Konflikte zwischen den Großmächten
Zum Ende des vergangenen Jahres spitzte sich die Situation in Ostasien dermaßen zu, dass Kommentatoren Vergleiche zur Lage vor Ausbruch des 1.Weltkrieges zogen. Was sind die Ursachen dieses Konfliktes?
von Torsten Sting, Rostock
Seit vielen Jahren gibt es Streit zwischen Japan und China um eine winzige, zudem unbewohnte Inselgruppe. Beide Länder erheben Anspruch auf Besitz dieses Eilandes.
Säbelrasseln
Nachdem es wiederholt zu Wortgefechten zwischen den rivalisierenden Mächten gekommen war, erweiterte die chinesische Seite seine Luftraumüberwachungszone. In diesem Gebiet dürfen Jets anderer Staaten nur mit vorheriger Genehmigung fliegen. Daraufhin setzte eine gefährliche Eskalation ein. Kampfflieger der USA und Japan durchflogen die Zone, ohne vorherige Anmeldung, Chinas Flugzeugträger „Liaoning“ stach in See. Diverse diplomatische Aktionen verhinderten vorerst eine weitere Zuspitzung. Doch auch in diesem Fall gilt: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer Wiederauflage kommt.
Chinas Aufstieg
Eine zentrale Ursache des Konfliktes ist der Aufstieg Chinas zu einer wirtschaftlichen Großmacht. In den letzten 30 Jahren generierte das Land im Durchschnitt ein Wachstum von knapp zehn Prozent und wurde zum El Dorado der international agierenden Konzerne. Die bürokratisch gefesselte Planwirtschaft wird von der KP China seit Ende der siebziger Jahre in einem langen Prozess schrittweise zu einer kapitalistischen Marktwirtschaft umstrukturiert.
Sicher gibt es noch immer einige wichtige Unterschiede zu den alten, westlichen Mächten. So ist der staatliche Anteil in der Großindustrie und im Bankensektor deutlich höher. Die Entscheidungen des 3. Plenums des Zentralkomitees (ZK) deuten darauf hin, dass das Tempo der kapitalistischen Reformen beschleunigt werden soll. „Wir müssen anerkennen, dass der Markt die effektivste Nutzung der vorhandenen Ressourcen erlaubt“, sagte Präsident Xi Jinping bei der Vorstellung des Programms. Dieses sieht unter anderem die Zulassung privater Banken vor, zugleich werden die Finanzmärkte liberalisiert, Börsen bekommen ein stärkeres Gewicht, das Währungssystem steht vor einer Öffnung und die privaten Eigentumsrechte werden deutlich gestärkt. Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, wie viel von diesen Vorhaben umgesetzt werden können, weil es in der chinesischen Bürokratie durchaus noch Kräfte gibt, die in einer weiteren Öffnung eine Gefahr für ihre Privilegien erblicken.
Chinas Wachstum hat zur Folge, dass der Hunger nach Rohstoffen zunimmt. Dies ist auch einer der Gründe, warum es um die Inselgruppe zu diesem erbitterten Streit kommt. Neben nationalem Prestige und Ablenkung von innenpolitischen Problemen, geht es hier auch um (bislang nur vermutete) große Rohstoffvorkommen.
Wie klassische imperialistische Mächte auch, setzt dabei die chinesische herrschende Elite gegenüber kleineren Ländern zunehmend auf ökonomischen Druck.
Interessen der USA
Vor diesem Hintergrund können sich die Vereinigten Staaten als Gegenpol zu China in Stellung bringen. So wurden zum Beispiel die Beziehungen zu Vietnam ausgebaut. Auch die Pläne für eine asiatisch-pazifische Freihandelszone unter Federführung der USA sind im Kontext einer „Eindämmung“ Chinas und dem Kampf um die Vorherrschaft in dieser zentralen Weltregion zu sehen. Die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aktivitäten der US-Imperialisten haben unter Obama deutlich zugenommen.
Diese Entwicklung hat gute Gründe. Hier befinden sich jene Märkte, die am schnellsten wachsen. Nicht nur China lockt die US-Multis, sondern auch Indien, Malaysia, Indonesien und so weiter. Dabei ist das Verhältnis zu China durchaus widersprüchlich.
Die Schicksale der Herrschenden beider Länder sind auf das Engste miteinander verknüpft. China ist der größte Gläubiger des US-Schuldenbergs. Die Regierung der Vereinigten Staaten benötigt frisches Kapital, Peking hat ein Interesse an der Rückzahlung der Verbindlichkeiten und einem stabilen Dollar. Etliche Firmen sind abhängig vom freien Zugang zum chinesischen Markt, zum Beispiel WalMart, der größte Einzelhandelskonzern der Welt, lässt einen Großteil seiner Waren hier produzieren.
Andererseits schwingt sich Peking zum ökonomischen und politischen Herausforderer Nr. 1 auf. Nicht nur in Asien, sondern auch in Afrika, wo es um das Ausplündern von Ölvorkommen geht, kommen sich die alte und neue Großmacht immer häufiger in die Quere. Mit der Aufrüstung seiner Streitkräfte fordert das chinesische Regime zudem auch militärisch die Supermacht heraus.
Abe sucht Konfrontation
Der Dritte im Bunde ist Japan. Das Land ist nach dem Ende des 2.Weltkrieges und der vernichtenden Niederlage Nippons der wichtigste Verbündete der USA in Asien. Verkompliziert werden die Beziehungen zu China durch die grausame Besetzung weiter Teile Chinas im 2. Weltkrieg. Dies ist im historischen Bewusstsein der Masse der ChinesInnen fest verankert, wird aber auch von der politischen Führung genutzt, um Nationalismus zu schüren und von innenpolitischen Konflikten (Korruption der Elite, Streiks, Landstreit) abzulenken.
Lange Jahre war Japans Rolle, jener der alten Bundesrepublik sehr ähnlich. Wirtschaftlicher Riese einerseits, politischer und militärischer Zwerg anderseits. Dies funktionierte bis Anfang der neunziger Jahre und dem parallel dazu sich entwickelnden Aufstieg Chinas auch prima. „Made in Japan“ war eines der Gütezeichen der Weltwirtschaft, in vielen Branchen dominierten Konzerne aus dem Land der aufgehenden Sonne. Die Elektroindustrie wurde von Sony, Panasonic und Co dominiert. Mit dem Platzen der Immobilienblase und dem Aufstieg der Konkurrenten aus Südkorea und China wuchsen die Probleme der japanischen Industrie. Ein überbewerteter Yen machte die auf der Insel hergestellten Waren teurer und die Konzerne verloren Marktanteile. Mit der zunehmenden Attraktivität des chinesischen Marktes verlagerten immer mehr japanische Firmen Produktionskapazitäten ins Reich der Mitte.
Chinas Aufstieg korrespondierte mit dem Abstieg Japans. Lange Zeit hatten die Regierungen nur eine Antwort auf diese Krise. Neue Konjunkturprogramme wurden aufgelegt, um damit die Nachfrage anzuregen. Die Folgen waren immer die Gleichen. Die Wirtschaft verzeichnete nur geringes Wachstum, demgegenüber wuchs die Staatsverschuldung auf über 200 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP).
Nach den Wahlen 2012 kreierte der neue Ministerpräsident eine Politik, die den Namen „Abenomics“ trägt. Deren Ziel ist es, die Stellung Japans wirtschaftlich und politisch in der Pazifikregion zu verbessern. Es werden wieder milliardenschwere, staatlich finanzierte Bauprojekte angeschoben und das Land weiterzubetoniert. Neu ist, dass die Regierung die Unabhängigkeit der Zentralbank faktisch aushebelte und eine radikale Politik des billigen Geldes durchsetzte. Seither hat der Yen deutlich an Wert verloren, japanische Waren für den Export attraktiver gemacht und die Gewinne der Kapitalisten gesteigert. Zudem hat Abe „Strukturreformen“ angekündigt, was im Regelfall bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen der abhängig Beschäftigten verschlechtert werden sollen.
Dieser innenpolitisch aggressivere Kurs wird von einer neuen Konfliktbereitschaft in der Außenpolitik begleitet. Die Verfassung soll dahingehend geändert werden, dass Kriegseinsätze legitimiert werden. Mit der Begründung, dass man sich der „chinesischen Herausforderung“ stellen müsse, steigen die Rüstungsausgaben.
Aussichten
In Ostasien treffen sich wirtschaftliche, politische und militärische Widersprüche, die einen gefährlichen Sprengsatz bilden. Es ist eher unwahrscheinlich, dass einer der beteiligten Mächte einen Krieg vom Zaune brechen will. Zu deutlich ist die Gefahr einer unkontrollierbaren Kettenreaktion, da die USA als auch China über Atomwaffen verfügen. Die Ereignisse zum Ende des letzten Jahres sind dennoch eine Warnung wie schnell es zu einer Eigendynamik kommen kann. Es ist daher von zentraler Bedeutung in den betroffenen Ländern und darüber hinaus, den nationalistischen Scharfmachern entgegenzutreten. Nicht die ArbeiterInnen der jeweils anderen Nation sind die Gegner, sondern die Reichen des eigenen Landes, die um des Profits willen nicht davor zurückschrecken, neue Kriege zu riskieren.