Gemeinsamer Widerstand in ganz Europa
„Empört euch, beschwert euch und wehrt euch, es ist nie zu spät!“ – sang Konstantin Wecker im Mai 2012 in Frankfurt am Main durch ein Megaphon. Eigentlich sollte er ein Konzert auf dem Frankfurter Paulsplatz geben, welches jedoch wie viele andere Demonstrationen und Aktionen in diesen Maitagen verboten wurde. Aufgerufen zum Protest hatte das Blockupy-Bündnis unter dem Motto: „Europäische Aktionstage: Besetzen, Blockieren, Demonstrieren“.
Von Doreen Ullrich
Mitten in Frankfurt, dort wo viele Banken und Konzerne ihren Sitz haben, dort wo die Europäische Zentralbank (EZB) sitzt – mitten im Herzen des deutschen Kapitalismus – sollte Widerstand deutlich werden. Widerstand gegen eine Politik der Verarmung, eine Politik der Ausbeutung, eine Politik der Versklavung der südeuropäischen Länder für deutsche Kapitalinteressen. Es sollte ein Zeichen der Solidarität mit denen, die in ganz Europa unter der Troika-Politik leiden müssen, werden. Es sollte die relative Ruhe durchbrechen, die im Klassenkampf in Deutschland herrschte. .
Auftakt 2012 …
Das Blockupy-Bündnis bestand aus mehr als einhundert Organisationen und lokalen Gruppen, darunter DIE LINKE, Attac, einige regionale Gewerkschaftsgliederungen, linke Organisationen, Occupy-Gruppen, AktivistInnen der Bewegung gegen Stuttgart 21 und viele mehr. Ausgegangen war die Initiative von der Interventionistischen Linken (IL). Es beteiligten sich auch Menschen aus Griechenland, Spanien, Frankreich und Italien. Trotz massiver Hetze in den Medien, Einschüchterung und Repressionen im Vorfeld kamen zu der einzigen genehmigten (d.h. nach langem Hin und Her vor Gericht erkämpften) Demonstration am 19. Mai 2012 mehr als 30.000 Menschen. Trotz Verbots bauten AktivistInnen in den Tagen zuvor Zelte auf dem Paulsplatz und dem Römerberg auf – wenn auch nur kurzzeitig und immer wieder den Angriffen der Polizei ausgesetzt.
Die TeilnehmerInnen der Demonstration kamen vor allem aus der linken und linksradikalen Bewegung. Breitere Teile der Arbeiterklasse konnten nicht mobilisiert werden, vor allem weil die Gewerkschaften, mit Ausnahme der GEW und einigen ver.di-Gliederungen, die Proteste nicht unterstützten. Doch trotzdem waren sie ein bedeutendes Signal gegen Umverteilung und Krisenfolgen, in der sonst relative ruhigen Bundesrepublik. Blockupy ging gestärkt und als Netzwerk aus den Protesten heraus.
… 2013 ging es weiter.
Auch 2013 mobilisierte das Netzwerk wieder nach Frankfurt – unter dem Motto: „Widerstand im Herzen des europäischen Krisenregimes“. Ziel war es, wie 2012 das Frankfurter Bankenviertel zu blockieren und den Alltag der Bankgeschäfte zu stören. Das Bündnis machte dabei deutlich: der Protest richtet sich nicht gegen die Beschäftigten der Banken – sondern gegen die Mächtigen in der EU und den Bankenzentralen. Außerdem wurde versucht einen Brückenschlag zu den Streiks und Bewegungen von Beschäftigten herzustellen, indem die Einkaufsmeile Zeil blockiert wurde. Damit wollte das Bündnis den Angriff auf die Manteltarifverträge im Einzelhandel öffentlich brandmarken und den KollegInnen Solidarität aussprechen. Allerdings gelang die Verbindung zu den Beschäftigten nur begrenzt, da diese nicht ausreichend im Vorfeld der Aktionstage geknüpft wurden und Gewerkschaften sich kaum an Blockupy beteiligten.
So sieht Demokratie aus?
Wieder gab es massive Einschüchterungen seitens der Polizei, bereits bei der Anreise wurden verschiedene Busse angehalten und durchsucht. So schrieb ein Augenzeuge auf sozialismus.info: „Nach über vier Stunden in stickigen Bussen ohne Zugang zur Toilette, die drohende Festnahme und Abschiebung vor Augen, weil man die rassistische Residenzpflicht oder andere gegen MigrantInnen gerichtete diskriminierende Gesetze gebrochen hat, entschied sich etwa die Hälfte der Flüchtlinge und UnterstützerInnen sich nicht kontrollieren zu lassen und nach Berlin zurück zu fahren. Wir anderen wurden durchsucht, fotografiert und unsere Personalien wurden aufgenommen. In der Abenddämmerung – sieben Stunden später als angepeilt – waren wir endlich im Camp.“
Auch auf der Großdemonstration mit 15.000 Beteiligten ging die Polizei massiv gegen Demonstrant/innen vor. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat, der selbst in einem Kessel fest saß und dem vorgeworfen wurde, er habe seinen Bundestagsausweis gefälscht, schrieb: „Ich hatte das Gefühl, die Einsatzleiter wollten den Kollegen in Istanbul nacheifern in Sachen Gewalt, Überheblichkeit und Menschenfeindlichkeit.“ Wieder hatten Stadt und Polizei das Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung massiv mit den Füßen getreten.
Warum die Brutalität?
Es mag widersprüchlich gewirkt haben, wenn Bundeskanzlerin Merkel die zur gleichen Zeit stattfindenden Angriffe des türkischen Polizei auf die Gezi-AktivistInnen in Istanbul stark verurteilte, gleichzeitig in Frankfurt friedliche DemonstrantInnen aber mit ähnlicher Härte misshandelt wurden. Zu letzterem äußerte sich Merkel in keiner Weise. Was widersprüchlich scheint, ist jedoch nur der Interessenslage geschuldet. Während Merkel mit der Verurteilung der Polizeigewalt in der Türkei außenpolitische Interessen Deutschlands verteidigte, kamen die Proteste in Frankfurt ungelegen.
Es soll gespalten werden
Die Wirtschaftskrise in der EU betraf damals vor allem die südeuropäischen Staaten – allen voran Griechenland. Krisengewinnler waren zumeist deutsche Konzerne und Banken. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verarmung in Südeuropa auch die deutsche Presse erreicht, verschiedene Medien berichteten über hungernde Schulkinder, fehlende Medikamente in Krankenhäusern und reihenweise Verlust der oftmals hoch verschuldeten Eigenheime und der Altersvorsorge. Die Mär vom „faulen Griechen“ bröckelte, genauso wie die Lüge, dass die Rettungsschirme den Otto-Normal-Bürgern in Südeuropa zu Gute kämen. Die deutschen Herrschenden wollten weniger Solidarität der europäischen Beschäftigten und nicht mehr – da kam ein europaweiter Protest im Herzen der deutschen Bankenlandschaft denkbar ungelegen. Frei nach dem Motto „Alles linke Spinner und Chaoten“ sollten die Proteste verunglimpft und damit marginalisiert werden.
Was du heute kannst besorgen…
Die deutsche Politik hatte auch von den Massenprotesten in Südeuropa gelernt. Dort demonstrierten Hunderttausende, streikten, besetzten Plätze und stürmten Bannmeilen und Ministerien. Das machte nicht nur den Herrschenden in Südeuropa Angst. Wenn nun doch die Krise auf Deutschland übergreift und Protest sich mehrt, so wollte man darauf vorbereitet sein und Meinungs- und Versammlungsfreiheit deutlich einschränken. Frei nach dem Motto „Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen“ sollte an den Protesten in Frankfurt auch ein Exempel statuiert werden und das Demonstrationsrecht massiv beschnitten werden. Einmal mit abstrusen Gründen eine Demonstration verhindert, würde das Beispiel bei allen Protesten hervor gezogen werden können und so Bewegungen leichter im Keim zu ersticken sein.
2014 – Blockupy again – vor den Europawahlen
Die Blockupy-Proteste im Jahr 2014 stehen auch im Zeichen der Europawahlen. Außerdem wird der Bau des neuen EZB-Gebäudes Kristallisationspunkt für Aktionen sein. Auf einer Konferenz mit mehr als 450 TeilnehmerInnen aus verschiedenen Ländern im November 2013 wurden Eckpfeiler für gemeinsamen Protest beschlossen. So soll es im Mai, kurz vor den Europawahlen, eine dezentrale europäische Aktionswoche geben. Eine Überlegung ist, eine bundesweite Demonstration in Berlin oder Frankfurt am Main durchzuführen. Außerdem soll im Herbst die Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes blockiert werden. Da der genaue Termin der Eröffnung noch nicht bekannt ist, plant das Blockupy-Bündnis eine Mobilisierung zum „Tag X“ – ähnlich wie das aus Protesten gegen Castortransporte oder Kriegseinsätze bekannt ist. Geplant ist für diesen Zeitraum auch ein Camp.
Eurokrise ist Systemkrise
Dass Blockupy bereits das dritte Jahr in Folge zu Protesten aufruft, zeigt die Schwere der Eurokrise. Seit Krisenbeginn, ist keines der Probleme gelöst – im Gegenteil in ganz Europa gab es eine massive Verarmung. Diese Krise ist nicht einfach nur eine der üblichen Konjunkturkrisen des Kapitalismus, es ist eine systemische Krise historischen Ausmaßes.
Im Blockupy Aufruf 2013 heißt es: „Wir widersetzen uns dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell, das auf globaler Ausbeutung basiert, notwendig Armut und soziale Ungleichheit produziert und die Natur systematisch zerstört.“
Antikapitalistische Kritik und die Idee eines solidarischen Europas von unten sind zentrale Punkte des Protests. Bisher stellt das Blockupy-Bündnis aber keine konkreten Forderungen auf, die an den Sorgen und Nöten der Arbeiterklasse ansetzen und diese mit der Kritik an den Krisenfolgen verbinden. Dafür hatten einige sozialistische Kräfte im Bündnis wiederholt argumentiert. Um eine breitere Mobilisierung zu ermöglichen, wäre es wichtig kämpferische KollegInnen aus Betrieben und Gewerkschaften einzubinden und an ihren Kämpfen anzuknüpfen. Mit konkreten Forderungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, dem Ende der Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen, gegen Leiharbeit und Werkverträge etc. kann die Verbindung zu Debatten in gewerkschaftlichen Initiativen und zu Kämpfen von einzelnen Belegschaften Bezug genommen und diese dadurch eher für eine Beteiligung an Blockupy gewonnen werden.
Zwei Geschwindigkeiten
Wir erleben in Fragen des Protestes ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Während sich in Südeuropa in verschiedenen Ländern die Frage stellt wie es nach dem x-ten Generalstreik weiter geht, herrscht in Deutschland relative Ruhe im Klassenkampf. Hier müssen Ideen her wie trotz dieser Unterschiedlichkeit europäische Proteste stattfinden können und wie es zu mehr Austausch kommt. In den verschiedenen europäischen Ländern sollte der dezentrale Aktionstag so ausgestaltet werden, dass die jeweiligen Bewegungen einen Schritt weiter kommen.
Für die soziale Bewegung in Deutschland wäre wichtig, der unsäglichen Hetze gegen „Armutsmigration“ etwas entgegenzusetzen. Wir wollen keine „Festung Europa“ und wir wollen keine Spaltung zwischen deutschen, rumänischen oder bulgarischen ArbeiterInnen und Armen. Es bleibt auch wichtig die internationale Solidarität mit den von der Krise besonders betroffenen Ländern weiter auszubauen, zum Beispiel durch konkrete Forderungen wie Streichung der Staatsschulden. Das ist umso mehr von Bedeutung, da die nationalistische Hetze durch Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) aber auch durch die CSU weiter zu nimmt.
Nach wie vor glauben viele Menschen in Deutschland, dass wir an der Krise vorbeigeschrammt sind. Merkel hat es geschafft, sich als DIE Krisenmanagerin zu verkaufen. Das wurde bereits beim Bundestagswahlergebnis deutlich. Dabei gibt es mit Niedriglöhnen und Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse, aber auch im Bereich Energieteuerung genug Probleme, die sich mit der Frage Europa verknüpfen lassen. Es ist Aufgabe der linken Bewegung auch die Europawahlen zu nutzen, um die soziale Situation im Lande zu kritisieren und damit mehr Mobilisierungspotential für Blockupy zu erreichen. Blockupy wird im Jahr 2014 die zentrale Gelegenheit für die linke Bewegung, um Protest zu formulieren. Es daher notwendig die Gewerkschaften eindringlich aufzufordern an den Blockupy-Protesten teilzunehmen.
Wo sind die Gewerkschaften?
Bisher haben die Gewerkschaftsspitzen, vor allem in den Industriegewerkschaften, eher ihre Standortpolitik verteidigt. Solidarität mit den südeuropäischen KollegInnen ist rar. Dabei wäre es möglich im Jahr der Europawahl die Verbindung zu Tarifkämpfen zu ziehen. In diesem Jahr steht zum Beispiel die Tarifrunde in Bund und Kommunen an – diese kann verbunden werden mit politischen Fragen wie Fiskalpakt und Schuldenbremse.
Unabhängig davon was die Gewerkschaftsspitzen machen, ist es geboten aktiv auf KollegInnen zuzugehen und betriebliche und gewerkschaftliche Strukturen einzuladen, an den Blockupy- Protesten teilzunehmen. Das wird dann gelingen können, wenn die unmittelbaren Probleme und Forderungen dieser Beschäftigten durch Blockupy aufgegriffen werden. Dabei sollte es im Vorfeld mehr Austausch zwischen den Akteuren geben. Konkreten Forderungen gegen Prekarisierung oder für Verbesserung der Arbeitsbedingungen könnten helfen KollegInnen zu mobilisieren.
DIE LINKE goes Blockupy
Bereits in den letzten Jahren hatte DIE LINKE ordentlichen Anteil an der Mobilisierung zu Blockupy. Mit ihrer Vernetzung und ihren Bundestagsmandaten kann DIE LINKE wichtigen Anteil daran nehmen Beschäftigte und Arbeitslose, Jugendliche und RentnerInnen nach Frankfurt zu mobilisieren. Der Wahlkampf der Partei muss ein Aufruf zum Widerstand sein und eine aktive Mobilisierung zu den dezentralen Aktionstagen und ggf. der zentralen Demonstration kurz vor dem Wahltag beinhalten. Es hilft allerdings eher wenig wenn Teile der Parteiführung den eigenen Programmentwurf in Frage stellen und diesen als zu EU-kritisch darstellen. Eines der Alleinstellungsmerkmale der LINKEN ist die kritische Haltung zur EU der Banken und Konzerne. Das sollte die LINKE nicht aufgeben. Hingegen sollte sie deutlicher eine Vision eines sozialistischen Europas der Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten zeichnen.
Doreen Ullrich ist Mitglied des SAV-Bundesvorstands. Sie lebt in Aachen.