«Es ist bereits zehn nach 12»
von Nicolas Croes, „Linkse Socialistische Partij“/„Parti Socialiste de Lutte“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Belgien)
Am Freitag, dem 15. November, sind 700 UmweltaktivistInnen aus Belgien in einem eigens von der Organisation „Climat et Justice Sociale“ („Klima und soziale Gerechtigkeit“) gecharterten Zug nach Warschau gefahren, um an der Demonstration anlässlich des 19. UN-Klimagipfels, „COP 19“, teilzunehmen, der in der polnischen Hauptstadt stattfand. Einige DemonstrantInnen hatten sich eine Uhr auf das Gesicht gemalt, die darauf hindeutete, dass es bereits zehn Minuten nach 12 ist. Damit symbolisierten sie, wie sehr die Zeit drängt und dass es beinahe schon zu spät zum Handeln ist.
Die Delegation aus Afrika, die an der Warschauer Konferenz teilnahm, blieb dabei festzustellen, dass der Klimawandel bei ihnen bereits in vollem Gange ist und dass ihre Sorge nicht darin besteht, was morgen wohl passieren wird, sondern was heute schon vor sich geht. Zuletzt hat uns die Katastrophe, die der Taifun Haiyan auf den Philippinen angerichtet hat, daran erinnert, dass wir dringend handeln müssen und dass die Zeit der leeren Versprechungen vorüber ist. Fest steht jedoch, dass sich seit der ersten Klimakonferenz, die die UNO in Rio veranstaltet hat, nichts oder nur sehr wenig getan hat.
Ziel der Warschauer Konferenz war es nun, ein Abkommen über die Begrenzung von CO2-Emissionen vorzubereiten, das bei der „COP 21“-Konferenz in Paris im Jahr 2015 unterzeichnet werden sollte. Es kam jedoch überall zu öffentlich ausgetragenen Streitgesprächen, um jede Form von Abkommen, das für alle bindende Regeln festlegen würde, zu verhindern. Die Vereinigten Staaten haben bereits ihre Ablehnung erklärt, sollte es zu einem Papier kommen, das nicht von ihnen selbst für 2015 beschlossen worden wäre. Auch andere Staaten verorteten sich im Dunstkreis dieser Positionierung. Dabei verschanzten sie sich häufig hinter der geheuchelten Entschuldigung, wonach es schließlich die wichtigsten Nationen seien, die nichts Konkretes wünschen.
Ein Gipfeltreffen im Zeichen des Kapitals
Ein Mitglied des „Corporate Europe Observatory“ (Nicht-Regierungsorganisation, die die Effekte des Wirtschaftslobbyismus auf die Politik untersucht; Anm. d. Übers.) sagte einem Journalisten der französischen Tageszeitung „Libération“, dass „die >COP 19< das extremste Beispiel dafür sein wird, wie eine COP jemals von privater Hand kontrolliert worden ist. Die polnische Regierung gewährte elf privaten Unternehmen den Status, >Partner< der Konferenz zu sein. Darunter befinden sich auch jene, die die umweltschädlichsten Bilanzen vorzuweisen haben; so etwa >ArcelorMittal<, der größte Nutznießer auf dem europäischen CO2-Markt, oder der Autobauer BMW, der seit Jahren schon alle Versuche der EU blockiert, die Emissionswerte bei PKW abzusenken“.
Selbst wenn die polnischen Behörden mit dazu beitragen, dass es zu sehr extremen Beispielen kommt (das Wirtschaftsministerium ist sogar so weit gegangen, am Rande der UN-Verhandlungen ein internationales Treffen über Kohle und Klima durchzuführen, um die Bergbaubranche zu unterstützen), so zwingen die Wettbewerbslogik und der Wettlauf um Profite, der vom Kapitalismus vorangetrieben wird, jede Regierung dazu, sich mit einem einzigen Ziel an diesen Verhandlungen zu beteiligen: um die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Volkswirtschaft abzusichern.
„Es ändert sich eh nichts, lasst also alles, wie es ist …“
Albert Einstein pflegte den Wahnsinn wie folgt zu beschreiben: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“. In gewisser Weise beschreibt dies auch den Sinn von Gegen-Gipfeln. Für viele AktivistInnen und eine ganze Reihe von NGOs aus Belgien bestand das Ziel der Mobilisierung vor allem darin sicherzustellen, dass „die führenden PolitikerInnen ihren Mut und ihre Entschlossenheit unter Beweis stellen“. Doch diese führenden PolitikerInnen haben bisher rein gar nichts getan, um dem Kern aller Probleme entgegen zu wirken: Der gigantischen Verschwendung von Ressourcen und Energie, die durch internationale Produktionsabläufe verursacht wird, die wiederum auf der Profitmaximierung auf Kosten der Umwelt und der Mehrheit der Bevölkerung basiert. Aus welchem Grund sollten sie gerade jetzt damit beginnen?
Jeden Tag aufs Neue werden wir ZeugInnen davon, dass es sich bei diesen RegierungsvertreterInnen nur um Marionetten handelt, die unter der Kontrolle einer Diktatur stehen, die die Banken und multinationalen Konzerne ausüben. Beispiele dafür sind die Austerität, Kürzungen, nach unten justierte Umweltstandards, was mit der Wirtschaftsrede begründet wird, massive Rettungspakete an Unternehmen (Konzernchefs und Aktienbesitzer und eben nicht an die Beschäftigten) und und und.
Einige AktivistInnen verstecken sich hinter der Idee, dass es neben den Umweltkatastrophen und der Realität des Klimawandels ihre Demonstrationen sind, die ausreichen, um bei den Eliten und politischen EntscheidungsträgerInnen sofort eine Kehrtwende im Handeln zu bewirken. Das Beispiel der immer kleiner werdenden Eisfläche in der Arktis zeigt uns wiedereinmal, wie es im Kapitalismus die Tendenz gibt, die schlimmsten Begebenheiten einfach in sich zu übernehmen: Das Schmelzen des Eises hat im wörtlichen Sinn neue Felder eröffnet, die von wirtschaftlichem Interesse sind. Plötzlich ist es in den entsprechenden Regionen möglich, neue Ölfelder zu erschließen.
Systemwechsel – nicht Klimawandel!
Fast die Hälfte der Demonstration bestand aus den TeilnehmerInnen, die aus Belgien angereist waren. Weniger als 2000 Menschen waren mit von der Partie, was ein starker Hinweis darauf ist, wie sehr die sinnlosen Gipfeltreffen und die Demonstrationen, die mit ihnen einhergehen, an Legitimation verloren haben. Schließlich ist auch ihr Wirkungsgrad reichlich begrenzt. Hinzu kommt, dass es vor allem in Polen sehr schwer ist, für dieses Thema zu mobilisieren.
Umweltfragen werden in den Medien so gut wie gar nicht behandelt. 86 Prozent der Energie, die im Land erzeugt wird, stammt aus fossilen Brennstoffen, und rund drei Millionen Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt von diesen ab (darunter 90.000 Bergleute). Angesichts der Tatsache, dass der Austausch der stalinistisch organisierten Wirtschaft durch einen wilden Kapitalismus mit dem Begriff des „demokratischen Wandels“ in Verbindung gebracht wird, wird dem Begriff des „ökologischen Wandels“ in diesem Land mit Argwohn begegnet. Spricht man ein mögliches Umweltabkommen an, so herrscht selbst bei den Gewerkschaften extreme Skepsis. Vor diesem Hintergrund ist es zwecklos, Umweltabkommen auf das Gerede von „verantwortungsvollem Konsum“ oder Photovoltaik zu beschränken.
Will man den künstlich erzeugten Widerspruch zwischen Beschäftigung und Umweltbelangen aufheben, so muss man die Probleme an der Wurzel packen. Es ist absolut notwendig, dem völligen Bankrott des Kapitalismus auf wirtschaftlicher, humaner und auf der Umwelt-Ebene damit zu begegnen, dass man die Menschen auf der Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisiert. Dementsprechend müssen wir auf die Aktionsformen und -mittel der Arbeiterbewegung zurückgreifen. Die Wirtschaft muss durch das Mittel des Generalstreiks und den Kampf der Massen blockiert werden.
Um der ökologischen Katastrophe Einhalt gebieten zu können, brauchen wir einen mutigen Plan zur Neuausrichtung der Wirtschaft. Durch die Kollektivierung der Schlüsselindustrien unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten könnten die reaktionären Antworten der Banken und Konzerne ad acta gelegt werden. Desgleichen müssten wir uns gegen jeden Versuch richten, erneut eine bürokratisch geplante Wirtschaft zu errichten, wie wir sie in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion erleben mussten.
Nur eine demokratisch geplante Wirtschaft ist in der Lage, die Ressourcen der Erde verantwortungsbewusst einzusetzen und dabei gleichzeitig eine Alternative anzubieten. So wären sichere Arbeitsplätze für die Beschäftigten (wie etwa die Bergleute) natürlich möglich, deren Lebensbedingungen im Moment noch von der Ausbeutung der fossilen Brennstoffe abhängig sind. Auf der Ebene des Umweltschutzes wäre es gerecht, wenn es nicht die Beschäftigen oder die Mehrheit der Bevölkerung der ärmeren Staaten wären, die unter Maßnahmen zu leiden hätten, mit denen der Klimawandel eingedämmt werden soll.
Die jüngsten Mobilisierungen, die die Welt in Atem hielten und die mit der Revolution in Tunesien 2011 ihren Anfang nahmen, zeigen, wie es weitergehen kann. Doch die scheinbare Sackgasse, in der sich all die vortrefflichen Bewegungen nun wiederfinden, zeigen, wie dringend nötig es ist, aufrichtig und angemessen über eine Alternative zum Kapitalismus und einen Ausweg aus diesem System zu diskutieren. Lediglich auf die Verantwortung des Systems hinzuweisen, wird in keinster Weise dazu führen, dass das System ein langsameres Tempo anschlägt – geschweige denn überwunden wird.
Im Klima-Zug sind auch einige AktivistInnen von PSL-LSP mitgefahren. Gemeinsam mit unseren GenossInnen von der polnischen Sektion des CWI, der „Alternatywa Socjalistyczna“, bildeten wir einen Block in der Protestdemonstration. Bei der Abschlussveranstaltung konnte einer unserer GenossInnen kurz eine Rede halten, in der er auf den Zusammenhang zwischen der Umwelt- und der Wirtschaftskrise hinwies. Er betonte, wie wichtig es ist, die Mobilisierungen zur sozialen Frage im Kampf für eine demokratische sozialistische Gesellschaft zu vereinen.