konkretes Angebot blieben die Vertreter des dem Land Berlin gehörenden Krankenhauses bislang schuldig, zuletzt bei Verhandlungen am 26. Februar. ver.di sprach daraufhin von einem „Affront“ und kündigte Aktionen an.
Am Dienstag hat die Gewerkschaft dies konkretisiert: Für kommenden Montag ruft sie die Beschäftigten zur ganztägigen Arbeitsniederlegung auf. Zugleich überreichte ver.di der Charité-Spitze eine Liste von Bereichen, in denen die Streikbereitschaft so groß ist, dass Teile oder die gesamte Station geschlossen werden müssen. „Wir sind durch die Bereiche gegangen und haben die Kolleginnen und Kollegen konkret gefragt, in welchem Umfang sie sich am Warnstreik beteiligen möchten“, berichtete ver.di-Betriebsgruppensprecher Carsten Becker am Dienstag. „Das Ergebnis ist überwältigend.“
In der Tat wäre ein Ausstand im angekündigten Umfang sicher der größte Warnstreik, den es in einem deutschen Krankenhaus jemals gab. Neben zehn Komplettschließungen soll es demnach in etlichen Stationen zur sogenannten Stilllegung von Betten kommen. Laut Becker haben noch mehr Bereiche ihre Beteiligung zugesagt als zu Beginn des Erzwingungsstreiks 2011. In dem damals einwöchigen Arbeitskampf hatte ver.di an der Charité bis zu 90 Prozent der Operationen und fast der Hälfte der 3.200 Betten verhindert. Der wirtschaftliche Schaden war beträchtlich und veranlasste die Klinikleitung, den ver.di-Forderungen nach deutlichen Gehaltsverbesserungen nachzugeben.
Damals wie heute muss die Geschäftsleitung im Streikfall dafür Sorge tragen, dass die genannten Stationen geräumt, die Patienten verlegt und die Betten nicht neu vergeben werden. Das schreibt eine zwischen ver.di und Charité geschlossene Notdienstvereinbarung fest. Demnach muss aber die Gewerkschaft die Stilllegung von Betten mindestens drei, die Schließung von Stationen wenigstens sechs Tage vorher ankündigen. Der Klinikleitung bleibt noch eine Möglichkeit, den Arbeitskampf zumindest hinauszuschieben: Sie könnte die Schlichtung anrufen. Dadurch wäre es ver.di vorübergehend untersagt, zu Arbeitsniederlegungen aufzurufen.
„Unser Ziel ist die dringend nötige Entlastung der Beschäftigten durch die Einstellung zusätzlicher Kräfte“, erklärte Becker. „Die Kolleginnen und Kollegen haben schon jetzt deutlich gemacht, dass sie bereit sind, dafür zu kämpfen. Ich kann der Charité nur raten, dem endlich nachzugeben.“ Eine Verbesserung der Personalsituation sei schließlich nicht nur im Interesse der Beschäftigten, sondern auch einer qualitativ hochwertigen Krankenversorgung, so der Gewerkschafter.
Tatsächlich ist der Zusammenhang zwischen fehlenden Pflegekräften und schlechter Patientenversorgung vielfach nachgewiesen. So kommt beispielsweise eine aktuelle Untersuchung der University of Pennsylvania zu dem Schluss, dass übermäßige Arbeitsbelastung die Todesraten im Krankenhaus deutlich nach oben treibt. Der im Fachmagazin The Lancet veröffentlichten Studie zufolge erhöht jeder Patient, den eine Krankenschwester zusätzlich versorgt, das Todesfallrisiko um sieben Prozent.
Nicht nur an der Charité, auch anderswo ist die Personalsituation in den Kliniken desaströs. Nach ver.di-Berechnungen fehlen in den Krankenhäusern bundesweit 162.000 Beschäftigte, allein 70.000 davon in der Pflege. Die Gewerkschaft fordert deshalb ein Gesetz, das den Häusern personelle Mindeststandards verbindlich vorschreibt. Der Konflikt an der Charité könnte diesem Anliegen noch einmal große Aufmerksamkeit bescheren.