Aktionstage trotz Polizeiwillkür ein Erfolg
Auch dieses Jahr hieß es wieder: Blockupy Frankfurt! Am 31. Mai und 1. Juni wurde gegen die Politik des Kaputtkürzens, der Verarmung und der Entdemokratisierung, wie sie in ganz Europa durchgesetzt wird, protestiert. Am 31. Mai blockierten Tausende die EZB (Europäische Zentralbank) und andere Orte, die das europäische Krisenregime und die Folgen deren Politik symbolisieren. Am 1. Juni wollten bis zu 15.000 durch Frankfurt demonstrieren.
Ein Bericht von Christian Walter, zur Zeit Berlin
Die Politik der Troika (Europäische Zentralbank, EU-Kommission und Internationaler Währungsfonds) sorgt dafür, dass Europa im Sinne weniger großer Banken und Konzerne umgestaltet wird. Die Folge: Millionen Menschen haben ihre Jobs verloren, insbesondere in den Ländern Südeuropas führt die Verarmung zu immer krasserer Verelendung großer Teile der Bevölkerung. Um gegen diese Politik zu protestieren, fanden am 1. Juni in vielen europäischen Ländern Demonstrationen statt.
Bereits für den 31. Mai hatte das Bündnis „Blockupy Frankfurt“ Aktionen des zivilen Ungehorsams organisiert.
Repression schon auf der Anreise
Ich bin mit etwa 250 weiteren AktivistInnen am Donnerstagmorgen aus Berlin aufgebrochen. Nach etwa sieben Stunden entspannter Fahrt bekamen wir einen Vorgeschmack auf die noch kommende Polizeirepression: Alle fünf Busse wurden von der Polizei von der Autobahn geholt, wir sollten durchsucht und unsere Personalien aufgenommen werden. Schnell war klar, dass es dabei in erster Linie um Einschüchterung der teilnehmenden Flüchtlinge ging, die seit Monaten in einem Protestcamp in Berlin gegen rassistische Gesetze und Diskriminierung kämpfen. Nach über vier Stunden in stickigen Bussen ohne Zugang zur Toilette, die drohende Festnahme und Abschiebung vor Augen, weil man die rassistische Residenzpflicht oder andere gegen MigrantInnen gerichtete diskriminierende Gesetze gebrochen hat, entschied sich etwa die Hälfte der Flüchtlinge und UnterstützerInnen sich nicht kontrollieren zu lassen und nach Berlin zurück zu fahren. Wir anderen wurden durchsucht, fotografiert und unsere Personalien wurden aufgenommen. In der Abenddämmerung – sieben Stunden später als angepeilt – waren wir endlich im Camp.
Blockade der EZB
Freitag ging im „Camp Anticapitalista“ um 4:30 Uhr das große Weckerklingeln los. Mit verschiedenen Demonstrationszügen wollten die Gruppen in die Stadt einfließen und die EZB – die bereits mit drei Reihen Absperrgittern umstellt war – umzingeln. Meine GenossInnen und ich gingen mit der linksjugend[’solid] und dem LINKE.SDS im „weißen Finger“. Zwar war die Polizei massiv in der Stadt vertreten, aber offenbar hatte sie aus dem letzten Jahr eine Lehre gezogen: da hatte die massive Repression gegen die Blockaden und Platzbesetzungen am ersten Tag der Proteste zu einem Solidarisierungsprozess geführt und viele tausende Menschen aus Frankfurt und dem ganzen Bundesgebiet zusätzlich mobilisiert.. So wurden wir zwar gefilmt, es gab immer wieder Rangeleien, Prügelorgien oder Festnahmen dagegen kaum. Lange bevor der erste Bänker zur Arbeit hätte gehen wollen, war die EZB so mit 3.000 DemonstrantInnen blockiert!
Krisenakteure markieren
Die EZB-Blockaden wurden den ganzen Vormittag aufrecht erhalten. Mittags gab es eine Versammlung auf dem zentralen Paulsplatz, im Anschluss dezentrale Aktionen. Ich war bei der Aktion „Krisenakteure markieren!“, bei der es darum ging Konzerne, die aus der Verarmung von Massen Profit ziehen, zu benennen und zu markieren. Der Immobilien-Spekulationsfonds Deutsche Hannington ist mitverantwortlich für den dramatischen Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschland. Mit Aufklebern, Klebeband und „Pflastersteinen“ aus Styropor sollte klargemacht werden, was wir von Krisenprofiteuren halten. Die Polizei machte mit Knüppeln und Fäusten klar, dass saubere Fassaden großer Konzerne wichtiger sind als die Gesundheit von Menschen.
Nachdem diese Aktion trotz allem recht erfolgreich durchgeführt war, ging ich mit meinen GenossInnen zu „Blockupy Zeil“. Zeil ist die Einkaufsmeile von Frankfurt. Hier war das Ziel, aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen der Textilkonzerne in Pakistan und Bangladesh das Mode-Kaufhaus Primark zu blockieren. Der hatte jedoch vorsorglich Tore und Gitter geschossen. Andere Krisenprofiteure gibt es in der Zeil jedoch genug, so wurde zuerst MyZeil, eine Hochglanz-Shoppingmall, für eine gute Stunde blockiert, danach ging es in Kleingruppen zu anderen Geschäften. Meine Gruppe blockierte Karstadt und so unterstützten wir den Streik, der gegen den Ausstieg aus dem Manteltarifvertrag ausgerufen worden war. Es wurden wohl alle größeren Läden in der Zeil kurz oder länger blockiert. Das Für und Wider solcher Blockadeaktionen von „Konsumtempeln“ sollte jedoch weiter diskutiert werden. Leider kam es häufiger zu Konfrontationen mit wütenden KundInnen, die sich an ihrem Einkauf gehindert sahen, der Brückenschlag zu den Beschäftigten gelang auch nicht in jedem Fall.
DIE LINKE
DIE LINKE war mit vielen AktivistInnen und einer größeren Zahl Abgeordneter vor Ort. Am Freitag Nachmittag veranstaltete sie eine Podiumsdiskussion mit Sahra Wagenknecht und RednerInnen aus Griechenland und Portugal im Frankfurter Gewerkschaftshaus, an der 350 Menschen teilnahmen. Auch der Block der LINKEN an der Großdemonstration am Samstag war groß, laut und kämpferisch. Insgesamt präsentierte sich die Partei als Teil des außerparlamentarischen Widerstands, wenn es auch schwer nachvollziehbar ist, dass am Tag des wichtigsten Protests gegen die Krisenpolitik von Merkel und Co. zeitgleich in Berlin das große „Fest der Linken“ stattfand und viele prominente Parteimitglieder dort auftraten.
SAV
Die SAV war mit Mitgliedern aus Aachen, Berlin, Köln, Dortmund, Bremen, Göttingen, Hildesheim, Stuttgart, Kassel, Frankfurt/Main bei Blockupy dabei. Am Freitag Abend diskutierten fast 30 TeilnehmerInnen auf einer von uns durchgeführten Veranstaltung zur Frage „Raus aus dem Euro?“ die aktuelle, von Oskar Lafontaine ausgelöste, Debatte über die Haltung der LINKEN zum Euro.
Großdemonstration und Repression
Für Samstag war dann, wie in vielen europäischen Städten, auch in Frankfurt zur Großdemonstration aufgerufen. 2012 kamen 30.000 Menschen. Dieses Jahr gab es im Vorfeld keine Verbote und an den ersten Tagen weniger Polizeirepression, aufgrund der es im letzten Jahr eine spontane zusätzliche Mobilisierung gab. Gleichzeitig drückt die, im internationalen Vergleich geringere Teilnehmerzahl aus, dass die Krise für große Teile der deutschen Bevölkerung noch nicht im Bewusstsein angekommen ist. Blockupy ist vor allem eine Bewegung von in verschiedenen Bewegungen und Organisationen Aktiven. Vor diesem Hintergrund ist es ein Erfolg, dass trotzdem 15.000 Menschen nach Frankfurt kamen. Alleine aus Stuttgart waren es 500 TeilnehmerInnen, der Sonderzug war komplett ausgebucht. Es musste sogar ein Extra-Waggon angehängt werden – ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass die Bewegung gegen Stuttgart 21 lebt und eine große Zahl von AktivistInnen hervor gebracht hat, die mittlerweile weitergehende politische Schlussfolgerungen gezogen haben und ihren Kampf als teil einer größeren Bewegung gegen die Macht der Banken und Konzerne einordnen. Für den Aachen-Kölner Bus mit fünfzig Plätzen gab es über achtzig Anmeldungen.
Ich war mit meinen GenossInnen schon früh vor Ort. Am SAV-Infostand gab es spannende Gespräche, viele Leute zeigten Interesse an unseren Publikationen und Ideen. Mit der Zeit füllte sich der Platz immer mehr, die Leute stauten sich in den Seitenstraßen. Vom Gewerkschafts-Lautsprecherwagen wurden Reden von AktivistInnen aus ganz Europa gehalten.
Mit etwas Verspätung ging die Demo lautstark los. Wir waren im Block der linksjugend[’solid], hier wurden Parolen wie „Brecht die Macht der Banken und Konzerne“ oder „Wir wollen eure Banken enteignen“ gerufen. Nach vielleicht 500 Metern war aber schon wieder Schluss.
Der Grund dafür: Die Polizei hatte den antikapitalistischen Block, der an der Demonstrationsspitze lief, unter massivem Einsatz von Gewalt von der restlichen Demo abgespalten. Hierfür reichte ein Vorwand: Es waren angeblich ein paar Böller und ein Farbbeutel geflogen, einige Leute hatten zum Schutz gegen die Sonne Sonnenbrillen angezogen oder trugen Regenschirme. Das reichte der Polizei, um den gesamten Block als gewalttätig und vermummt darzustellen, zu kriminalisieren und einzukesseln. Medien wie die BILD-Zeitung hatten schon Wochen vorher „Droht Frankfurt der Randale-GAU?“ getitelt. Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, wie schnell klar wurde. Nur gingen die Randale von staatlich bezahlten Schlägern aus. Ein Polizist sagte einem Demonstranten: „Nach der Schlappe, die wir letztes Jahr erlebt haben, konntet Ihr doch nicht davon ausgehen, einfach so durchzukommen.“
In anderen Berichten und Artikeln ist gut beschrieben, wie sehr sich die Bündnis-VertreterInnen um einen friedlichen Ablauf der Demonstration bemüht haben, in stundenlangen Verhandlungen mit der Polizei die verschiedensten Angebote unterbreitet haben und die Polizeiführung keine Kooperationsbereitschaft gezeigt hat. Eine gerichtlich bestätigte Demonstrationsroute nicht durchführen zu lassen ist eine neue Qualität staatlicher Willkür. Das alles macht klar, dass die Eskalation bewusst durch die politische und polizeiliche Führung herbeigeführt wurde. Dieses Jahr sind Landtagswahlen in Hessen. Die CDU hat sich nochmal als „Kraft des Durchgreifens“ präsentiert.
Für viele war dies nicht die erste Demonstration, bei der es zu Polizeiübergriffen kam. Diese sticht jedoch durch das Ausmaß hervor: Hunderte AktivistInnen wurden verletzt, viele von ihnen schwer. Über eintausend Menschen stundenlang eingekesselt. Anwälte wurden nicht zu eingekesselten DemonstrantInnen durchgelassen, Sanitäter nicht zu Verletzten. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat, der selbst im Kessel fest saß und dem vorgeworfen wurde, er habe seinen Bundestagsausweis gefälscht, schreibt: „Ich hatte das Gefühl, die Einsatzleiter wollten den Kollegen in Istanbul nacheifern in Sachen Gewalt, Überheblichkeit und Menschenfeindlichkeit.“
Der Block der linksjugend [’solid] postierte sich als Reaktion schützend um den Block der Flüchtlinge, um Übergriffe und Verhaftungen zu verhindern. Anstatt sich spalten zu lassen und den „Antikapitalistischen Block“ zurückzulassen, setzte sich der hintere Teil der Demonstration auf die Straße. Insgesamt hat sich die Demonstration sehr solidarisch verhalten. In den Polizeikessel wurden Getränke und Essen aus dem Schauspielhaus (das sich direkt an diesem Punkt der Demonstration befand) herunter gereicht.
Es wird sich zeigen, inwieweit die Taktik der Polizei nach hinten losgeht. Die Entschlossenheit, den Kampf gegen die Macht der Banken und Konzerne fortzusetzen, ist unter den DemonstrantInnen nach dieser Erfahrung sicher eher gewachsen. Tausende werden auch weitergehende Schlussfolgerungen ziehen: Dass das kapitalistische System als Ganzes hinterfragt werden muss und dass demokratische Grundrechte auch schon mal ausgehebelt werden, wenn es um Profite geht. Jetzt kommt es auch darauf an, den wahren Verlauf der Ereignisse in der Öffentlichkeit darzustellen, die Verbindung von solchen Protesten mit den alltäglichen Kämpfen, wie den Streiks im Einzelhandel, und mit den Kämpfen in anderen europäischen Ländern zu ziehen.
Eine Fotoreihe findet sich hier.