Proteste der „Non-Citizens“ in Bayern
Die Protestbewegung der Asylsuchenden in Bayern flaut nicht ab, im Gegenteil: Kam es im vergangenen Jahr vor allem in Nordbayern zu Aktionen des zivilen Ungehorsams und gelang im März dieses Jahres die Vernetzung in Form eines Flüchtlingskongresses mit Beteiligten aus dem ganzen Bundesgebiet, schuf Ende Juni 2013 ein Hunger- und Durststreik auf dem Rindermarkt in München eine Situation, in der sich Politik und Medien nicht länger wegducken konnten.
von Jonas Bok, München
Die Aktion auf dem Rindermarkt zwang die bürgerliche Presse dazu, aus der Situation der Flüchtlinge in Bayern mehr zu machen als eine Randnotiz. Und auch die Regierung konnte es sich nicht erlauben, die Vorgänge nur als Fall für die Polizei abzutun, es mussten Zugeständnisse gemacht werden: So wurde in der bayerischen Durchführungsverordnung des Asylbewerberleistungsgesetzes der Satz „Die Unterbringung in Sammellagern soll die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ gestrichen – ohne dass dies freilich in der Praxis etwas am inhumanen Umgang mit den Flüchtlingen geändert hätte.
Residenzpflicht und Essenspakete
Dass im Vorfeld und nach der polizeilichen Räumung des Camps von Seiten einer Koalition aus CSU-Landesregierung, der Münchner SPD-Ratsmehrheit sowie der Medien massiv versucht wurde, den Flüchtlingsprotest politisch zu delegitimieren und den Polizeieinsatz zur „humanitären Intervention“ umzudeuten, ist die Kehrseite. Noch immer gilt in Bayern eine Form der Residenzpflicht (eine ohnehin schon europaweit einmalige Form der Einschränkung des Rechts auf Bewegungsfreiheit), die es in dieser Strenge sonst nur noch in Sachsen gibt, ist der Aufenthaltsbereich eines Flüchtlings auf den jeweiligen Regierungsbezirk beschränkt. Daneben ist Bayern das einzige Bundesland, das flächendeckend auf die entmündigende Form der Versorgung durch Essenspakete setzt. Vom Arbeitsmarkt und von der Möglichkeit, ein Studium aufzunehmen, sind die Flüchtlinge ausgeschlossen.
Protestmärsche im Spätsommer
Von daher war es zu erwarten, dass die Flüchtlinge bald nach Beendigung ihrer Aktion auf dem Rindermarkt ein neues Kapitel ihrer Proteste aufschlagen würden. Am 20. August machten sich von Bayreuth und Würzburg aus zwei Protestmärsche auf den Weg nach München, wobei einerseits der Forderung nach Aufhebung der oben genannten Schikanen Nachdruck verliehen werden sollte, es andererseits aber – und das ist die neue Qualität der aktuellen Flüchtlingsbewegung – auch darum ging, zu unterstreichen, dass man sich als „Non-Citizens“ begreift, als Menschen, deren Bürger- und Menschenrechte missachtet werden. Sie kämpfen um Bürgerrechte, um gemeinsam mit anderen hier Lebenden den Widerstand gegen die „ganz normalen Ausbeutungsverhältnisse“ effektiv aufnehmen zu können. Dass der Protestmarsch nach München in einem mehrtägigen Aufenthalt im Münchner DGB-Haus kulminierte, muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden.
Flüchtlinge im Münchner DGB-Haus
Im Gewerkschaftshaus suchten die etwa 60 Flüchtlinge zunächst – angesichts der auf dem Marsch erfahrenen massiven Repression (martialische Polizeipräsenz, schikanöse Verhaftungen, Malträtierungen durch die Ordnungskräfte im Zuge von „Routinekontrollen“ et cetera) und der durchaus realen Furcht vor einem polizeilichen Zugriff – gleich nach der Ankunft in München Schutz. Sie blieben aber auch über eine von den verantwortlichen Funktionären gesetzte Frist hinaus vor Ort und forderten angesichts der erfahrenen Repression ein Mehr an öffentlicher Unterstützung für ihre politischen Ziele.
Die Reaktionen von Seiten der DGB-Funktionäre waren in den ersten Tagen der Besetzung reserviert bis offen ablehnend. Man hing sich an den organisatorischen Problemen des Aufenthalts der Flüchtlinge im Gewerkschaftshaus auf. Mit Hartnäckigkeit und Diskussionsbereitschaft gelang es den „Non-Citizens“ und ihren UnterstützerInnen schließlich, Gewerkschaftsmitglieder wie auch einzelne Funktionäre als Fürsprecher zu gewinnen und die Stimmung zu drehen. Ein Prozess, bei dem einzelne LINKE-Mitglieder im Gewerkschaftsapparat wie auch außerhalb desselben durchaus eine positive Rolle spielten, die Partei insgesamt jedoch noch viel zu wenig als Unterstützerin der Flüchtlinge sichtbar war.
Gruppen engagierter Gewerkschaftler, wie der „ver.di-AK gegen Rechts“, organisierten nun Soliveranstaltungen unter Beteiligung der „Non-Citizens“ im DGB-Haus, diese selbst konnten einen Redebeitrag im Zuge der Münchner „UmFAIRteilen“-Demo durchzusetzen und der Auszug der Flüchtlinge aus dem Gewerkschaftshaus, auf den man sich schließlich einigte, ging einher mit einer Solierklärung des Münchner DGB-Vorsitzenden, was bemerkenswerten Nachhall in der Münchner Presse fand.
Dieser Ausgang der Aktion war ein positives Signal, da allgemein deutlich wurde, dass die „Non-Citizens“ gesellschaftlich nicht alleine dastehen. Die Zusammenarbeit von FlüchtlingsaktivistInnen und Gewerkschaften gilt es in Zukunft noch zu verbreitern – und deutlich zu machen, dass gewerkschaftliche Unterstützung für Flüchtlinge weniger karitatives Handeln als vielmehr praktische Solidarität unter (faktisch beziehungsweise potenziell) Lohnabhängigen darstellt.
Fluchtursachen, nicht Flüchtlinge bekämpfen
2012 waren weltweit „43 Millionen Menschen auf der Flucht vor bewaffneten Konflikten oder Verfolgung – so viele wie seit Mitte der neunziger Jahre nicht mehr“, so Amnesty International in ihrem Jahresreport.
Nur 0,2 Prozent von ihnen beantragen derzeit Asyl in Deutschland. Die meisten Flüchtlinge kommen hingegen in sogenannten „Dritte-Welt-Ländern“ unter. Hinzu kommen zwei Millionen Syrer, die vor dem dortigen Krieg fliehen mussten (über drei Millionen sind innerhalb von Syrien auf der Flucht).
Die Bundesregierung erklärte sich gerade mal bereit, 5.000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen.
2012 wurden etwa 65.000 Erstanträge auf Asyl gestellt, aber lediglich 8.764 Menschen erhielten Asyl. Weitere 8.376 AsylbewerberInnen erhielten Abschiebeschutz. Sogar die Schweiz nimmt viermal mehr Flüchtlinge auf als Deutschland.
Aktuell steigen gerade die Flüchtlingszahlen aus Afghanistan, wo deutsche Truppen bekanntlich seit 2001 in einen Krieg involviert sind.
Im Übrigen liegt die Bundesrepublik bei den Waffenausfuhren inzwischen global auf Platz 3.