Bosnien: „ArbeiterInnen sind und waren der Kern der Proteste“

daniel_kerekesInterview mit Daniel Kerekeš

In Bosnien wehren sich Beschäftigte gemeinsam mit Jugendlichen und Erwerbslosen gegen Privatisierung, Massenentlassungen und Korruption. In vielen Städten gibt es regelmäßige Versammlungen um die Proteste zu koordinieren, aber auch um Forderungen für das tägliche Leben durchzusetzen.

Sebastian Förster sprach mit Daniel Kerekeš, Mitglied im Landessprecherrat von Linksjugend[’solid] NRW. Er war einer der ersten, der in der deutschen Linken von den Ereignissen berichtete und Solidarität organisierte.

 Daniel, was war aus deiner Sicht der Auslöser für den Aufstand in Bosnien?

 Der konkrete Auslöser der Proteste in Bosnien war die Privatisierung und damit einhergehend die Schließung der größten Chemiebetriebe in Tuzla, einer Industriestadt in Bosnien und Herzegowina. Die ArbeiterInnen der dort ansässigen Firmen haben über mehrere Monate jeden Mittwoch vor den Regierungsgebäuden demonstriert. Der Großteil wurde nach der Privatisierung entlassen und die, die noch Arbeit hatten, warteten auf fast zwölf Monatslöhne. Ebenso protestierten die Menschen für die Wiedereinführung der Krankenversicherung für alle, da die entlassenen ArbeiterInnen nicht länger versichert waren. Aus dieser Keimzelle und der Wut aus über 20 Jahre Misswirtschaft, stammt der Ursprung der Aufstände. Die Menschen hatten keine Lust mehr, Spielball seltsamer EU-Gesetze zu sein, die einen ständig zur Privatisierung zwangen und Sozialleistungen kürzten. Auch der Nationalismus und die damit einhergehende Korruption war vielen Menschen ein Dorn im Auge. Es ist eine Art Knoten geplatzt.

 Auf welcher gesellschaftlichen Grundlage haben sich die Proteste entwickelt?

ArbeiterInnen sind und waren der Kern der Proteste. Sie waren es, die sich nicht länger ausbeuten lassen wollten, die ihre alten Arbeitsstellen zurück sehnten. Mit der Zeit haben sich aber auch andere gesellschaftlichen Gruppen angeschlossen: Studierende, Erwerbslose, RenterInnen und Jugendliche. Die Arbeitslosigkeit von über 44 Prozent und Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent tun ihr übriges. Während Spanien und Griechenland häufiger in den Fokus der deutschen Linken rückten, war und ist Bosnien nur ein Randphänomen, obwohl die wirtschaftliche Lage dort bereits deutlich länger schief liegt. Es existiert in dem Land jedoch nicht nur keine Arbeit für Facharbeiter und ungelernte Kräfte, sondern auch AkademikerInnen sind massenhaft arbeitslos. Alleine in Tuzla sind mehr als 2.500 JuristInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen arbeitssuchend. Zudem existiert in Bosnien ein überdimensionierter Regierungsapparat mit über 100 Ministern.

 Wie haben die Herrschenden in Bosnien als auch international reagiert? Wie sind die Interessen des deutsche Imperialismus in dieser Situation?

Es gab unterschiedliche Reaktionen. In Bosnien gibt es neben der Zentralregierung in Sarajevo die deutlich mächtigeren Regierungen der Teilrepubliken, der serbischen Republik und der Föderation Bosnien und Herzegowina. In der Föderation wiederum existieren Kantonalregierungen, welche ihre eigenen Regierungen und Ministerien haben. Die Bundesregierung, ich nenne sie jetzt mal so, reagierte zunächst überhaupt nicht und nun mit etwas Nachgang verspricht sie Reformen. Die Regierungen der Teilrepubliken versuchten die Proteste auf unterschiedliche Weise zu diskreditieren. Auf serbischer Seite hieß es, die Proteste seien bosnisch-muslimische Proteste, die versuchen die serbische Republik abzuschaffen um die muslimische Herrschaft über ganz Bosnien zu etablieren. Eine ähnliche Argumentationsweise gab es auch in den kroatisch dominierten Kantonen. Die Regierung der Föderation versuchte aus den Protestierenden bezahlte Aufständler, Hooligans und Asoziale zu machen. Doch insgesamt lies sich die Bewegung nicht stigmatisieren. Es gab neben den Hauptprotesten in Tuzla, Sarajevo, Zenica und Bihac auch Demonstrationen in einigen kroatischen und serbischen Städten Bosniens.

International reagierte die Presse sehr divergent. Auf der einen Seite wurde darüber kaum berichtet. Wir haben das versucht durch Berichte auf der Freiheitsliebe.de und durch die Solidaritätsseite etwas zu kompensieren. Das gleiche gilt auch für die Linksjugend NRW.

Die Herrschenden in Westeuropa reagierten umgehend. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinde Valentin Inzko, der de facto wie ein Statthalter in Bosnien herrscht, hat noch am Tag des Ausbruchs der Proteste am 5. Februar erklärt, ein Einsatz von EUFOR/NATO-Truppen sei im Rahmen des möglichen, sollten die gewaltsamen Proteste weitergehen. Die Frage erübrigte sich jedoch sehr schnell, da bereits am zweiten Tag des „Aufstandes“ nur noch friedliche Proteste stattfanden. Auch die linke Partei „Lijevi“ aus Bosnien sieht keine Gefahr mehr, dass es zum Einsatz des Militärs kommt. Inzwischen haben sich Volksversammlungen entwickelt, die in verschiedenen Städten fast täglich tagen und an denen jeweils mehrere Hundert Menschen teilnehmen. Diese diskutieren auf basisdemokratischer Ebene über konkrete Forderungen und das weitere Vorgehen der Bewegung.

Mit welchen Problemen hat die Bewegung zu kämpfen?

Die Bewegung hat mit vielen Problemen zu kämpfen. Zum einen gibt es keine starke linke Kraft, die die Forderungen oder Proteste konkretisieren könnte. So stehen in jeder Stadt unterschiedlich weitgehende Forderungen im Raum: Die StudentInnen Tuzlas riefen zum Generalstreik auf, bis alle Regierungen zurückgetreten sind. Die ArbeiterInnen der Stadt wiederum forderten mehr Kontrolle über die Wirtschaft, die Rücknahme der Privatisierung von ehemaligen Staatsbetrieben und die Begrenzung der Minister- und Parlamentsgehälter auf etwas mehr als das Facharbeiterniveau. Trotz alledem stehen in Sarajevo hingegen auch sehr stark kapitalistische und neoliberale Forderungen im Raum, die eine stärkere Einbindung Bosniens in die EU fordern, Privatisierung ohne Korruption und einen „höheren Lebensstandard“. Allen gleich ist jedoch, dass sich die Menschen nach über dreißig Jahren Ausbeutung und Deregulierung der Märkte in Bosnien für mehr soziale Gerechtigkeit einsetzen.

 

Inwieweit wirkt sich die durch den Bürgerkrieg verursachte tiefe ethnische und religiöse Spaltung in der Bevölkerung aus?

Der Nationalismus hat einen tiefen Keil zwischen die drei größten Ethnien des Landes getrieben. Bosniaken, Serben und Kroaten treffen sich oft mit großem Misstrauen. Die Gegner der Bewegung versuchen dieses Misstrauen für sich zunutze zu machen, um die Protestierenden entlang ethnischer Grenzen zu spalten. So versuchte die Gruppe Udar, eine bosniakisch nationalistische Gruppierung, die Demonstrationen in Sarajevo für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, indem sie Naser Oric-Banner hisste und Fahnen Bosniens aus dem Bürgerkrieg bei sich trug. Diese Bilder wiederum wurden in den kroatischen und serbischen Landesteilen aufgegriffen um die These der antikroatischen bzw. –serbischen Proteste zu beweisen. Doch die Bewegung hat sich größtenteils über diese Grenzen hinweg gesetzt und während der Proteste sind häufig Schilder zu lesen wie „Stopp dem Nationalismus“ oder „Tod dem Faschismus“. Die Menschen haben es satt, durch den Nationalismus von den heimischen Eliten ausgebeutet zu werden. Auf dem ausgebrannten Regierungssitz in Tuzla steht heute noch in großer Graffittischrift: „Tod dem Nationalismus.“ Doch die Proteste haben bisher gezeigt, dass sich die Menschen nicht länger an ethnischen Grenzen spalten lassen wollen, obwohl die Angst vor allem bei Serben und Kroaten noch stark ist.

Wie ist die bosnische Linke aufgestellt und welche Rolle spielt sie bei den Protesten?

Die bosnische Linke ist insgesamt sehr schwach aufgestellt. Die stärkste linke Partei heißt „Lijevi“. Diese ist jedoch nur in Tuzla und Sarajevo vertreten und wurde 2012 gegründet. Weitere linke Parteien gibt es nicht in ernstzunehmender Größe. In einem Interview mit GenossInnen der Partei haben diese uns erklärt, das es jetzt wichtig ist, dass wir im Ausland unsere Solidarität mit den Menschen in Bosnien erklären. Dass wir die Informationen die wir haben verbreiten, um die Menschen in ihrem Kampf nach sozialer Gerechtigkeit zu unterstützen.