Bericht von der Anwohnerversammlung in der Hufeisensiedlung
In den nächsten Tagen wird in Berlin-Neukölln ein neues Heim für 400 Flüchtlinge eröffnet. Um ein „zweites Hellersdorf“ zu vermeiden hatte die örtliche Bürgerinitiative „HufEISERN gegen Nazis“ zu einer Einwohnerinformationsversammlung eingeladen, der mehr als 500 Interessierte folgten.
von Ronald Luther, Berlin-Neukölln
Mulmig war einem auf dem Hinweg schon gewesen. Wie wird der Abend verlaufen? Wird die Versammlung wieder eskalieren so wie vor einigen Tagen in Berlin-Hellersdorf? Dort hatten es Neonazis von NPD bis hin zu braunen Schlägerbanden geschafft gehabt, bei einer Informationsveranstaltung über ein neues Flüchtlingsheim die Stimmung der Anwohner massiv gegen die Schutz suchenden Flüchtlinge zu wenden. Augenzeugen berichteten von einer pogromartigen Stimmung. Und auch heute hatten Nazis wieder ihr Kommen angekündigt. Um Ereignisse wie in Hellersdorf zu vermeiden war von der Bürgerinitiative von vorne herein klargemacht worden, dass bei der Anwohnerversammlung rassistische, nationalistische, antisemitische, antiziganistische oder sonstige menschenverachtende Äußerungen nicht geduldet werden und Neonazis gleich zu Hause bleiben sollen. Im Umfeld der Veranstaltung war viel Polizei zu sehen und auch im Veranstaltungsraum vertreten, obwohl die Bürgerinitiative selber viele OrdnerInnen im Einsatz hatte, die weiträumig die Zugangswege und Eingänge kontrollierten. Weiterhin waren im Umkreis des Veranstaltungsraumes antifaschistische Kundgebungen angemeldet worden, darunter auch eine von DIE LINKE Neukölln, um den Neonazis den Zugang zu erschweren. Letztlich wurden „nur“ sieben Nazis gesichtet, die unter Protesten an der U-Bahn-Haltestelle Parchimer Straße eine Kundgebung abhielten.
Glücklich konnte sein, wer rechtzeitig den Veranstaltungssaal aufgesucht hatte, denn der Raum mit mehr als 500 Stühlen war schnell gefüllt und nachdem der letzte Stuhl besetzt worden war, wurde niemand mehr herein gelassen. Auf dem Podium vertreten waren der Neuköllner Stadtrat für Gesundheit und Soziales, der Chef des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo), Leute von der Bürgerinitiaitive „HufEISERN gegen Nazis“, von Reach Out Berlin, dem Diakoniewerk Simeon und vom Flüchtlingsrat Berlin. Explizit nicht eingeladen worden waren PolitikerInnen und insbesondere nicht der Bezirksbürgermeister Buschkowski, der es sich aber nicht nehmen ließ, hinten im Publikum als „normaler“ Zuschauer zuzuhören.
Um von vorne herein klar zu machen, welchen Charakter diese Veranstaltung haben soll, wies der Vertreter der einladenden Bürgerinitiative am Anfang noch mal darauf hin: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hassparolen werde man nicht dulden.“ Auf dem Podium-Tischtuch stand unmissverständlich für jeden lesbar „Nicht Flüchtlinge, sondern Fluchtursachen bekämpfen“. Es sollte also nicht nur um die Fragen der AnwohnerInnen, sondern auch um Fluchthintergründe und Fluchtursachen gehen. In ihren Beiträgen erklärten die Podiumsgäste, dass die neuen Heime in Berlin wegen den steigenden Flüchtlingszahlen notwendig sind. 2013 werden bis zu 100.000 Menschen neue Flüchtlinge in Deutschland erwartet und dem Schlüssel nach wird Berlin davon 5000 aufnehmen müssen. Da es nicht genügende Heimplätze und wegen der allgemein angespannten Wohnsituation auch keine Wohnungen gäbe, müssten viele Flüchtlinge erst mal in Notaufnahmeeinrichtungen einziehen. Neukölln hat bisher nur 13 Flüchtlinge aufgenommen und sich daher bereit erklärt, für 400 weitere Flüchtlinge Heimplätze zu schaffen. Darum soll in Neukölln-Britz das Flüchtlingsheim eröffnet werden. Etwa 60 bis 100 von den Flüchtlingen werden Kinder sein und diese sollen nicht nur in Neuköllner, sondern auch in Treptower Schulen untergebracht werden. Denn derzeit gibt es zu wenig freie Plätze an Neuköllner Schulen. Auch KITA-Plätze werden gebraucht, wobei es hier ebenfalls mehr Bedarf als Plätze gibt. Den Befürchtungen, dass mit dem Flüchtlingsheim die Kriminalität und die Vermüllung steige, wurde entgegnet: Die einzige Kriminalitätssteigerung in Britz würde aktuell von den Neonazis ausgehen. Diese Aussage stieß auf großen Beifall.
Erklärt wurde auch, dass viele Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Afghanistan und dem Irak kämen. Sie hätten viel Schlimmes durchgemacht, Angehörige und Freunde verloren, Traumata erlebt und meist eine schreckliche Flucht hinter sich. Daher bräuchten sie Ruhe und Unterstützung. Ereignisse wie in Hellersdorf würden bei den Flüchtlingen neue Traumata entstehen lassen. Interessant waren auch die Angaben zu den Wohn- und Lebensverhältnissen der Flüchtlinge in den Heimen gewesen. So werden die Flüchtlinge im neuen Neuköllner Heim eventuell für viele Jahre in einer Sammelunterkunft leben, wo sie sich Kochstellen, Spültisch, Essensraum und Sanitäranlagen mit anderen Flüchtlingen teilen müssen. Auch ihre Wohn- und Schlafräume werden sie mit Flüchtlingen teilen müssen, mit denen sie nicht verwandt oder befreundet sind. Die Erfahrung zeige, dass das für die Flüchtlinge nicht ganz einfach ist. Jedem Flüchtling in Berlin steht maximal 6 m² Platz zu. Obwohl klar ist, dass Ruhe für die Flüchtlinge am Wichtigsten ist, ist bereits jetzt klar, dass sie in dem Heim diese Ruhe nicht finden werden. Für die Flüchtlinge, von denen die Meisten traumatisiert sind, werden die psychische Belastungen also weiter steigen. Allerdings gibt es bereits jetzt zu wenig SozialarbeiterInnen und PsychotherapeutInnen, da in dem Bereich in den letzten Jahren massiv gekürzt worden war. Das Publikum reagierte darauf verständlicherweise mit großen Unmut und es gab große Zweifel daran, dass das Bezirksamt genügend Sozialarbeiterstellen schaffen wird. Aufgeräumt wurde auch mit dem Märchen, dass Flüchtlinge in Deutschland finanziell besser da stehen als zum Beispiel Hartz-IV-EmpfängerInnen. AsylbewerberInnen in Berlin erhalten derzeit weniger Geld zum Leben als ALG-II-EmpfängerInnen. In den ersten 9 Monaten dürfen AsylbewerberInneb in Deutschland außerdem nicht arbeiten und danach nur Arbeitsstellen annehmen, für die es keine deutschen BewerberInnen gibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen solchen Arbeitsplatz finden werden, tendiert in Berlin wohl eher bei Null.
Anders als in Hellersdorf gab es in der Neuköllner Diskussion seitens des Publikums keine fremdenfeindlichen und rassistischen Äußerungen, wobei die Diskussion auch seitens des Podiums reglementiert wurde. Nichtsdestotrotz wurde die Situation in den Flüchtlingsheimen bemängelt und viele kritische Nachfragen gestellt. Warum wird bei den Sozialarbeitsstellen an den Schulen gekürzt, obwohl durch mehr Flüchtlingskinder mehr Sozialarbeiterstellen nötig werden? Wird es für Frauen, die vielfach Vergewaltigungen erleiden mussten, Frauenunterbringungen und Schutzräume im Heim geben? Werden Kinder über 18 Jahre wieder von ihrer Familie getrennt werden können? Warum wurde mit der PeWoBe ein privater profitorientierter Heimbetreiber mit der Betreuung des Heims beauftragt und kein öffentliches Unternehmen, obwohl laut dem Vertreter des Flüchtlingsrates dieser Betreiber einen schlechten Ruf hat? Wer wird diesen kontrollieren? Wie sollen Flüchtlinge und AnwohnerInnen zusammen kommen, wenn dafür keine öffentlichen Räume zur Verfügung gestellt werden? Wie soll für die Sicherheit von Flüchtlingen und AnwohnerInnen vor Naziübergriffen gesorgt werden, wenn das Flüchtlingsheim nicht am Rande des Wohnviertels sondern so weit wie möglich weg am Kanal gebaut wird? Diese skandalöse Entscheidung hatte die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mit den Stimmen der Zählgemeinschaft von CDU/SPD mehrheitlich so gefällt, was großen Unmut im Publikum hervorrief. Die Vertreter des Bezirkes wiesen darauf hin, dass sie die Flüchtlinge entsprechend dem Asylrecht behandeln werden. Für die Entscheidungen der BVV können sie nichts, müssen sie aber umsetzen. Und für die Residenzpflicht und das Asylrecht sind das Land und der Bund zuständig.
Gefragt wurde auch, wie man konkrete Unterstützung für die Flüchtlinge leisten kann. Ein Vertreter vom Deutsch-Arabischen-Zentrum ging mit gutem Beispiel voran und bot ÜbersetzerInnen sowie Räume für einen Runden Tisch von AnwohnerInnen und Flüchtlingen an. „Wir wollen mit anpacken, im Namen der Menschlichkeit.“, so seine abschließenden Worte. Abschließend bedankte sich der LAGeSo-Chef bei der Bürgerinitiative und dem Publikum: Seit Monaten müsse er sich rechtfertigen, dass er in Berlin Flüchtlinge unterbringen wolle. „Heute ist das erste Mal, dass so viel Verständnis da ist.“