2300 LehrerInnen und 200 SchülerInnen streiken in Berlin

Neumark-GSWie kann der Druck auf den Senat erhöht werden?

Am Montag den 21. Oktober streikten die angestellten Lehrerinnen und Lehrer in Berlin erneut für ihren Tarifvertrag und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Während Viele befürchteten, dass die Streikfront bröckeln könnte, knüpfte der Streik mit 2300 TeilnehmerInnen am früheren Niveau an. Aber sie fordern auch weitergehende Schritte. Viele KollegInnen wollen eine Verschärfung des Arbeitskampfes. Die LehrerInnen bekamen einerseits Unterstützung vom Einzelhandel, der eine Delegation zu dem Protest schickte und mit Schildern die Solidarität ausdrückte. 200 SchülerInnen streikten ebenfalls und gingen für bessere Bildung auf die Straße. Im Gegensatz zu den LehrerInnen demonstrierten sie einmal durch die Berliner Innenstadt.

Wir veröffentlichen hier das Solidaritätsschreiben und Faltblatt der SAV Berlin an die streikenden Kolleginnen und Kollegen:

Die Blockade der Arbeitgeber brechen:

Wie kann der Druck auf den Senat erhöht werden?

Solidaritätserklärung und Diskussionsbeitrag der sozialistischen Alternative

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ihr steht heute erneut für Eure berechtigten Forderungen ein. Mit dieser Hartnäckigkeit seid ihr ein Vorbild für Eure KollegInnen bundesweit, die in vielen anderen Bundesländern jetzt erst am Anfang der Tarifauseinandersetzung stehen. In Berlin zeigt ihr, wie auch die KollegInnen im Einzelhandel und an der Charité, dass die Arbeitgeber nicht durchkommen mit ihrer sturen Verweigerungshaltung. In welcher Branche auch immer: Wir müssen unsere Interessen als abhängig Beschäftigte durchsetzen.

Wir, die Sozialistische Alternative, erklären uns mit eurem Kampf solidarisch. Wir wollen uns an der Diskussion beteiligen, wie es nach dem 21. Oktober weitergehen kann. Denn mit dem 14. Streiktag stellt sich für euch immer schärfer die Frage, wie der Kampf gewonnen werden kann.

Schuldenbremse erzwingt Sparpolitik

Nußbaums Haltung gegenüber der GEW ist nicht nur unverfroren und ignorant. Sie ist auch Ausdruck einer politischen Strategie. Denn der Senat will die Haushalts-konsolidierung fortsetzen. Zugeständnisse an gewerkschaftliche Forderungen sind im Entwurf für den Doppelhaushalt 2014/15 nicht eingeplant. Es wäre ein Durchbruch, wenn angestellte Lehrkräfte eine tarifliche Eingruppierung und einen Ausgleich der Nettogehaltslücke nach oben erkämpfen würden. Das würde weitere Streiks gegen die andauernde Spirale nach unten ermutigen. Unmittelbar hätte das Konsequenzen für die Charité, wo die Beschäftigten eine tarifliche Personalbemessung fordern, die endlich eine humane Pflege ermöglichen würde. Die KollegInnen würden sich bestätigt fühlen, ebenfalls gegen das Diktat der „Schuldenbremse“ anzugehen. Solch ein Szenario will der Senat verhindern.

Was tun gegen die Blockade der Arbeitgeber?

200 Schülerinnen und Schüler streiken zusammen mit den LehrerInnen
200 Schülerinnen und Schüler streiken zusammen mit den LehrerInnen

Auch bundesweit hätte ein Durchbruch der GEW Berlin eine Signalwirkung für die 200.000 angestellten Lehrkräfte. Deshalb blockiert der Arbeitgeberverband TdL. Es darf – in seiner Logik – kein Präzedenzfall geschaffen werden. Angestellte Lehrkräfte sollen weiterhin nicht über Entgelt und Arbeitsbedingungen mitbestimmen dürfen. Diese harte Haltung wird auch deshalb vertreten, weil der Öffentliche Dienst beim Drücken der Löhne als Vorreiter für die Privatwirtschaft dient. Mit der Abschaffung des alten Flächentarifvertrags BAT und der Einführung der neuen Tarifverträge TVöD und TV-L im Jahr 2006 haben die öffentlichen Arbeitgeber massive Verluste beim Entgelt durchgesetzt. Seitdem erleben wir bundesweit (in Berlin über das PKB-System) eine Prekarisierung des Lehrerberufs. Diese Möglichkeiten zur Absenkung wollen die Landesregierungen nicht aus der Hand geben. Dabei spekulieren sie darauf, dass die Streikbewegungen isoliert voneinander und überschaubar bleiben. Sie befürchten derzeit keine Eskalation hin zu einem größeren gesellschaftlichen Konflikt, der ihnen auch politisch gefährlich werden könnte.

Wir meinen, dass diese Haltung eine Ausweitung der Streikbewegung erforderlich macht. Mit den bisherigen Streiks wurde viel erreicht. Eine Bewegung ist entstanden, die von aktiven Basisgruppen an den Schulen getragen wird. An vielen Schulen gibt es eine große Unterstützung durch Eltern, SchülerInnen und verbeamtete KollegInnen. Es wäre jedoch ein Fehler zu glauben, die derzeitige Taktik von einem Warnstreiktag pro Monat könnte lange auf diesem Niveau fortgesetzt werden. Wenn für KollegInnen nicht erkennbar ist, dass es eine Perspektive gibt, diesen Kampf zu gewinnen, dann besteht die Gefahr eines Rückgangs der Streikbeteiligung.

Besonders für KollegInnen an Grundschulen ist jeder einzelne Streik ein Kraftakt. Jedes Mal stellt sich die Frage der Betreuung der SchülerInnen, zum Teil kommt es deshalb zu Konflikten mit den ErzieherInnen. Diesen KollegInnen ist nicht geholfen, wenn der „lange Atem“ als einzige Perspektive erscheint, den Kampf zu gewinnen. Es wäre auch ein Fehler zu glauben, diejenigen KollegInnen, die „noch nicht einmal jetzt“ mitstreiken, könnten „erst recht nicht“ für weitergehende Aktionen gewonnen werden. Gerade bei einer erkennbaren Perspektive sich durchzusetzen könnten weitere KollegInnen einbezogen werden.

Den Arbeitskampf ausweiten

In den letzten Monaten wurde in der GEW viel über unbefristete Streiks diskutiert. Das Wort des „Erzwingungsstreiks“ macht die Runde. Eine Ausweitung der Streik-bewegung könnte in diese Richtung gehen. Die Verhandlungsposition der GEW wäre weitaus günstiger, wenn sie in die Lage käme, den Schulbetrieb mit mindestens 4000 Lehrkräften, notfalls über Wochen hinweg, deutlich zu beeinträchtigen. So könnten – zusammen mit Eltern und SchülerInnen – noch viel weitgehender Diskussionen über Bildung, deren Finanzierung und die Arbeits- und Lernbedingungen im Bildungswesen angestoßen werden.

Wir meinen, dass die Berliner GEW sich eine gute Position erkämpft hat, um auch in diesem Sinne streikfähig zu werden. In den Kollegien und auf der Tarifpolitischen Konferenz der GEW am 29.10. sollte diskutiert werden, wie eine Entwicklung der Streiks über einzelne Tage hinaus aussehen kann.

Die Situation ist an den Schulen sehr unterschiedlich. Manche Gruppen drängen in Richtung eines unbefristeten Streiks. Andere können sich dies mit Blick auf ihre SchülerInnen nicht vorstellen. Ein unbefristeter Streik müsste jedoch nicht der erste Schritt bei einer Ausweitung des Arbeitskampfes sein. Mehr Druck kann auch erzeugt werden, wenn z.B. Schwerpunktschulen in den Bezirken den Streik über einzelne Tage hinaus ausweiten und dabei umliegende Schulen in den Protest innerhalb und außerhalb der Arbeitszeit einbeziehen.

Wirkungsvolle Protestformen wären z.B.:

  • eine Kampagne gegen den Doppelhaushalt und die Politik der „Schuldenbremse“
  • gemeinsame Proteste mit den Tarifbewegungen im Einzelhandel und an der Charité
  • das Einbeziehen der BeamtInnen in Proteste, auch während der Arbeitszeit
  • ein Bündnis mit Eltern und SchülerInnen für eine Bildungspolitik, die sich an den Bedürfnissen der Lehrenden und Lernenden orientiert.

Alle gemeinsam gegen Schuldenbremse und Kürzungshaushalt

Die Haushalte auf Landes- und Bundesebene wurden für eine Umverteilung des Reichtums zugunsten einer kleinen reichen Minderheit geleert. Zuletzt wurden in der kapitalistischen Krise gigantische Summen in die Hand genommen, um private Profite zu sichern. „Wenn Schulen Banken wären…“ war auf Protestschildern so mancher Bildungsdemo zu lesen. Aufkommen für diese Gelder muss die Masse der Bevölkerung. Mit dem „Fiskalpakt“ und der „Schuldenbremse“ hat die große schwarz-gelb-„rot“-grüne Koalition die Instrumente dafür schon parat.

Seit 2001 wurden die Ausgaben des Landeshaushalts um ein Viertel gesenkt. Und weiterhin sieht Nußbaum „keine Alternative zum Konsolidierungspfad“.

Mit dem Doppelhaushalt 2014/15 will er weitere Kürzungen durchsetzen. Betroffen von dieser Kürzungspolitik ist die große Mehrheit der Bevölkerung. Der verdi-Bezirk Berlin hat eine Initiative gestartet (http://berlin.verdi.de/positionen/offener-brief-kuerzungspolitikan-die-mda), um gegen das Kaputtsparen der öffentlichen Daseinsvorsorge zu protestieren. Auch tarifliche Verbesserungen können nur dauerhaft durchgesetzt werden, wenn die Schuldenbremse fällt.

Kundgebung gegen den Kürzungshaushalt:

20.11.2013, 15 Uhr, Potsdamer Platz

 

Für eine Bildungspolitik im Interesse von Lernenden und Lehrenden

Die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte sind die Lernbedingungen der SchülerInnen. Für beide Seiten hat z.B. die Arbeitszeiterhöhung von 2003 massive Verschlechterungen bedeutet. Zehn Jahre später sollen diese miesen Bedingungen mit dem „Maßnahmen“-Paket des Senats festgeschrieben werden. Die Prioritäten dieser Politik sind nicht an unseren Bedürfnissen ausgerichtet. Mit weniger Zeit und Personal sollen SchülerInnen durch die Bildungsmaschine gehetzt werden, um möglichst schnell als billige Arbeitskräfte auf den Markt zu gehen.

Vor zwei Jahren gab es bereits einen Ansatz für ein stadtweites Bündnis von LehrerInnen, SchülerInnen und Eltern, mit dem u.a. eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen gefordert wurde. Das sollten wir wieder aufgreifen. Der Druck auf den Senat kann erhöht werden, wenn die Tarifforderungen noch mehr als Teil eines breiteren gesellschaftlichen Anliegens gesehen werden. Statt weiterer Kürzungen mit der „Schuldenbremse“ sind massive Investitionen in Bildung und alle Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge nötig.

BeamtInnen einbeziehen – Arbeitszeiterhöhung stoppen

Noch kann sich der Senat darauf verlassen, dass die Mehrheit der Lehrkräfte aufgrund ihres Beamtenstatus die Schulen am Laufen hält. Doch auch BeamtInnen sind von der Sparpolitik des Senats betroffen. Die Verärgerung über die Arbeitszeiterhöhung ist riesig. Dennoch sind die meisten so belastet, dass sie nicht zu Protesten in ihrer Freizeit kommen. Viele sind auch desillusioniert nach 20 Jahren, in denen die Arbeitsbedingungen sich immer weiter verschlechtert haben. Es ist Zeit für einen Bruch mit dieser negativen Erfahrung und für Proteste der BeamtInnen auch während der Arbeitszeit. Sie könnten die Wirkung der Streikbewegung deutlich erhöhen.

Das angebliche Streikverbot für BeamtInnen wurde rechtlich vielfach in Frage gestellt. So heißt es in einem Infoblatt der GEW (Ilse Schaad, 2009): „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat zwei bedeutende Entscheidungen gefällt, die das Koalitionsrecht (…) betreffen. In ihnen werden Kollektivverhandlungen und Streik als durch Art. 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützt angesehen. (…) Im Ergebnis stellt der EGMR fest, dass ein generelles Verbot des Beamtenstreiks im Widerspruch zum Menschenrecht der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 11 EMRK steht.“

2011 hat das Verwaltungsgericht Kassel dieses Urteil bestätigt. Es gab bereits einige Versuche, dieses Recht auch in der Praxis durchzusetzen. 2003 haben in Hessen 65.000 Beschäftigte, zum großen Teil BeamtInnen, die Arbeit niedergelegt. Zuletzt streikten am 4. März in Rheinland-Pfalz 800 BeamtInnen und am 16. Mai in Bremen 600 BeamtInnen. Eine große Beteiligung und eine konsequente Kampagne der Gewerkschaft kann verhindern, dass anschließend einzelne abgestraft werden.

Solidarität macht stark – gemeinsam kämpfen

H&M grüßt LehrerInnenZur Zeit finden in Berlin weitere wichtige Tarifauseinandersetzungen statt: An der Charité fordern die KollegInnen vom Arbeitgeber einen Tarifvertrag, der eine Mindestbesetzung z.B. von 1:5 auf Normalstationen festschreibt. Diese Tarifbewegung ist ein Novum und beispielhaft für andere Bereiche. So erhebt die GEW Berlin seit Jahren die Forderung nach einer Personalausstattung der Schulen von 110%. Für eine aktive Unterstützung der Bewegung an der Charité hat sich ein Solidaritätsbündnis gegründet (www.mehr-krankenhauspersonal.de).

Im Einzelhandel streiken die Beschäftigten gegen einen Generalangriff der Arbeitgeber. Alle Regelungen zu Arbeitszeit, Pausen, Urlaub usw. stehen auf dem Spiel. Ziel der Arbeitgeber sind neue Niedriglohngruppen und weitere Flexibilisierung. Da der Bereich von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt ist, können die Arbeitgeber meistens trotz Streik den Betrieb aufrechterhalten. Die KollegInnen brauchen ebenfalls Unterstützung.

Durch Solidarität der Beschäftigten untereinander und eine Vernetzung der Kämpfe kann eine breite gesellschaftliche Gegenwehr entstehen, deren Durchsetzungskraft das Niveau einzelner Kämpfe bei Weitem übersteigt. So haben AktivistInnen der Charité und des Einzelhandels damit begonnen, sich gegenseitig bei Aktionen zu besuchen. Die Streikleitungen aller KollegInnen in Auseinandersetzungen sollten gemeinsame Aktionen und Streiktage planen. Gemeinsam kann man mehr KollegInnen auf die Straße bringen, sich gegenseitig ermutigen und mehr öffentliche Aufmerksamkeit erzielen.