Bericht vom Bundesparteitag in Dresden
Bei ihrem Bundesparteitag vom 14. bis 16. Juni im Dresdner Kongresszentrum hat die LINKE bei fünf Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen ihr Programm für die Bundestagswahlen verabschiedet. Die Beratungen, die direkt am Ufer der Elbe stattfanden, begannen mit einer Stunde Verspätung, weil das Hochwasser die Anreise vieler Delegierter aufgehalten hatte. Wegen des Zeitdrucks konnte nur ein kleiner Teil der über 1000 eingereichten Änderungsanträge von den 550 sehr diszipliniert arbeitenden Delegierten diskutiert werden. Die Tagung stand im Zeichen der tiefen Krise im Euro-Raum und des Widerstands in Südeuropa und in der Türkei, mit dem sich die Delegierten in einer einstimmig verabschiedeten Resolution solidarisiert haben. Antikapitalistische Impulse und eine wirkliche Aufbruchstimmung für die Bundestagswahlen im September waren in Dresden jedoch eher selten spürbar.
Von Heino Berg, Göttingen
Die LINKE hat sich nach den personellen Grabenkämpfen des Göttinger „Gewitter“-Parteitags mit der neuen Doppelspitze Katja Kipping/Bernd Riexinger erholt und zu inhaltlicher Arbeit zurückgefunden. Die Suche nach innerparteilichen Kompromissen hat jedoch einen hohen Preis: Das Wahlprogramm entwickelt nur an wenigen Stellen grundsätzliche Alternativen zur bestehenden Gesellschaftsordnung, durch die sich die LINKE auf Anhieb von der links blinkenden, rot-grünen Scheinopposition unterscheiden könnte. Katja Kipping wird von der “Zeit“ mit der Aussage zitiert: „Wir verlangen doch nicht die Abschaffung des Kapitalismus.“
Generaldebatte: Wie halten wir’s mit SPD und Grünen?
Die Reden von Bernd Riexinger, Katja Kipping und Gregor Gysi wiederholten die in unserer Partei bekannten Forderungen gegen die Politik der Regierung Merkel und den rot-grünen Kanzlerkandidaten Steinbrück, ohne allerdings den Kapitalismus ausdrücklich in Frage zu stellen. Bernd Riexinger erwähnte immerhin, dass „der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte“ sei. Der Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi nahm in seinem Vortrag das Wort Sozialismus nur im Zusammenhang mit der (richtigen) Abgrenzung zum Stalinismus in den Mund – und in der Berufung auf die historischen Vorbilder der deutschen Arbeiterbewegung. Während Oskar Lafontaine, der sich in Dresden nicht zu Wort gemeldet hat, bei solchen Gelegenheiten die Systemfragen zumindest theoretisch aufgeworfen hat, beschränkte sich Gregor Gysi auf einen 20-Punkte-Katalog von sozialen Verbesserungsvorschlägen an die Adresse von SPD und Grünen. Seine wiederholte Frage, wann sie dafür endlich mit der LINKEn ein gemeinsames „Lager“ bilden würden, hat er in der „Schwäbischen Zeitung“ am 13. Juni mit der Vorhersage beantwortet, dass es spätestens in der übernächsten Legislaturperiode zu rot-rot-grünen Bundesregierungen kommen werde.
Bernd Riexinger betonte in seiner Rede stärker als Gregor Gysi die Notwendigkeit, dass sich die LINKE mit Widerstandsbewegungen in Europa verbinden müsse. SPD und Grüne würden jede Zusammenarbeit mit der LINKEn strikt ablehnen und dafür Koalitionen mit CDU oder der FDP offen lassen. Bernd Riexinger rief beim Parteitag aus: „Lagerwahlkampf hieße: Löhne rauf, und zwar saftig! Lagerwahlkampf heißt: Renten rauf, und zwar saftig! Lagerwahlkampf heißt: Millionäre besteuern, und zwar saftig! Lagerwahlkampf heißt: Schluss mit der Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen, hier in Deutschland und in ganz Europa. Dazu sagen wir ja, klipp und klar, nicht Jein wie die SPD, nicht ja aber, wie die Grünen, sondern JA! Und ich sage Euch auch zu welchem Lager wir gehören: zum Lager der sozialen Gerechtigkeit und sonst keinem!“
Trotz dieser Kampfansage an Rot-Grün bleibt die Haltung der LINKEn zu SPD und Grünen widersprüchlich, weil sie ihre konditionierten Koalitionsangebote ungeachtet der schlechten Erfahrungen bei den Landtagswahlen in Niedersachsen immer noch aufrecht erhält. Bernd Riexinger beschreibt diese Bedingungen in seiner Rede zu Recht als „Selbstverständlichkeiten“ und wehrt sich dagegen, diese Messlatte nur aus Rücksicht auf SPD und Grüne immer niedriger zu hängen. Wer aber feststellt, dass mit diesen Parteien nicht einmal deren eigene Grausamkeiten (wie die Hartz-Gesetze) zurückgenommen und soziale „Selbstverständlichkeiten“ durchgesetzt werden können, macht diese Anklagen halbherzig, wenn er dieselben Kriegs- und Kürzungsparteien als mögliche Koalitionspartner in Betracht zieht.
Kompromissformeln im Wahlprogramm
Der zunächst als unverbindliche „Erzählung“ konzipierte Wahlprogrammentwurf wurde nach den Änderungsanträgen der Parteibasis im Parteivorstand zwar nach links verschoben, schafft für die Mitglieder und vor allem für die Bevölkerung jedoch wenig Klarheit in den Schlüsselfragen, wodurch sie sich grundsätzlich von den rot-grünen Wahlversprechen unterscheidet und wohin die Reise der Partei letztlich führen soll.
Im beschlossenen Wahlprogramm will die LINKE eine Umverteilung von oben nach unten durch eine Erhöhung der Einkommensteuer einleiten. Gutverdienende sollen 53 Prozent, Einkommensmillionäre 75 Prozent bezahlen. Das Ehegattensplitting soll abgeschafft, Familien mit Kindern entlastet werden. Durch Steuererhöhungen bei Vermögenden sollen 180 Milliarden Euro im Bundeshaushalt eingenommen und für sozial Benachteiligte zur Verfügung gestellt werden. Die Rente mit 67 soll zurückgenommen und eine Mindestrente von 1050 Euro garantiert werden. Allerdings hätten auch bei einem Eintrittsalter von 65 mehr als die Hälfte der ArbeitnehmerInnen keinen ungekürzten Rentenanspruch mehr.
Bei der zentralen Frage, was die LINKE den Hartz-Gesetzen entgegensetzen will, bleiben Unschärfen. Sie fordert zwar die Abschaffung der Hartz-Gesetze, zugleich aber auch die Anhebung ihrer Regelsätze auf 500 €. Sie verlangt das Verbot der Leiharbeit – und gleichzeitig eine Verbesserung der Leiharbeiterlöhne. Selbstverständlich ist es richtig, für eine Verbesserung der Regelsätze oder Equal-Pay für LeiharbeiterInnen zu kämpfen, solange die Hartz-Gesetze noch nicht zurückgenommen und die Leiharbeit noch nicht gesetzlich verboten wurde. Entscheidend für die Wahrnehmung unserer Partei bleibt aber die Frage, welche dieser Teilforderungen ins Zentrum der Kampagnen, Plakate und Auftritte unserer KandidatInnen gerückt werden und ob zum Beispiel eine Anhebung der Regelsätze faktisch zum ERSATZ für die vollständige Rücknahme der Hartz-Gesetze gemacht werden könnte.
Beim Parteitag setzten sich fast immer die vorher im Parteivorstand ausgehandelten Kompromissformeln des „Sowohl-als-auch“ durch, die eine offene Kontroverse und Mehrheitsentscheidungen der Delegierten möglichst vermeiden sollten. Damit wurde aber in Teilen auch das eigenständige Profil der LINKEN als antikapitalistische Alternative zum Einheitsbrei der Kapitalparteien verwischt. Vorauseilende Rücksicht darauf, was für Rot-Grün eigentlich mittragbar sein sollte, führt in eine Sackgasse, weil SPD und Grüne – außer in der Wahlpropaganda – eben nicht mehr für Reformen zu haben sind (es sei denn, sie werden durch massiven Druck von unten dazu gezwungen).
Umso wichtiger waren Beiträge, die sich – wie der Düsseldorfer Betriebsratsvorsitzende Helmut Born – auf aktuelle Streikbewegungen im Einzelhandel bezogen oder die Rolle der Linken in den Frankfurter Blockupy-Aktionen beschrieben.
Euro-Debatte
Auch in der öffentlich umstrittenen Frage, ob sich die LINKE auf die Rettung der kriselnden Gemeinschaftswährung festlegen sollte, blieb es bei einem leicht abgeschwächten Euro-Bekenntnis des Parteivorstands: „Auch wenn die Europäische Währungsunion große Konstruktionsfehler enthält, tritt die Linke nicht für ein Ende des Euro ein. Voraussetzung für dessen Fortbestand ist, dass der Kurs der Austerität, der Kürzungspolitik, beendet wird.“
Damit verteidigt Die LINKE die von ihr zunächst abgelehnte „Gemeinschaftswährung“ ausgerechnet auf dem Höhepunkt ihrer Krise, als ob die Europäische Union und ihre gemeinsame Währung kein Projekt der Herrschenden, sondern das der Bevölkerung selbst wäre.
Versuche des linken Flügels, zumindest Optionen für einen Austritt der besonders gebeutelten südeuropäischen Staaten aus der Eurozone offen zu halten, sie durch Kapitalverkehrskontrollen zu schützen und ihnen die Solidarität der deutschen Linkspartei anzubieten, wurden mit Zwei-Drittel-Mehrheit auf dem Parteitag abgelehnt. Bernd Riexinger sprach gegen einem dementsprechenden Änderungsantrag, weil Austrittsforderungen auch reaktionäre Hintergründe haben und eine Aufwertung der deutschen Währung den Spielraum für Lohnerhöhungen verringern könnten. Die LINKE solle sich nicht auf Währungsfragen, sondern auf den Kampf gegen die Spardiktate konzentrieren – ohne allerdings zu erwähnen, dass er sich mit der Mehrheit der Parteiführung selbst für ein Ja zum Euro stark gemacht hat.
Die Währungskontroverse auf dem Parteitag litt darunter, daß sie auch von den meisten Vertretern des linken Flügels viel zu wenig mit der Systemfrage verbunden wurde. Eine Ausnahme bildete die hannoveraner Bundestagsabgeordnete Heidrun Dittrich, die darauf hinwies, dass der Euro zwar besonders für das deutsche Kapital ein nützliches Werkzeug zur Eroberung von Absatzmärkten sei, dass die Kürzungspolitik aber auch außerhalb der Eurozone praktiziert werde. In dem von ihr vertretenen Antrag des Kreisverbands Kassel und der AKL Niedersachsen heißt es: „Ohne einen Bruch mit der kapitalistischen Profit- und Konkurrenzlogik, ohne ein Ende der Eigentums- und Machtkonzentration in den Händen einiger Weniger, ohne einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel hin zu einer sozialistischen Demokratie – kann eine Änderung des Währungssystems in Europa oder der Austritt einzelner Staaten aus dem Euro die tieferliegenden Krisenursachen nicht beheben und keine nachhaltige ökonomische und soziale Entwicklung einleiten. Deshalb fordert DIE LINKE zum jetzigen Zeitpunkt weder ein Ende des Euro, noch ist sie eine Befürworterin der Einheitswährung.“
Ausblick
Der Dresdner Parteitag hat die LINKE nach den Niederlagen der letzten Monate konsolidiert, aber nur unzureichend auf die politischen Herausforderungen vorbereitet, die mit dem Endspurt des Bundestagswahlkampfes in der sich täglich vertiefenden Krise der kapitalistischen EU verbunden sind. Der Aufstand in der Türkei zeigt, wie schnell sich scheinbare Ruhezonen des weltweiten Klassenkampfes in dessen Brennpunkte verwandeln können. Auch wenn sich der Widerstand in Deutschland nur punktuell zeigt, weil die Regierung Merkel die Krisenlasten weitgehend in die Staaten Südeuropas exportieren konnte: Mit dem absehbaren Auseinanderbrechen der Eurozone wird sich dies früher oder später ins Gegenteil verkehren. Darauf muss sich die LINKE gerade in einem Land vorbereiten, dessen Regierung die soziale Verwüstung ganz Europas vorantreibt. Die Vertreterin des portugiesischen Linksblocks, Marisa Matias, hat auf dem Parteitag an die Erwartungen erinnert, die Linke in ganz Europa auf eine neuen Partei links von der Sozialdemokratie gerade in Deutschland richten. Um diesen Hoffnungen bei den bevorstehenden Bundestagswahlen gerecht zu werden, muss die LINKE für klare, sozialistische Alternativen zum Europa der Banken und Konzerne kämpfen.
Das ist vor allem eine Herausforderung für die Linke in der LINKEN. Diese war in Dresden für die Delegierten und die Öffentlichkeit zu wenig erkennbar, weil sie ihre Änderungswünsche zum Wahlprogramm weitgehend in den Parteivorstand verlagert hatte und die dort ausgehandelten Kompromisse dann vom Parteitag in den meisten Fällen nicht mehr zur Disposition stellte. Dabei hätten solidarische Sachkontroversen einer linken Partei durchaus gut zu Gesicht gestanden und die Mitwirkung der Basisdelegierten an der Meinungsbildung der Partei stärken können. Die Linke in der LINKEN sollte sich nach Dresden nun für die Verankerung in den sozialen Bewegungen und für die internationale Solidarität in Europa einsetzen und dafür kämpfen, dass die antikapitalistischen Ziele der LINKEN auch in den Wahlplakaten und Slogans für die Bevölkerung sichtbar gemacht werden.