Massendemonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen in allen größeren Städten
von André Ferrari, LSR (Schwesterorganisation der SAV in Brasilien)
In der Nacht des 13. Juni griff die Militärpolizei in Sao Paulo feige eine friedliche Demonstration von 15.000 Menschen in der Innenstadt an. Die Polizei verhaftete völlig willkürlich 235 Menschen, viele davon nur deswegen, weil sie sich in der Nähe der Demonstrationsortes aufgehalten hatten, andere nur, weil sie wie StudentInnen aussahen oder Essig im Rucksack hatten, um die Auswirkungen des Tränengases abzumildern. Die Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei verschossen wahllos Gummigeschosse und Gasgranaten. Neben Protestierenden wurden viele JournalistInnen, FotografInnen und Kameraleute verletzt. Selbst diejenigen, die versuchten, den Verletzten medizinische Hilfe zu leisten, wurden verhaftet und ihre Erste-Hilfe-Koffer wurden konfisziert. Das harte Vorgehen der Polizei findet inmitten einer Flut von Angriffen auf soziale Bewegungen und die Armen im allgemeinen statt.
Brasilien erfährt eine neue Ära, die durch offensichtlichere Anzeichen von Krise und ein Wiederaufleben von Kämpfen von ArbeiterInnen und Jugendlichen geprägt ist. Im Jahr 2012 war die Anzahl von Streiks die höchste seit 16 Jahren. Die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes wehren sich gegen Kürzungen und die Rücknahme von Arbeiterrechten. Auch Beschäftigte der Privatwirtschaft verlangen ihren Anteil am viel gepriesenen Wirtschaftswachstum.
Die politischen Auswirkungen dieser Kämpfe waren begrenzt, sowohl durch die Zersplitterung der Bewegung, dem Charakter der bürokratischen Gewerkschaftsführung als auch der Schwächen der linken Opposition zur Regierung von Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei (PT). 2013 jedoch zeigte sich eine fortschreitende Erosion der politischen Unterstützung für die Regierung und das Aufkommen eines neuen Bewusstseins unter breiten Schichten von Jugendlichen und ArbeiterInnen.
Das Image Brasiliens als Land, das sich in Richtung „Erste Welt“ bewegt, wird durch eine Situation sehr niedrigen Wachstums (unter 1% in 2012) im Zusammenhang mit hoher Inflation zerfressen, die vor allem die Armen trifft. Zur selben Zeit, als die Bundesregierung einen Rechtsschwenk in ihrer Wirtschaftspolitik gemacht hat (Anhebung der Zinsraten, Privatisierung von Häfen, Flughäfen, Ölfeldern usw.), sank sie in den Wahlumfragen seit März um 8 Prozent (von 65 Prozent auf 57 Prozent).
Fahrpreiserhöhungen lösen Kämpfe in großen Städten aus
In den letzten Wochen haben wir eine Explosion sozialer Kämpfe von Jugendlichen gesehen, entfacht durch die Anhebung der Fahrpreise im ÖPNV. In vielen Landeshauptstädten und großen Städten haben die Demonstrationen eine quantitativ und qualitativ höhere Dimension angenommen als in früheren Bewegungen. In vielen Städten, wie zum Beispiel Porto Alegre, Goiânia, Teresina und Natal wurden die Fahrpreiserhöhungen nach Protesten zurück genommen.
Zurzeit ist Sao Paulo die Hauptbühne des Kampfes. Mit vier verschiedenen Demonstrationen seit dem 6. Juni wächst die Bewegung jeden Tag. Die unmittelbare Forderung ist, die Metro- und Buspreise von 3,20 auf 3 Reais zu reduzieren, aber die Bewegung stellt auf die Logik des städtischen Transportsystems in frage, welches sich ausschließlich an den Profiten einer Handvoll Bosse orientiert. Hohe Preise, Überfüllung und ein schlechter Zustand stellen einen täglichen Albtraum für ArbeiterInnen und Studierende dar, die jeden Tag durch diese gigantischen Metropole reisen müssen.
In Brasilien werden schätzungsweise 37 Million Menschen aufgrund der hohen Preise vom öffentlichen Personenverkehr ausgeschlossen, Millionen weitere müssen einen großen Teils ihres Einkommens für den Weg zur Arbeit oder zur Universität aufwenden, mit einem Transportmittel von schlechter Qualität.
Eine der Forderungen der Bewegung ist ein Nulltarif im ÖPNV in São Paulo. Dahinter steckt die Idee, dass Unternehmer und die reicheren Schichten der Gesellschaft den größten Teil der Kosten für Transport aufzubringen haben und nicht die Beschäftigten und Studierenden.
Die PT hatte in den 1980er Jahren das Nulltarifprojekt vertreten, als die Partei noch auf der Linken stand und ihre Basis in den sozialen Bewegungen hatte. Die derzeitige PT-Regierung der Stadt, geführt vom Bürgermeister Fernando Haddad, weist dieses Projekt heute zurück, weigert sich, die Privatisierungen im öffentlichen Verkehrssystem zurückzunehmen und arbeitet den Geschäftsleuten im Transportwesen mit hündischer Treue zu.
Die Regierung des Staates Sao Paulo unter Leitung von Geraldo Alckmin von der PSDB, der wichtigsten rechten Oppositionspartei zur Bundesregierung der PT, und verantwortlich für die U-Bahn-System in Sao Paulo, weigert sich ebenfalls, diese Forderungen zu diskutieren. Alckmin wirbt für einen Privatisierungsprozess bei neuen U-Bahn-Linien und ist verantwortlich für die brutale, repressive Reaktion der Militärpolizei in Sao Paulo auf die Demonstrationen.
Viele junge ArbeiterInnen die bei den Stadtratswahlen im Oktober letzten Jahres für Haddad und die PT gestimmt hatten, um einen erneuten Sieg der traditionellen Rechten zu vermeiden, die damals vom Kandidaten der PSDB, Jose Serra, verkörpert wurde, sind heute tief enttäuscht von der PT. Die Einheit der PT und der PSDB gegen die Forderungen der Bewegung und die Politik von Repressionen gegen Demonstrationen entfremdet sie großer Schichten ihrer sozialen Basis und ihrer WählerInnen.
Verbrechen um die Weltmeisterschaft
Die großen Ereignisse, die in den kommenden Jahren im Land stattfinden sollen (die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele in Rio 2016) dienen als Vorgeschmack einer regelrechten urbanen Konterreform in den großen Städten. Die Bauprojekte, die mit der WM zusammenhängen, verursachen die Umsiedlung von tausenden Familien aus ihren Wohnungen , um den Weg frei zu machen für Immobilienspekulation.
Anstatt für die Menschen werden Städte immer mehr für das Kapital gestaltet. Städtischer Raum steht zum Verkauf und jedes Hindernis im weg zum Profit muss eliminiert werden – alles hinter der Fassade von Modernisierung und sozialem Frieden.
Stadien werden privatisiert, zügellose Korruption bei den Bauprojekten für die WM, extreme Ausbeutung von Bauarbeitern führte zu Unfällen und Toten, Vertragspartner profitieren in gemeinsamer Sache mit den profitieren in exorbitanter Weise, während auf den Rechten der EinwohnerInnen großer Städte herum getrampelt wird.
Heute am 14. Juni beginnt eine Kampagne landesweiter Kämpfe von Basisbewegungen für Wohnungen, die Urbane Widerstandsfront, zusammen mit den WM-Volkskomittees, welche die Verbrechen im Zusammenhang mit der WM anprangern.
Repression und Kriminalisierung der sozialen Bewegungen
Konfrontiert mit dem Anstieg von Kämpfen und der Notwendigkeit, Demonstrationen am Vorabend des Confederations Cup zu vermeiden, hat sich das Vorgehen der Polizei gegen die Proteste dramatisch verschärft. Straßenbesetzungen, ein fundamentales demokratisches Recht, sind verboten. In vielen Städten erinnert das scharfe Vorgehen der Polizei gegen Demonstrationen an die Militärdiktatur. Gerichtsentscheide, die Demonstrationen verbieten, Gummigeschosse und Gasgranaten gegen DemonstrantInnen zeigen, dass wir in einer Zeit ernsthafter Angriffe auf die grundlegenden demokratischen Rechte der Menschen leben.
Nach einer starken Medienkampagne, welche die Protestierenden gegen die Fahrpreiserhöhung als Vandalen und Hooligans darstellte und so die Polizeirepression rechtfertigte und stützte, verursachte die massive Repression gegen die Demonstration am 13. Juni einen großen Wirbel und selbst die Medien mussten ihren Tonfall ändern.
In Sao Paulo griff die Militärpolizei in der Nacht vom 13. Juni eine friedliche und angemeldete Demonstration von ca. 15 00 Menschen im Stadtzentrum feige an. Die Polizei nahm willkürlich 235 Menschen fest. Die Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei verschossen wahllos Gummigeschosse und Granaten. Neben Protestierenden wurden viele JournalistInnen, FotografInnen und Kameraleute verletzt.
Das scharfe Vorgehen der Polizei findet inmitten einer Flut von Angriffen auf soziale Bewegungen und die Armen im allgemeinen statt. In großen Städten wie Sao Paulo und Rio leben schwarze Jugendliche in den Vororten in einem Zustand regelrechten Gemetzels. Vergewaltigungen haben in Rio de Janeiro enorm zugenommen in der letzten Zeit. Die rassistische Polizeigewalt, die Straflosigkeit der Aktionen von Todeskommandos, Gewalt gegen Frauen, die Kriminalisierung von Armut und Repressionen gegen die Rechte von Basisorganisationen sind die Realität in den Vororten.
FührerInnen der Landlosen-Bewegung wurden und werden in systematischer Art und Wiese ermordet und vor kurzem wurden auch zwei indigene Führer ( der Völker der Terena und Guarani-Kaiwoas) umgebracht, die gegen das Agro-Business und die Regierung und für die Demarkation ihres Landes kämpfen.
Der Kampf zur Verteidigung demokratischer Rechte nimmt eine zentrale Rolle beim Thema WM ein und dem Versuch, einen realen Notstandssituation im Land zu schaffen, wo Demonstrationen und freie Meinungsäußerung untersagt sind.
Die Stadt den Beschäftigten, Jugendlichen und den Menschen!
Diese Kämpfe für öffentlichen Personennahverkehr, Wohnungen und das demokratische Recht, die Straßen zu besetzen, sollten sich in einer großen landesweiten Bewegung für das Recht von arbeitenden, jungen und anderen Menschen auf die Kontrolle über ihre eigenen Städte vereinen.
Als ein Ergebnis dieses Kampfes wäre es möglich, die Grundlage zu erneuern für die Vereinigung und Reorganisation kämpferischer Arbeiterbewegungen, Jugendbewegung und sozialen Bewegungen, die unabhängig sind von Regierungen und Arbeitgebern. Ein landesweites Treffen von Beschäftigten und Jugendlichen, welches einen Aktionsplan entwickelt und welches sich in die Richtung entwickelt, ein neues vereinigten Werkszeug für den Kampf aufzubauen.
Dies sind die Vorschläge von LSR (CWI in Brasilien) an die sozialen Bewegungen, in denen wir aktiv sind und in PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit).
Wir stehen für:
- Sofortiges Absenken der Fahrpreise! Kampf für den Nulltarif – lasst die Bosse für den öffentlichen Nahverkehr zahlen! Verstaatlichung des öffentlichen Verkehrswesens unter demokratischer Kontrolle der Beschäftigten und NutzerInnen! Nicht-Zahlung der Schulden an die Banken und Spekulanten und massive Investitionen in den öffentlichen Personenverkehr!
- Stoppt die Umsiedlung von AnwohnerInnen! Nein zu sexueller Ausbeutung! Kampf gegen Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen!
- Sicherung der Rechte von BauarbeiterInnen bei WM-Projekten! Nein zur Privatisierung von Maracanã und Korruption an den Baustellen der WM! Demarkation von indigenen Grundstücken! Nein zu Notstandgesetzen durch die FIFA – für das Recht auf Organisierung, Meinungsäußerung und Demonstrationen!
- Nein zu den Repressionen gegen Demonstrationen von Jugendlichen und Beschäftigten! Nein zur Kriminalisierung und des zunehmenden Einsatzes der Justiz gegen soziale Kämpfe. Sofortige Freiheit für alle politischen Gefangenen des Kampfes gegen die steigenden Fahrpreise im ÖPNV und anderer Bewegungen. Nein zum Abschlachten schwarzer Jugendlicher in den Vororten!
- Für einen landesweiten Tag vereinigten Kampfes um die Forderungen für öffentlichen Personenverkehr, bezahlbaren Wohnraum, gegen die Verbrechen im Zusammenhang mit der WM und zur Verteidigung des Rechtes auf Protest und gegen die Kriminalisierung und Repressionen gegen die sozialen Bewegungen.
- Für ein landesweites Treffen von Beschäftigten und Jugendlichen, um einen Aktionsplan auszuarbeiten und ein vereintes landesweites Forum für die Kämpfe.