Ungeachtet dessen müssen die Antikriegskampagnen weitergehen – Nein zur imperialistischen Intervention!
von Judy Beishon, aus: „The Socialist“, der Wochenzeitung der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)
Als der G20-Gipfel in Russland zu Ende ging, waren die kapitalistischen Mächte international in zwei sich gegenüberstehende Lager gespalten. Zur Frage, ob man einen Militärschlag gegen Syrien durchführen solle, blieb man uneins. Unterdessen stieß Obama Streben nach einem Angriff auch auf bedeutenden Widerstand innerhalb der beiden großen politischen Parteien in den USA.
Unter dem großen Druck der Öffentlichkeit positionierten sich Abgeordnete des US-amerikanischen Repräsentantenhauses wie auch im Senat gegen einen Angriff. Das ließ es unwahrscheinlich erscheinen, dass Obama die Unterstützung bekommen würde, die er eigentlich anzustreben versuchte.
Führende PolitikerInnen der „Republikaner“ sind gespalten in einen Flügel, der – wie etwa der Senator Rand Paul – abwarten will und einen „zurückhaltenden Realismus“ vertritt, und einen Flügel, der für einen aggressiven Interventionismus steht, wie John McCain ihn repräsentiert.
Die „Demokraten“ wollen verhindern, dass Obamas Ansehen beschädigt wird, wenn sie gegen eine militärische Intervention stimmen würden. Viele von ihnen fürchten aber auch die möglichen Folgen, wenn sie mit „ja“ votieren würden. Wenn die entsprechenden Abstimmungen in den beiden Kammern verloren würden, dann wäre das Prestige von Obama schwer beschädigt – ganz wie im Falle Camerons, als dieser im britischen Parlament seine Niederlage erlitt. Dies erklärt die Manöver der US-Regierung, die die Entscheidung auf die lange Bank schiebt und dabei mögliche Verhandlungen über die Kontrolle der syrischen Depots an Chemiewaffen ins Feld führt.
Angesichts einer etwaigen Niederlage im Kongress scheint es, als ob Obama unerwartet eine politische Rettungsleine von seinem russischen Kollegen, Wladimir Putin, zugeworfen bekommen hat. Putin hat den Vorschlag gemacht, dass das syrische Regime unter Assad der UNO zugesteht, seine chemischen Waffen zu inspizieren, um einen von den USA geführten Luftschlag gegen syrische Militärbasen abzuwenden.
Doch damit ist ein möglicher Angriff noch nicht vom Tisch – egal ob kurz- oder mittelfristig. Je nach dem, wie sich die Lage weiter entwickelt, ist auch nicht ausgeschlossen, dass Cameron erneut versuchen könnte, die Unterstützung Großbritanniens durchzusetzen. Das könnte er schaffen, wenn er den ohnehin schon lavierenden Oppositionsführer der sozialdemokratischen „Labour“-Partei, Ed Miliband, dafür gewinnt, ebenfalls Unterstützung zu leisten. Deshalb müssen die Antikriegskampagnen von GewerkschafterInnen, SozialistInnen und anderen AktivistInnen fortgesetzt werden. Wir müssen weiterhin „nein“ sagen zu jedweder imperialistischer Intervention in Syrien.
Die Propaganda-Maschinerie
Im Bemühen, in den USA für einen Angriff zu werben, wurde die Propaganda-Maschinerie Obamas angeworfen. Dabei wurden auch Videos von Giftgas-Opfern ausgestrahlt, die von der syrischen Opposition und dem CIA zusammengestellt wurden. Das Filmmaterial ist abscheulich, aber wer für die Gräuel verantwortlich ist, ist immer noch nicht geklärt. Es wurde immer noch nicht bewiesen, ob Assad, Militärs, die ohne seine Order gehandelt haben (wie in einer deutschen Zeitung berichtet), oder oppositionelle Kräfte dafür verantwortlich sind.
Doch abgesehen davon droht der Westen nicht mit Raketenbeschuss, weil es ihm „nur“ um den Einsatz von Chemiewaffen geht. Lord Lamont von den britischen konservativen „Tories“ platzte dies heraus, als er der britischen Tageszeitung „The Times“ am 5. September einen Brief schrieb, in dem der daran erinnerte, dass der Westen 1988 angesichts des Einsatzes von Senfgas und Sarin durch Saddam Hussein gegen iranische Truppen „ein Auge zudrückte“. Dabei wurden 20.000 Menschen getötet. Lamont fügte hinzu: „In einem vor kurzem erschienenen Artikel im US-Magazin >Foreign Policy< wird behauptet, dass US-Offizielle, die dem Irak Geheimdienstinformationen über iranische Truppenbewegungen zukommen ließen, wussten, dass gegen diese Chemiewaffen zum Einsatz kommen würden“.
US-Raketen werden nicht dafür sorgen, dass der Einsatz chemischer Waffen eingestellt wird. Auch, dass diese möglicher Weise in die Hände von Terroristen fallen oder in geheime Depots verbracht werden, ist dadurch definitiv nicht ausgeschlossen. Nachdem Obama vorschnell versichert hat, dass der Einsatz von Chemiewaffen eine „rote Linie“ darstellen würde, wäre ein US-geführter Militärschlag nichts anderes als eine blutgetränkte „Gebärde“, mit der das Ansehen der herrschenden Klasse in den USA und vor der Weltöffentlichkeit aufrechterhalten würde und ihre Interessen im Nahen Osten gewahrt blieben.
Andere Nachwirkungen wären unausweichlich: US-Militärbasen in der Region könnten beschossen werden, Israel könnte zum Ziel von Raketenangriffen werden, Terroranschläge in den USA und verbündeten Staaten wären wahrscheinlicher und Ölpipelines könnten unterbrochen werden.
US-Raketen würden eine Eskalation des syrischen Bürgerkriegs und die weitere Ausweitung auf benachbarte Staaten wahrscheinlicher machen. Es würde noch mehr Flüchtlinge geben, deren Zahl sich schon jetzt auf unglaubliche sechs Millionen beläuft, die innerhalb und außerhalb Syriens nach Asyl suchen.
Das Dilemma besteht darin, dass die syrische Bevölkerung größere Gefahr läuft, mit Chemiewaffen attackiert zu werden, wenn es zum einem Militärschlag durch die USA kommen sollte. Die US-Luftschläge gegen die Chemiewaffen-Depots eines Saddam Hussein im Golfkrieg von 1991 haben bewiesen, dass diese nicht zur Verdampfung des todbringenden Saringases geführt haben sondern dazu, dass die Kampfmittel einfach in 600 Kilometer entfernt liegende Militärbasen transferiert wurden.
Die Massen durchschauen die Pläne der Regierung
Die Mehrheit der Bevölkerung sowohl in den USA als auch in Großbritannien hat durchschaut, dass die dortigen Regierungen nur aus taktischen Gründen das Argument des „Humanitären“ anbringen, um die Unterstützung der Öffentlichkeit für eine militärische Intervention zu bekommen. Auch dass der Imperialismus des Westens treu und fest zu den repressiven und diktatorischen arabischen Eliten gestanden hat und steht, ist ebenfalls nicht vergessen; auch nicht die Massentötungen irakischer ZivilistInnen, die Unterstützung für Angriffe durch das israelische Regime auf den Gazastreifen, der Mord an ZivilistInnen in Pakistan, Afghanistan und dem Jemen durch US-Drohnen, die Gleichgültigkeit angesichts der erneuten Militär-Repression in Ägypten und manch andere Unterstützung brutalen Vorgehens, wenn es den eigenen Interessen dient.
Um Verluste auf US-amerikanischer Seite zu vermeiden und ein Versinken in eine langgezogene Intervention zu verhindern, wären US-Schläge in Form von Raketenangriffen am wahrscheinlichsten. Diese würden dann eher aus der Distanz abgefeuert, und es käme wohl kaum zu Bombardierungen aus der Luft. Die bewaffneten Einheiten von Assad würden damit zweifellos getroffen, aber auch Russland könnte seine Waffenlieferungen an das syrische Regime wieder aufnehmen. Von daher ist es nicht ausgeschlossen, dass Assad seine militärische Überlegenheit über die syrische Opposition wiedererlangt. Zudem würde Assad den „Opfer-Status“ bekommen – vor allem unter den SyrerInnen, die ihm immer noch nahe stehen, und von Seiten Russlands, des Iran und Chinas.
Der Krieg in Syrien hat eine grauenhafte Eigendynamik entwickelt. Regelmäßig kommt es zu Gräueltaten von beiden Seiten. Wird die Situation den Resten des bösartigen Regimes von Assad und den aufstrebenden Kapitalisten der Opposition überlassen, die unzählige Formen von Spaltung und Sektierertum befeuern, dann wird der Krieg voraussichtlich so lange anhalten, bis beide Seiten so viel durchgesetzt bekommen, wie es ihre militärischen Mittel erlauben.
Viele kapitalistische Mächte mischen sich im Land ein. Dabei zeigen all ihre „Lösungsvorschläge“, wie wenig sie in der Lage sind, dem Albtraum, dem die „einfachen“ Menschen in Syrien ausgesetzt sind, ein Ende zu setzen.
Nur der Aufbau von Strukturen und Organisationen, die nicht sektiererisch sind und von den Lohnabhängigen an der Basis auf demokratische Weise geführt werden und zwischen denen Verbindungen geknüpft werden, kann einen Ausweg und eine umfassende Alternative zum jetzigen Szenario bieten. Diese Organisationen müssten massenhaften und bewaffneten Widerstand gegen die Einheiten von Assad und all die von rechtsgerichteten Kräften geführten Milizen leisten, die nur von persönlichen Interessen, religiösen oder ethnischen Motiven oder Rachegelüsten geleitet sind.
Einheit unter den ArbeiterInnen kann sich entwickeln, wenn mit einem sozialistischen Programm Aufmerksamkeit erregt wird, weil darin das Ziel formuliert wird, die Schlüsselindustrien und die Ressourcen des Landes in öffentliches Eigentum zu überführen. Einhergehen muss dies mit einem Wirtschaftsplan, um Schluss zu machen mit Ausbeutung und Armut.