Von der Webseite von „Xekinima“, der Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Griechenland
Am Mittwoch, den 18. September wurde in Keratsini, einem Arbeiterstadtteil, der zur zweitgrößten griechischen Stadt Piräus gehört, der antifaschistische Hip-Hop-Musiker Pavlos Fyssas von einem Anhänger der Nazi-Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) durch einen Messerangriff getötet.
von Alexandros Prantounas
„Ein solcher Tag ist schön, um zu sterben, schön und aufrecht und sichtbar für alle“ (Killah P, „Zoria“). Kann denn jemand „schön“ sterben? Niemand kann auf diese Frage eine Antwort geben. Sicher aber starb Pavlos Fyssas „sichtbar für alle“. Ihn töteten ängstlich dreiste Elemente aus dem Abschaum – und sie töteten ihn, weil er aufrecht lebte. Und er lebte nicht nur, er starb auch aufrecht. Im Gegensatz zu ihm lebten und leben seine Mörder gebeugt. Gebückt vor ihren Herren. Auf den Knien vor Pavlos.
Ein Kind der Arbeiterklasse
Aufgewachsen im Arbeiterviertel von Keratsini, trat Pavlos schon von klein auf in den Existenzkampf ein. Als Sohn eines Arbeiters im Schiffbau von Perama (Sohn von Meister Takis, als den ihn seine Kollegen kennen und der mit seinen 62 Jahren noch kämpfen muss, um für seine Rente einzuzahlen) ging auch er dorthin, um zu arbeiten.
Als Rohrleger-Helfer von 1998 bis 2003 – das heißt, solange es feste Arbeit gab. In den darauf folgenden Jahren widmete er sich mehr der Musik, doch er arbeitete weiterhin bis zum Schluss gelegentlich in diesem Bereich. Als Mitglied der Metallgewerkschaft von Piräus (wie auch sein Vater) – bis zum Schluss nahm er kontinuierlich an den Mobilisierungen der Branche teil.
Ein kompromissloser Künstler …
Seit seiner Schulzeit liebte er den Hip-Hop und schnell verwandelte er sich vom Zuhörer zum Künstler. So wollte er alles, was ihm den Hals zuschnürte, in seinen Versen ausdrücken.
Seine ersten künstlerischen Anstrengungen sind verbunden mit der Bewegung des Low Bap. Er wirkte von 1997-2001 in der Formation „Kaka Mandata“ („Schlechte Nachrichten“) mit. Später machte er alleine weiter unter dem Pseudonym Killah P oder Killah Past („Mörder der Vergangenheit“). Er selbst erklärte, dass sein Pseudonym mit seiner Ansicht zu tun habe, dass wir nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen dürfen und uns weiterentwickeln müssen. Er wirkte bei verschiedenen Formationen und Projekten mit, während er eine Reihe von Kooperationen mit bedeutenden Künstlern der Hip-Hop-Szene hatte.
Pavlos war der Ansicht, dass die Kunst keine Ware sein darf. Er verbreitete seine Musik kostenlos über das Internet und er interessierte sich nie für public relations und Plattenfirmen. Er drückte sich lieber frei und unabhängig aus als sich anzupassen. Er zog Räume vor, wohin die Kinder der Arbeiterklasse ziehen. Wie sein Freund und Kollege bei den „Kaka Mandata“ Totem charakteristischerweise erwähnte, konnte er für ihre zweite Demo nicht rappen, da er so erschlagen war von der Arbeit kam, dass er im Studio einschlief und durch nichts wach zu kriegen war.
Doch er hatte sich entschlossen, seinen Weg zu gehen. Er wusste auch, was die Manager und die großen Musikmedien unter Hip-Hop verstehen. Er sprach von den wirklichen Problemen der Gesellschaft – während jene ihn so wollten, dass er Verse über teure Autos schrieb und über tolle Macker, geschmückt natürlich mit den bekannten sexistischen Klischees. Wie er selbst in einem Interview sagte:
„(…) der Rap ist eine sehr gefährliche Waffe, die ebenso von gefährlichen und perversen Köpfen benutzt wird, und darauf stützen sie natürlich die ganze Kultur (…)“.
In seinen Versen findet man nicht immer Antworten. Doch die richtigen Fragen werden andauernd gestellt: Soziales Unrecht, staatliche Repression, Faschismus. Die Morde an Alexandros Grigoropoulos (ein 16-jähriger Schüler, der bei einer Polizeikontrolle von Polizisten im Athener Szeneviertel Exarchia 2008 erschossen wurde, was eine wochenlange Jugendrebellion zur Folge hatte, Anm. d. Übers.) und an Carlo Giuliani, die korrumpierten bürgerlichen Politiker, die Lügen der Medien, die Verdummung durch den Fernsehmüll, die Konsumgesellschaft und den Zynismus, die sie als Vorbild propagieren, tauchen in seinen Versen auf und wecken Bewusstsein.
Seine Gegnerschaft zum Faschismus war nicht nur seinen Freunden bekannt, sondern auch seinen Feinden. „Sie standen mit ihm auf Kriegsfuß, weil er antifaschistische Lieder schrieb“, wie in einem Interview der Zeitung „Ethnos“ ein ehemaliges Mitglied der Lokalorganisation der Nazi-Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) in Nikaia sagte.
… er meinte das auch, was er schrieb
Natürlich sprechen viele Künstler in ihren Versen über gesellschaftliches Unrecht. Doch wie wir alle wissen, setzen das nur wenige in die Praxis um. Pavlos gehörte zu Letzteren.
Wie dies in einem Brief an die Medien der Rapper und Freund von Pavlos, Christos Panoilias beschreibt, ergriff Pavlos Anfang Februar 2012, als Polarkälte in Athen herrschte und das Leben der Wohnsitzlosen bedrohte, alleine die Initiative, um Hip-Hop-Künstler zusammenzurufen und die Gegenden im Zentrum von Athen mit ihrem schlechten Ruf zu durchkämmen, um die Wohnsitzlosen zu informieren, wo sie Übernachtungsmöglichkeiten finden können und ihnen zu helfen, sichere Unterkünfte aufzusuchen. Während dieser Aktion stoppten Polizisten der Abteilung DIAS, die auf Streife waren, in drohender Haltung die Teilnehmer und fragten sie, wer sie seien und warum sie das täten – war vielleicht einer von diesen auch bei der Gruppe von Polizisten, die „diskret“ seine Ermordung eineinhalb Jahre später beobachtete? Das werden wir nie erfahren …
Pavlos hatte keine bestimmte parteipolitische Position. Er war aber klar und eindeutig gegen die Faschisten und das kapitalistische System, eindeutig für die Schwachen. Und das, was er glaubte, setzte er auch in die Praxis um. Er nahm kontinuierlich an sozialen Bewegungen teil.
„Er war der Typ Mensch, der, wenn er auf der Straße sehen würde, dass ein Mädchen belästigt wird, hinlaufen würde, um zu helfen“, wie Totem sagt. Seine Freunde und Kollegen wussten immer, dass er, wenn sie ein Problem hatten, alles tun würde, um sie zu unterstützen.
Denn Pavlos hatte seine Ehre. Seine Mörder dagegen wissen nur etwas von Blutvergießen.
Zwei Welten
Pavlos Fyssas lebte und starb aufrecht. Sogar im Moment des Überfalls war seine erste Sorge, die Schwächsten aus seinem Freundeskreis – die Mädchen und die körperlich weniger Starken – zu schützen. Er stellte sich der Horde vor ihm entgegen. Er schaute den Schlägern in die Augen und forderte sie auf, wenn sie den Mumm dazu hätten, einzeln zu kommen. Wir wissen alle, dass sie den nicht hatten …
Wie sehr auch die traurigen armseligen Papageien in den Fernsehsendern versuchen werden, uns zu überzeugen, dass an jenem Abend die beiden „Extreme“ zusammengestoßen seien, so wissen wir, dass an jenem Abend in Wirklichkeit zwei verschiedene Welten aufeinander gestoßen sind. Auf der einen Seite die Uneigennützigkeit, der Mut und der Kampfgeist der Arbeiterklasse, wie ihn Pavlos Fyssas ausdrückte, und auf der anderen Seite die Fäulnis, die Feigheit und der Kannibalismus, wie ihn die Nazis und schließlich das diese nährende System ausdrücken.
Doch der Zusammenstoß zwischen diesen beiden Welten ist an jenem Abend nicht zu Ende gekommen – und er wird nicht enden, bis nicht unsere eigene Welt daraus als Sieger hervorgeht. Das ist nicht leicht und wird sicherlich nicht „an einem Tag“ geschehen.
Doch das Beispiel von Pavlos wird uns mit Sicherheit Mut machen in all jenen Momenten, in denen wir uns „klein“ und „schwach“ fühlen gegenüber dem System und seinen Kettenhunden.
Sein Name und seine Person werden eingraviert sein in unseren Parolen, auf unseren Fahnen, in unseren Liedern und auf unseren Transparenten. Sie werden uns Kraft geben, um dieses verfaulte System eine Stunde früher loszuwerden.
So werden auch wir zu „Mördern der Vergangenheit“ geworden sein. Auf diese Weise wird Pavlos am Besten zu seinem Recht kommen.
Übersetzung aus dem Neugriechischen von Hubert Schönthaler