Ein Kommentar zum Jahresbericht der irischen Frauenrechtsorganisation „Women´s Aid“ von Joe Higgins, irischer Parlamentsabgeordneter der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Irland)
„Bei häuslicher Gewalt handelt es sich um ein schweres Verbrechen gegen Frauen und Kinder in der Gesellschaft, aber auch um eines, das im Verborgenen stattfindet und kleingeredet wird“, so die Worte von Margaret Martin, der Vorsitzenden von „Women’s Aid“, bei der Vorstellung des Jahresberichts ihrer Organisation für das Jahr 2012.
In ihrer Einleitungsrede anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichts ergänzte sie: „Die Leute fragen oft, warum die Frauen nicht einfach fliehen. Wenn es doch nur so einfach wäre! Die Rezession hat die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten für Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, stark eingeschränkt. Viele Opfer berichten, dass sie noch tiefer in der Falle einer Beziehung stecken, in der Missbrauch stattfindet. Es zerbricht einem das Herz, Frauen zuzuhören, die keinen Ort haben, an den sie mit ihren Kindern flüchten könnten, und die in Angst leben, in die Armut abzurutschen, oder Gefahr laufen, obdachlos zu werden“.
Das ist eine wahrhaft beschämende Situation. Beschämend zuallererst deshalb, weil die gegen Frauen und Kinder gerichtete Gewalt dem Bericht zufolge in Irland zunimmt. Laut „Women’s Aid“ wird eine von fünf Frauen irgendwann in ihrem Leben Gewalt und Missbrauch durch einen Beziehungspartner erleben. Für 2012 listet der Jahresbericht durchschnittlich 32 Anrufe am Tag von Frauen auf, die Angst vor Gewalt haben. Die Rede ist von schockierenden 16.200 anzeigepflichtigen Fällen emotionalen, physischen, sexuellen und finanziellen Missbrauchs.
Die Auflistung der einzelnen Arten des erlittenen Missbrauchs zu lesen, ist ein schmerzliches Unterfangen. Sie deutet aber auf eine Situation hin, der man sich nicht verschließen darf. Es werden hunderte Fälle von physischer Gewaltanwendung und Vergewaltigungen erfasst. Zu den Fällen physischer Gewaltanwendung zählen Beispiele, in denen Frauen zu Hause eingesperrt, geschlagen, gestoßen oder getreten werden – bisweilen sogar in Situationen, in denen sie ihr Kind stillen. Zum Tatbestand des finanziellen Missbrauchs zählen Fälle, in denen der Zugang zum Haushaltsgeld verweigert oder kein Geld für die Heizung, Lebensmittel oder Kleidung für die Kinder zur Verfügung gestellt wird.
Genauso erschreckend ist, was der Bericht von „Women´s Aid“ über die gestiegene Anzahl aufgedeckter Fälle aussagt, in denen direkter Missbrauch an Kindern stattgefunden hat, und auch sie Opfer häuslicher Gewalt wurden: „2012 hatten wir 3.230 Fälle, in denen Frauen uns berichteten, dass ihre Kinder geschlagen worden sind, auch mit Haushaltsgeräten. Sie wurden verprügelt, permanent angeschrien und in einigen Fällen auch sexuell missbraucht. Kinder mussten mit ansehen, wie ihre Haustiere missbraucht, wie sie getreten und gegen Wände geklatscht wurden“.
Das sind schreckliche Zeugnisse, die Bände sprechen über ein beunruhigendes Ausmaß an zunehmender Brutalität in einer signifikanten Minderheit der irischen Gesellschaft. Es wäre falsch, das Ganze auf nicht funktionierende individuelle Partnerschaften zurückführen zu wollen oder die Ausübung von Gewalt gegen Frauen einfach nur mit der brutalen und menschenverachtenden Logik zu erklären, die die kapitalistische Gesellschaft ausmacht. Natürlich spielt auch das eine Rolle. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen, die auf Kosten der einzelnen Menschen im Kern auf Ausbeutung und Profitstreben basieren, befördern die Tendenz, dass das menschliche Empfindungsvermögen deformiert und insbesondere männliches Gehabe in den Vordergrund gerückt wird. Radikale Sozialwissenschaftler*Innen haben den Grund für die männliche Dominanz schon lange auf die gesellschaftlichen Strukturen und die in der Gesellschaft herrschende Ungleichheit zurückgeführt. Diese hängt zudem von Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen ab, die die gesellschaftlichen Klassen determinieren.
Demzufolge sollte auf der Hand liegen, dass eine Gesellschaft, die auf der Kooperation der Menschen untereinander und auf wirklicher sozialer Gleichheit hinsichtlich der Reichtumsverteilung und des gesellschaftlichen Ansehens basiert, wesentlich weniger von Gewalt gegen Frauen gekennzeichnet wäre. Zum Kampf für eine solche Gesellschaft muss daher auch gehören, dass jede gesellschaftliche Tendenz, die in Richtung frauenfeindlichen Verhaltens geht, energisch zurückgewiesen und den Opfern alle nötige Unterstützung zuteil wird. Wie wenig der irische Staat in dieser Hinsicht tut, ist einfach nur beschämend.
„Women’s Aid“ weist auch auf die Wirtschaftskrise hin, die dafür verantwortlich ist, dass die Opfer häuslicher Gewalt besondere Härte erfahren. Es steht fest, dass im Falle beschränkter finanzieller Spielräume oder gar einer vorliegenden Armutssituation die individuellen Problemlagen von Einzelpersonen und ihren Familien noch weiter verschärft werden. Noch besorgniserregender ist, dass Frauen, die unter Gewalt leiden, in einer solchen Situation gefangen sind. Ihre Wohnungen werden dann zu Folterkammern, aus denen sie nicht entkommen können, weil sie nicht auf die nötigen finanziellen Mittel zurückgreifen können, um eine andere Unterkunft zu finden und sich das Nötigste zu leisten. Die verheerende Kürzungspolitik, die seit nunmehr fünf Jahren umgesetzt wird, hat die Situation zweifellos noch weiter zugespitzt. Sie hat zu Massenarbeitslosigkeit und Armut geführt und die individuellen Wahlmöglichkeiten der Menschen in Folge dessen dramatisch eingeschränkt.
Die Sozialkürzungen schränken zudem auch die staatlichen Finanzmittel ein, mit deren Hilfe dieses Krebsgeschwür der Gesellschaft umfassend angegangen werden könnte. Es ist geradezu unverschämt, dass Organisationen, die mit Opfern von häuslicher Gewalt arbeiten, auch noch unter Personalmangel und knappen Finanzmitteln leiden müssen. Es gibt nicht genügend Notunterkünfte, in denen Opfer in Sicherheit wären und dort, wo die nötigen Hilfen zur Verfügung gestellt werden, leiden die Einrichtungen oft unter finanziellem Druck. Das ist eine Anklage gegen die einzelnen, aufeinander folgenden Regierungen. Würden Rechtsanwält*Innen und Frauenrechtsorganisationen nicht eine so heldenhafte Arbeit leisten, dann würden sich weiterhin noch mehr Frauen und Kinder, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, in den Händen ihrer Peiniger befinden. Aber auch die andere Perspektive stimmt: Wenn genügend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt würden, um den Opfern eine Alternative zu bieten, dann wären zahlreiche andere Gewaltopfer in der Lage, aus der Hölle zu entkommen und ihr Leben neu zu beginnen.
Der Bericht von „Women’s Aid“ zwingt der Gesellschaft unangenehme Wahrheiten auf. Das ist nötig, um sowohl die allgemein vorherrschenden Einstellungen infrage zu stellen als auch mit Nachdruck auf die Verantwortung des Staates hinzuweisen. Das alles soll nicht die Tatsache verdecken, dass es auch erwachsene männliche Opfer von häuslicher Gewalt – wenn auch in weit geringerer Zahl – gibt. Auch deren Leid muss anerkannt und in gleicher Weise gelindert werden.