„Zusammen einzigartig“ unter diesem Motto finden die diesjährigen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit statt.
Weniger die Polit-Shows als vielmehr Publikumsmagnete aus der Musik- und Kulturszene werden Hunderttausende nach Stuttgart locken. Doch Stuttgart ist immer noch Hauptstadt des Widerstands. Die 191. Montagsdemo fiel dieses Jahr mit dem dritten Jahrestag des Schwarzen Donnerstags zusammen.
Am 30.9.2010 haben in Stuttgart 2.000 Schülerinnen gestreikt für „Geld für Bildung statt für S 21 gestreikt. Und nicht nur das. Zusammen mit hunderten von weiteren Stuttgart-21-Gegnerinnen und Gegnern haben sie sich friedlich und erfolgreich der Staatsgewalt widersetzt. Die geplante sofortige vollständige Abholzung und Zerstörung ihres Mittleren Schlossgartens wurde damals verhindert. SAV-Mitglieder haben bei der Organisierung des Schülerstreiks und der Blockade gegen die anrückenden Polizeifahrzeuge eine führende Rolle gespielt. Durch einen der brutalsten Polizeieinsätz in der Geschichte Baden Württembergs wurde die Großblockade vom 30.9.2013 aufgelöst. Es gab 400 Verletzte.
Bei der Montagsdemo am 30.9.2013 kamen 8.000 Menschen zur Demo. Die Aktivisten gegen Stuttgart 21 sind durch ihre jahrelange Erfahrung mit den Politikern der etablierten Parteien desillussioniert. Für sie sind sie „LÜGENPACK“. Obwohl die Volksabstimmung zu S 21 für die Gegner verloren ging, obwohl die Grünen in der Landesregierung zu Projektbetreibern geworden sind, obwohl die Baumaßnahmen in Stuttgart bereits Schneisen der Stadtzerstörung angerichtet hat, geht der Widerstand weiter. 8.000 gingen am 30.9.2013 auf die Straße. Regelmäßig gibt es Baustellenblockaden. Hunderte sind aktiv in verschiedenen Gruppen des Widerstands.
Bei den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Deutschen Wiedervereinigung präsentiert sich der Widerstand gegen Stuttgart mit Protestaktionen bei offiziellen Feierlichkeiten. Die Besucher sollen durch Flaggen, Flyer und Aufkleber über Stuttgart 21 und den Widerstand dagegen informiert werden. Die Blockadegruppe der Parkschützer setzt dem offiziellen Motto „Zusammen einzigartig“ das Motto „Einzigartig ist unser Widerstand“ entgegen. Die SAV hat anlässlich der Feierlichkeiten einen Flyer herausgebracht, in der die Lügen über die DDR-Revolution und das Schönreden der kapitalistischen Wirklichkeit widerlegt wird:
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24 Jahre Mauerfall: Revolution für den Kapitalismus?
Die Wahrheit ist: mehr als zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer ist die Kluft zwischen Reich und Arm so groß wie nie zuvor. Die Methoden des Teilens und Herrschens werden immer perfider. Der Rahmenbefehl der Landesregierung zur lückenlosen Überwachung der S-21-Gegner, die Kriminalisierung von K21-Aktivisten, der Schutz von Neonazis durch Polizei und Verfassungsschutz zeigen, dass Repression groß geschrieben wird. Das Führungspersonal des real existierenden Kapitalismus in den Chefetagen der Konzerne und Regierungen ist genau so am Ende mit ihrem Latein wie die Greise des SED-Politbüros 1989.
Angela Merkel, Joachim Gauck und viele andere aus Ostdeutschland stammende Politiker gehörten nicht zu den Mutbürgern der DDR-Revolution. Sie hatten sich mit dem System damals arrangiert. Sie gehören zu den Kräften die die Revolution auf kapitalistische Bahnen lenkten. Sie stehen dafür, dass die Diktatur von SED und Stasi durch die Diktatur der Banken und Konzerne ersetzt wurde.
Die Massenbewegungen damals wollten keine Rückkehr zu Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung und soziale Unsicherheit. Die DDR-Bevölkerung hat sich die Reisefreiheit erkämpft. Aber ein Hartz-IV-Empfänger hat heute kein Geld für eine Fahrkarte, um aus seinem Stadtteil herauszukommen. Die DDR-Bevölkerung hat sich von der Stasi-Bespitzelung befreit. Jahrzehnte später sind wir durch NSA und andere Geheimdienste totalüberwacht.
„Zwischen dem Sturz der SED-Diktatur und der Machtübernahme durch das westdeutsche Establishment war die DDR „das freieste Land der Welt“. ..Unsere Unterwerfung unter das westdeutsche Establishment wurde dazu benutzt, praktisch schon erkämpfte Freiheiten wieder abzuschaffen und demokratische wie soziale Rechte und Freiheiten für die Mehrheiten in ganz Deutschland zurück zu drehen.“
Rede des DDR-Bürgerrechtlers Bernd Gehrke auf der Montagsdemo in Berlin am 13.9.2004
Zu Beginn der Revolution war die Wiedereinführung des Kapitalismus kein Ziel. Selbst die Regierung Kohl hielt das anfangs für nicht erstrebenswert und nicht realisierbar.
Die Aktivisten der DDR-Revolution hatten aber keine Vorstellung und keine Strategie wie sie die Selbstermächtigung und Selbstorganisation, die erreichten demokratischen Recht in eine demokratischen Selbstverwaltung des gesamten Gesellschaft verwandeln konnten. Sie hatten auch keine Vorstellung, wie die Staatsbetriebe zu funktionierenden und produktiven Betrieben werden konnten.
Wenn eine Revolution ihre Ziele aus eigener Kraft nicht umsetzen kann, dann entsteht ein Machtvakuum, das von gegnerischen Kräften genutzt wird, um die Revolution abzulenken. So geschah es in der DDR 1989, so geschah es auch in den Revolutionen des arabischen Frühlings. In der DDR schaffte es Kanzler Kohl mit seinen Versprechungen von den „blühenden Landschaften“ und einer geschickten Strategie die Revolution in Richtung Kapitalismus und Wiedervereinigung zu manövrieren. Die Herrschenden feiern dies bis heute als historischen Sieg der Marktwirtschaft über den Sozialismus. Dabei war die Stasi-Diktatur in der DDR das Gegenteil von dem was Marx, Engels und Rosa Luxemburg unter Sozialismus verstanden. Sozialismus heißt, dass planmäßig nach den Bedürfnissen der Menschen und der Umwelt produziert wird. Sozialismus bedeutet direkte Demokratie. Das heißt, auf allen Ebenen in der Gesellschaft, angefangen in der Schule, Betrieben, Stadtteilen gibt es demokratisch gewählte Räte als Leitungsorgane. Diese Räte sind lokal, regional, bundesweit und international vernetzt. Diese gewählten Räte müssen jederzeit abwählbar sein und dürfen nicht mehr verdienen als der Durchschnitt. Karriere machen mit Politik läuft nicht mehr.
„23 Jahre nach der Wiedervereinigung leben wir in einem Deutschland, in dem Demokratie und Solidarität großgeschrieben werden“.
So Winfried Kretschmann in seinem Grusswort zu den Feiern am 2. und 3. Oktober. Mit dieser Aussage qualifiziert sich Kretschmann erneut als Teil des „S21-Lügenpacks“.
Die Systeme im Ostblick und der Sowjetunion sind an Repression und Misswirtschaft gescheitert. Sie sind daran gescheitert, dass sie genau nicht sozialistisch waren. Wenn eine verstaatlichte Wirtschaft vor allem dazu dient eine kleine Clique von Funktionären mit Posten, Macht und Privilegien zu versorgen, hat das nichts mit Sozialismus zu tun. Wenn statt Meinungs-, Presse- und Organisationsfreiheit die Gesellschaft von einem Einparteiensystem gleichgeschaltet und unterdrückt wird, ist das das Gegenteil von Sozialismus. Der Sturz der Parteidiktatur war gerechtfertigt und er hatte Elemente einer sozialistischen Revolution. Die Wiedereinführung des Kapitalismus in den vormals stalinistischen Staaten war nicht zwangsläufig. Sie war vor allem Ergebnis des Mangels einer revolutinär-sozialistischen Partei.
Historisch betrachtet hat der Kapitalismus in Ostdeutschland nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben. Wir brauchen einen neuen Anlauf für die Abschaffung des Kapitalismus. Dafür kämpft die SAV.
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Der Zusammenbruch des Stalinismus und seine Folgen
DDR 1989 – Die gescheiterte Revolution
von Robert Bechert
Im Herbst 1989 wurde die stalinistische SED-Diktatur durch eine revolutionäre Massen-bewegung gestürzt. Wie war es möglich, dass das DDR-Regime in wenigen Wochen aus den Angeln gehoben werden konnte? Welchen Charakter hatte die Bewegung? Gab es eine Alternative zur Wiedervereinigung auf kapitalistischer Grundlage?