Was dringend nötig ist, sind unabhängige sozialistische Organisationen der Arbeiterklasse
Von Peter Taaffe, Generalsekretär der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)
Die Einnahme der strategisch bedeutenden Stadt al-Qusair durch regierungsfreundliche Kräfte (darunter die Hisbollah und irakische Schiiten) markiert eine neue Etappe im blutigen Morast Syriens, und es ist wahrscheinlich, dass dies zu weit reichenden Konsequenzen sowohl für das Land selbst als auch die ganze Region führen wird.
Dieser Krieg, der schon 80.000 SyrerInnen das Leben gekostet hat, dauert nun schon zwei Jahre an, ohne dass ein Ende abzusehen wäre. Mindestens eine halbe Million Menschen sind in den benachbarten Libanon geflohen, wo zuvor schon vier Millionen Flüchtlinge lebten. Eine unbekannte Zahl an Flüchtlingen aus Syrien strebt in die Türkei und andere Nachbarstaaten. Es gibt Berichte, dass die Regierung von Bashar al-Assad nach dem oben beschriebenen „Erfolg“ ihre Einheiten nun für einen Angriff auf die größte syrische Stadt, Aleppo, zusammenzieht. Dabei behaupten die Rebellen, die Hälfte der Stadt unter Kontrolle zu haben.
Aus diesem Grund wird der Krieg weitergehen, über den es Berichte gibt, die von unbeschreiblichen Gräueltaten auf beiden Seiten zeugen: „Wer würde glauben, dass ein Kommandeur der Rebellenarmee den Leichnam eines Regierungssoldaten aufgeschnitten und dessen Herz gegessen hätte, wenn es davon keinen Videomitschnitt gäbe?“ (aus: Patrick Cockburn, „London Review of Books“ [brit. Literaturzeitschrift]). Sogar vom Einsatz von Chemiewaffen – auf beiden Seiten – ist die Rede.
Kapitalistische Mächte der westlichen Welt diskutieren das weitere Vorgehen
Doch wie im Falle des Irak und des zwielichtigen Dossiers über angebliche Massenvernichtungswaffen, werden diese Meldungen nur dazu genutzt, um eine zunehmende Intervention der westlichen kapitalistischen Staaten zu rechtfertigen, an ihrer Spitze der anglo-französische Imperialismus.
Von den 27 EU-Mitgliedsländern sind derzeit nur zwei, Frankreich und Großbritannien, dafür, den Rebellen größere militärische Hilfe (vor allem Waffen) zukommen zu lassen. Der britische Premierminister Cameron und sein Außenminister Hague stoßen sogar in ihrer eigenen Partei auf Widerstand. Eine größer werdende Gruppe Abgeordneter der [konservativen] „Tory“-Partei von Cameron aber auch einige Minister sind nicht für ein bewaffnetes Eingreifen. Sogar Nick Clegg und seine liberal-demokratische Partei, die der Koalitionspartner der britischen Konservativen unter Cameron ist, haben sich gegen den britischen Premier gewandt. Der Grund dafür ist nicht, dass sie wie auch immer „liberal“ wären, sondern dass sie zumindest die Möglichkeit blutiger Vergeltungsaktionen für ein solches Vorgehen in Großbritannien selbst vorausahnen können, sollte die Regierung mit einer bewaffneten Intervention in Verbindung zu bringen sein. Es sei in diesem Zusammenhang nur an die Messerattacke von Woolwich erinnert.
In der Vergangenheit wägten die Strategen des britischen Kapitalismus vorsichtig ab, welche Konsequenzen ihr Eingreifen in Übersee nach sich ziehen würde. Sie agierten auf Grundlage eines weichen Polsters, das das mächtige Empire für sie darstellte, und planten Jahrzehnte und gar Jahrhunderte im Voraus. Cameron und Hague hoffen heute nur noch, dass sie sich heil um die nächste Straßenecke schleichen können!
Sie sind nicht in der Lage, die Lehren aus dem Irak und aus Afghanistan zu ziehen oder zu verstehen, weshalb es enormen „Rückstoß “ in Form von zunehmenden Terrorakten in Großbritannien und anderen entwickelten Industriestaaten gibt. Wenn Großbritannien heute aktiv in den Schwelbrand von Syrien und dem Nahen Osten eingreifen würde, dann hätte das mit Sicherheit Orkan-artige Auswirkungen. Die Lieferung von Waffen wird „nur“ dazu führen, dass die Zahl der Getöteten im Land weiter ansteigt. Die Probleme, vor denen die Menschen in Syrien und der ganzen Region stehen, werden damit absolut nicht gelöst.
In einer eindringlichen Analyse der Lage zeigt Patrick Cockburn, dass die meisten Berichte (weil sie über parteiische Fernseh-Mitschnitte und ab und an auch durch ‘fiktive’ YouTube-Videos verbreitet werden) dazu neigen, das Ausmaß der Zerstörung, den der Konflikt anrichtet, übertrieben darzustellen. Dies gelte demnach vor allem für die Seite der Rebellen.
Die angebliche Schwäche der Regierungsseite, die zum ‘drohenden’ Sturz des Assad-Regimes führen würde, werde demzufolge ebenfalls übertrieben dargestellt. Wie Cockburn ausführt, waren „die Aufständischen nur darin erfolgreich, eine der insgesamt 14 Provinzhauptstädte einzunehmen. (In Libyen hielten die aufständischen Benghasi und den gesamten Ostteil des Landes sowie die Stadt Misrata und kleinere Ortschaften im Westen – und das seit Beginn der Revolte.)“.
Gleichwohl wurde das Land Opfer zweifellos massiver und schrecklicher Zerstörungen und die Menschen haben immens zu leiden. Nach der Einnahme von al-Qusair erinnert die Verwüstung der Stadt an die berühmten Worte des römischen Geschichtsschreibers Tacitus: „Sie schaffen eine Wüste und nennen es Frieden.“
Ein sich lang hinziehender Konflikt
Keine der beiden Seiten hat entscheidende Erfolge vorzuweisen. Es sieht auch nicht danach aus, als wären sie demnächst zu einem Sieg über die jeweils andere Seite in der Lage. Deshalb ist ein blutiger und sich lang hinziehenden Konflikt durchaus möglich – der libanesische Bürgerkrieg dauerte 15 Jahre. Es sei denn, die Arbeiterklasse und die Armen nehmen das Heft in die eigene Hand, führen unabhängige Klassen- und sozialistische Aktionen durch und organisieren eine Bewegung zur Entmachtung sämtlicher reaktionärer, sektiererischer und diktatorischer Kräfte durch eine Veränderung der Gesellschaft.
Die Ereignisse in Syrien bestätigen die Analyse der SozialistInnen und des „Committee for a Workers’ International“ (CWI; „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist), die bereits zu Beginn des syrischen Konflikts vorgelegt worden sind. Fast alle, die die Rebellen unterstützten, darunter die Regierung Cameron in Großbritannien, die politische Rechte und sogar einige aus der „Linken“, hatten behauptet, dass Assad schnell entmachtet werden würde.
Wir hingegen argumentierten, dass Syrien nicht zu einer Neuauflage Libyens werde. Assad hatte größere Reserven, auf die er zurückgreifen konnte, mehr Unterstützung von Seiten der Minderheiten im Land, die ihm wegen des zunehmend sektiererischen Charakters der Rebellen in die Hände getrieben werden, und aufgrund der schiitischen Präsenz in der Region.
Am Anfang gab es so etwas wie einen Volksaufstand „hunderter Wohngebiete“ in Syrien gegen den monströsen Polizeistaat Assads, der vom „Arabischen Frühling“ inspiriert war. Zuvor schon hatte es gewerkschaftliche Bewegungen und Aktionen von ArbeiterInnen gegen die Verschlechterung der Lebensbedingungen und die Privatisierungen gegeben, die Assad durchführte.
So kam es, dass sich am Anfang die Entwicklung einer echten Bewegung gegen ein diktatorisches Regime abzeichnete und – darüber hinaus – ein Streben nach Überwindung der Spaltungslinien zwischen der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung und den Minderheiten im Land. Dazu zählt auch die größte Minderheit, die AlawitInnen (eine schiitische Richtung), zu der auch Assad selbst gehört.
Die Situation änderte sich jedoch mit dem Eingreifen von außen durch reaktionäre Kräfte, die keine Revolution in der Region wollen – insbesondere die halb-feudalen Monarchien in Saudi Arabien und Katar – und von imperialistischen Kräften unterstützt wurden. Sie hoffen, ihren Erfolg, den sie in Bahrain und vor allem im Falle der zum Entgleisen gebrachten Revolution in Libyen verzeichnen konnten, wiederholen zu können.
Es ist zwar kaum nachzuvollziehen, aber das Eingreifen in Libyen ist von einigen Linken und sogar von Gruppen, die sich selbst als „marxistisch“ bezeichnen, „kritisch“ unterstützt worden. Am Ende stand genau das, wovor wir zuvor gewarnt hatten: der Niedergang Libyens zu undemokratisch geführten Lehen bösartiger „islamistischer“ Warlords mit gegeneinander konkurrierenden Milizen, einschließlich der Präsenz von Organisationen vom Typ al Kaida. Letztere tauchen in Libyen und Nordafrika nun immer häufiger auf, was wiederum den Imperialismus alarmiert, der deshalb eine erneute Intervention mit Hilfe der NATO in Erwägung zieht, um diese Gruppierungen mit Hilfe einer „Übungsmission“ auszulöschen.
Gefährlicher sektiererischer Konflikt im regionalen Maßstab
Der Aufstand gegen Assad hat sich nun in einen sektiererischen Konflikt verkehrt und darüber hinaus eine gefährliche Auseinandersetzung zwischen SunnitInnen und SchiitInnen in der gesamten Region entfesselt.
Das Wirtschaftsmagazin „The Wall Street Journal“ berichtete Ende Mai über die Lage in Syrien: „In Teilen des in diesen Kampf getriebenen Landes ist ein zweiter Bürgerkrieg ausgebrochen. Im Norden und Osten an der Grenze zur Türkei und dem Irak ist ein syrischer Landesstreifen in der Hand der Rebellen in konkurrierende Lehen aufgespalten. In einigen Orten haben islamistische Extremisten mit Zielen, die weit über Syrien hinaus reichen, die Rebellen-Einheiten zur Seite gedrängt, welche 2011 mit dem Auflehnung gegen das Regime von Basher al Assad begonnen hatten.“
Al Kaida hat öffentlich verlautbaren lassen, dass die Hälfte der ihr zur Verfügung stehenden Finanzmittel darauf verwendet wird, erfahrene Kämpfer auszubilden und den eigenen bewaffneten Flügel, Al Nusra, in Syrien zu verstärken. Cockburn meint dazu, dass es sich dabei „militärisch um die effektivste aller Rebellen-Gruppen“ handeln würde. Dieser Prozess ist durch das Eingreifen Saudi Arabiens und Katars weiter befeuert worden. Katar tendiert dazu, islamistische Gruppen zu unterstützen, die – wie die „Muslimbrüder“ – als moderater zu bezeichnen sind, während Saudi Arabien eher darauf aus ist, die fundamentalistischen Salafisten zu bewaffnen und zu finanzieren.
Katar, das Land, in dem ein Drittel der Gasreserven der Welt im Boden schlummern und das demzufolge auf ungeheure Reichtümer zurückgreifen kann, hat in den letzten beiden Jahren mindestens 3 Milliarden US-Dollar zur Unterstützung der Rebellen in Syrien aufgebracht. Jedem syrischen Soldaten der Assad-Armee wurden zusammen mit seiner jeweiligen Familie 50.000 US-Dollar angeboten, wenn er aus der staatlichen Armee desertiert.
In Zusammenarbeit mit dem CIA hat Saudi Arabien mindestens 70 Militärflüge aus der Türkei organisiert, um den Aufständischen Waffen und Ausrüstung zukommen zu lassen. Von daher handelt es sich bei den Behauptungen, die Rebellen seien schlecht ausgerüstet und bräuchten dringend Hilfslieferungen aus dem Westen, um absoluten Schwindel. Das ist nur eine Rechtfertigung für weitere imperialistische Interventionen.
Dies hat wiederum regionale und sektiererische Tendenzen in benachbarten Ländern und der gesamten Region ausgelöst, die sich zu einem ausgedehnten Krieg auswachsen können, in den auch Israel hineingezogen werden könnte. Israel hat bereits mit Raketenangriffe auf Syrien in den Konflikt eingegriffen.
Russland und der Iran
Russland reagierte mit der erneuten Lieferung von Raketen an Assad. Die Kräfte, die auf Seiten der Rebellen stehen, vor allem Saudi Arabien, haben von Anfang an klar gemacht, dass der Sturz des Assad-Regimes für sie auch ein direkter Schlag gegen den Iran und die Hisbollah im Libanon wäre. Deshalb betrachtet die Hisbollah – das jetzt ebenso auf der Seite der syrischen Regierung kämpft ebenso wie der Iran – die Verteidigung Syriens und der derzeitigen Regierung dort in der Tat als Frage des eigenen Überlebens. Dazu gehört auch, dass man Assad mit Öllieferungen versorgt.
Das hat zur Drohung eines verstärkten Eingreifens von Seiten des Iran zu führen. Diese wechselseitigen Schläge könnten zu einem umfassenden Angriff Israels auf den Iran führen. Schließlich wurde so etwas in Israel schon vor Ausbruch des syrischen Konflikts in Erwägung gezogen, mit all den schrecklichen Folgen, die das hätte.
Der Ausbruch des Krieges in Syrien wurde vom sunnitisch geprägten Saudi Arabien, an dessen Seite Katar steht, als Möglichkeit betrachtet, dem schiitischen Iran und dessen Verbündetem im Libanon, der Hisbollah, einen Schlag zu versetzen. Der Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran ist wiederum vom Ausgang der Kriegs im Irak befeuert worden, der zum Sturz des sunnitischen Regimes unter Saddam Hussein führte. Trotz schiitischer Bevölkerungsmehrheit hielten sunnitische Führer seit Gründung des Landes im Jahr 1921 die Macht im Irak inne. Saddam wurde dann durch einen schiitisch dominierten Staat ersetzt, der z.Zt. von der Regierung Maliki kontrolliert wird. Im Anschluss daran, in den Jahren 2006 und -07, folgte im Irak ein sektiererischer Bürgerkrieg mit zehntausenden von Toten.
Umstrukturierung der Region
Zur damaligen Zeit warnten wir davor, dass ein imperialistisches Eingreifen im Irak zwar zur Absetzung Saddam Husseins aber in der Folge nicht zu dem demokratischen Irak führen würde, den Bush und Blair immer versprochen hatten, sondern schließlich zu einem Auseinanderbrechen des Landes und dem Entstehen einer Reihe von „Miniatur-Saddam-Husseins“.
Die Kettenreaktion, die der Syrien-Konflikt jetzt ausgelöst hat, bedeutet, dass das jetzt eintreten kann, begleitet von einer Abtrennung der kurdischen Gebiete im Nord-Irak mit ihren beträchtlichen Ölreserven. Das türkische Erdogan-Regime, dem es an Energieressourcen mangelt, könnte das ermutigen. Deshalb begann es auch, mit der kurdischen Minderheit in Türkei, die von der PKK und ihrem inhaftierten Anführer Öcalan vertreten wird, in direkte Verhandlungen zu treten. Dabei stimmte Erdogan manchen der kurdischen Forderungen zu.
Die Abtrennung des nördlichen Irak wird nicht ohne gewaltsame Zusammenstöße möglich sein. Das eröffnet auch die Möglichkeit eines weiteren Bürgerkriegs im Irak selbst. Im April sorgte die irakische Regierung mit der Unterdrückung der SunnitInnen durch vom Militär durchgeführte Razzien in der Nähe von Kirkuk dafür, dass diese Möglichkeit weiter in den Bereich des Realistischen rückte. Dabei wurden auch Panzer eingesetzt.
Zur selben Zeit haben die KurdInnen in Syrien, die zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen, die Chance ergriffen, um im Norden des Landes in der Tat eine autonome Enklave herauszubilden. Die KurdInnen verteilen sich über verschiedene Staaten. Doch jetzt fassen sie ins Auge, möglicherweise zuerst in den einzelnen Staaten Autonomie erreichen zu können, um dann eventuell zu einem späteren Zeitpunkt zu einem gemeinsamen Staat zusammen zu kommen. Der syrische Konflikt, der für die Loslösung aus der Umklammerung durch zentralisierte Staaten sorgt, hat ironischer Weise dazu geführt, dass sich die Perspektiven für die KurdInnen grundlegend geändert haben.
Die 30 Millionen KurdInnen – die größte nationale Gruppe auf der Welt ohne eigenen Staat – könnten, wie PKK-Führer Öcalan in Aussicht stellte, als er einen inoffiziellen Waffenstillstand mit der Türkei ankündigte, nun zu einer „staatenlosen Union“ zusammenkommen. Mit anderen Worten geht es um eine lose Föderation, die sich zu einem später Zeitpunkt zu einem gemeinsamen Staatsgebilde entwickeln kann – oder auch nicht.
Anderseits könnte die Rechnung der Türkei und vor allen Dingen Erdogans nicht aufgehen, wenn sich der syrische Konflikt heimtückisch ausweiten sollte. Die Gewalt ist bereits über die syrisch-türkische Grenze geschwappt, die eine Länge von 822 km hat. In der Türkei ist es zu Bombenanschlägen gekommen, die wütende anti-syrische Demonstrationen zur Folge hatte. Das könnte umgekehrt zu verstärkter Opposition gegenüber der Regierung führen, die dafür verantwortlich gemacht werden könnte, das Land in den syrischen Konflikt hineingezogen zu haben. Die massive Opposition, die sich bereits in den Demonstrationen gegen die „demokratische“ Diktatur Erdogans äußert, würde dadurch weiter verstärkt.
Der Libanon könnte in einem neuen Bürgerkrieg auseinanderbrechen, und Syrien könnte mit einem vornehmlich alawitischen Gebilde neben einem sunnitischen Staat oder Marionettengebilde geteilt werden.
Nicht die geringste der Folgen des Syrien-Konflikts ist das, was von kapitalistischen KommentatorInnen als neuer „Kalter Krieg“ zwischen Russland und China auf der einen und dem europäischen sowie dem US-Kapitalismus auf der anderen Seite bezeichnet wurde.
Der ursprüngliche „Kalte Krieg“ spielte sich zwischen unterschiedlichen Gesellschaftssystemen ab: dem Kapitalismus und dem Stalinismus. Dabei gründete letzteres auf der Planwirtschaft, allerdings unter Kontrolle einer Bürokratie. Dieser neue „Kalte Krieg“ deutet nun jedoch auf fortschreitende Spannungen zwischen den unterschiedlichen imperialistischen Mächten hin, wobei es um Einfluss und Bodenschätze im Nahen Osten und darüber hinaus geht.
Was die Massen wollen …
Für die Kapitalisten und ihre feudalen bzw. halb-feudalen Alliierten sind die Interessen der Arbeiterklasse und der Armen nur Kleingeld. Diese Massen haben in der Revolution, die im Nahen Osten und in Nordafrika stattgefunden hat, mit Leibeskräften gegen Großgrundbesitz und den Kapitalismus gekämpft, um ihre Lebensbedingungen zu verändern.
In Ägypten und Tunesien haben sie zuvor scheinbar unbesiegbare Diktaturen zu Fall gebracht. In diesem Prozess haben sie die Vorstellung, die durch Blair und seine Spießgesellen im Irak unermüdlich verbreitet wurde und nach der die Diktaturen in der Region so mächtig seien, dass sie nur vermittels einer von außen gelenkten Miltärintervention gestürzt werden könnten, zerschlagen. Nicht nur, dass Ben Ali und Mubarak durch Massenbewegungen der ArbeiterInnen und Armen abgesetzt worden sind, die derzeitigen Bewegungen tendieren in Richtung einer „zweiten Revolution“, um ihre gesellschaftlichen Bedingungen zu verändern.
Sie wurden von den unmittelbaren Resultaten der Revolution enttäuscht. Sie brachten Regierungen und Regime an die Macht, die dieselben diktatorischen Tendenzen zeigen, wie die gestürzten Mubarak und Ben Ali. Ein beliebter Slogan der säkularen WidersacherInnen des ägyptischen Präsidenten Mursi lautet: „Mursi ist Mubarak mit Bart!“.
Diese Regierungen nehmen die Färbung verschiedener islamischer Parteien an. Dahinter steckt jedoch, dass die Massen ihre Schlussfolgerungen aus den stürmischen Entwicklungen ziehen, die sie am eigenen Leib mitgemacht haben. Langsam deutet sich an, dass der Prozess des Aufbaus unabhängiger Parteien der Arbeiterklasse wie auch von Gewerkschaften und einer Vereinigung auf nicht-sektiererische Weise beginnt.
In den großen Städten im Irak sind die Massen kürzlich erst unter dem Banner „Nicht Schiiten und Sunniten, sondern Iraker gemeinsam“ durch die Straßen gezogen. Nach den Schrecken, die sie seit dem Einmarsch US-amerikanischer und britischer Truppen erlebt haben, sehen die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse den Bedarf nach einer gemeinsamen Front aller ArbeiterInnen, um gegen den Großgrundbesitz und die Kapitalisten zu kämpfen, die die Region dominieren.
Der Konflikt in Syrien ist derart schwer zu lösen, dass sich sogar die, die auf einen schnellen Sieg über das Assad-Regime gesetzt und sich dafür eingesetzt haben, jetzt für eine Genfer „Friedenskonferenz“ einsetzen. Dass Derartiges tatsächlich in Gang kommt, ist allerdings eher unwahrscheinlich, weil die SprecherInnen der Rebellen darauf bestehen, dass eine Vorbedingung zur Teilnahme bei einer solchen Konferenz lautet, Assad von vornherein auszuschließen. Was aber auf dem Schlachtfeld – in Form einer spürbaren Schwächung oder gar Niederlage und Vertreibung Assads – nicht erreicht werden konnte, kann auch durch „Verhandlungen“ nicht zustande kommen.
In der internationalen Arbeiterbewegung sollte niemand der Illusion unterliegen, dass durch eine derartige Zusammenkunft – und egal, ob mit oder ohne die Anwesenheit Assads – irgendetwas erreicht werden könnte. Würde irgendeinE klassenbewusste ArbeiterIn den Bossen einer Fabrik oder aus dem eigenen Land zutrauen, entscheidende Fragen zum Wohle der ArbeiterInnen zu „schlichten“? Und ebenso wenig sind die Bosse zu einer Einigung auf internationaler Ebene in der Lage, mit der die Lage der Arbeiterklasse verbessert werden könnte.
Die SozialistInnen unterstützen weder Assad noch die Führung der „Rebellen“. Wir würden den ArbeiterInnen, die vor Ort für eine Einheitsfront mit einem Programm des Klassenkampfs kämpfen, jede nötige politische und aktive Unterstützung zukommen lassen.
Die einzige Konferenz, die erstrebenswert ist, ist eine, die von der organisierten Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung der gesamten Region organisiert wäre. Die Forderungen wären schnell formuliert:
1. Nein zu imperialistischen Interventionen! Abzug aller ausländischen Kräfte aus Syrien und aus anderen besetzten Ländern.
2. Das syrische Volk soll in offenen, fairen und freien Wahlen selbst entscheiden, welches Schicksal es will. Die Wahlen müssen von gewählten demokratischen Arbeiter-Komitees überwacht werden.
3. Für den Aufbau vereinter, nicht sektiererischer Verteidigungskomitees zur Verteidigung der ArbeiterInnen, der Armen und anderer gegen sektiererische Angriffe von beiden Seiten.
4. Vorbereitung einer Bewegung zum Kampf für eine Regierung aus VertreterInnen der ArbeiterInnen und Armen.
5. Für eine revolutionäre Verfassunggebende Versammlung in Syrien.
6. Einführung und Gewährleistung nationaler und demokratischer Rechte für die Massen, was mit der Anerkennung des Rechts der KurdInnen auf Selbstbestimmung beginnen muss. Das beinhaltet – so dies gewünscht wird – volle autonome demokratische Rechte innerhalb des Staates, in dem sie leben, oder die Errichtung eines gemeinsamen eigenen Staats der KurdInnen.
7. Unabhängige Gewerkschaften und Aufbau von Arbeitermassenparteien, die ein Programm haben, das den Massen das Land und den ArbeiterInnen die Fabriken gibt. Umgesetzt werden muss dies durch ein Programm für eine sozialistisch und demokratisch geplante Wirtschaft.
8. Eine demokratisch-sozialistische Konföderation des Nahen Ostens und Nordafrikas.