Retten jetzt die Finanzmärkte die „Realwirtschaft“?
Die Wirtschaft in Deutschland und der Euro-Zone schrumpfte im IV. Quartal deutlich. Im neuen Jahr strotzt die Wirtschaft plötzlich vor Optimismus. Der Hauptgrund ist die Beruhigung der Finanzmärkte – die aber der kleinste Anlass in eine neue Panikattacke stürzen kann. Das könnte auch die sogenannte Realwirtschaft wieder in eine schwere Krise wie 2007 bis 2009 stürzen.
von Wolfram Klein, Plochingen bei Stuttgart
Der Wirtschaftsrückgang um 0,6 Prozent im IV. Quartal sowohl in Deutschland als auch in der Euro-Zone übertraf die Befürchtungen selbst der Pessimisten. In der Bundesrepublik schrumpfte die Industrie um drei Prozent, die Autoindustrie sogar um acht Prozent. Grund waren vor allem Rückgänge bei Exporten und Ausrüstungsinvestitionen.
Strahlender Jahresbeginn nach trübem Jahresende?
Im neuen Jahr soll plötzlich eitel Sonnenschein sein. Der Konjunkturindex des „Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung“ (ZEW) stieg im Februar das dritte Mal in Folge – auf den höchsten Stand seit April 2010. Der ifo-Geschäftsklimaindex verbesserte sich im Februar den vierten Monat in Folge, von 100 Punkte im Oktober auf 107,4 Punkte.
Das Versprechen vom Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, unbegrenzt Staatsanleihen aufzukaufen, zeigt Wirkung. Die Spekulanten setzen gerade kurzfristig nicht auf ein Platzen des Euro. Risikozuschläge bei Kreditzinsen sinken. Für spanische Staatsanleihen sind sie (gegenüber deutschen Staatsanleihen) seit ihren Höchstständen von 6,4 auf 3,3 Prozent gesunken, für italienische von fünf auf 2,5 Prozent. Die Kapitalflucht aus den Krisenländern hörte auf, teilweise floss Geld zurück. Es gibt Hinweise, dass deutsche Unternehmen jetzt die niedrigen Zinsen für Investitionen nutzen. Damit hätte die vorübergehende Beruhigung der Finanzmärkte eine positive Wirkung auf die „Realwirtschaft“ in Deutschland.
Unlösbare Widersprüche
Kann die heiße Luft der Finanzmärkte die ganze Wirtschaft wie einen Heißluftballon nach oben steigen lassen? Die Finanzmärkte haben sich in den letzten Jahrzehnten so aufgebläht, dass sie kurzfristig die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten der sogenannten Realwirtschaft überlagern können. Aber sie können die Widersprüche des Kapitalismus nicht lösen. Auch Heißluftballons müssen irgendwann wieder landen. Und manchmal stürzen sie auch ab. Eine von den Finanzmärkten getriebene Konjunktur endete 2007/08 in der tiefsten Wirtschafts- und Finanzkrise nach dem Zweiten Weltkrieg.
Das zu wiederholen ist nicht sehr attraktiv. Und die Wiederholung wäre schlimmer als die Uraufführung, denn sie wäre durch deren Folgen belastet: durch die Schuldenberge der „Bankenrettung“ plus Kürzungspolitik plus Wirtschaftsdepression in vielen europäischen Ländern, die ja bereits die deutschen Exportmöglichkeiten beschneidet. Die vorübergehende Beruhigung der Finanzmärkte stärkt den industriellen Sektor in Deutschland, aber nicht in der Euro-Zone insgesamt. Dort wird für 2013 ein Schrumpfen erwartet. Bereits 2012 schrumpften die deutschen Exporte in die Euro-Zone um 2,1 Prozent. (In den Rest der EU stiegen sie um 3,3 Prozent, in den Rest der Welt um 8,8 Prozent).
Auch außerhalb der Euro-Zone gibt es Probleme. In Großbritannien wuchs die Wirtschaft im III. Quartal nur wegen der Olympischen Spiele, im IV. ging sie um 0,3 Prozent zurück. Und auch in den USA schrumpfte die Wirtschaft im IV. Quartal mit einer „Jahresrate“ (das heißt auf ein Jahr hochgerechnet) von 0,1 Prozent. Und bei aller Euphorie: Die Bundesregierung rechnet für 2013 nur mit einem mickrigen Wachstum von 0,4 Prozent. Kein Vergleich zu dem Wirtschaftswachstum von drei Prozent im Jahre 2011!
Und alle naselang drohen Ereignisse, die den Heißluftballon zum Absturz bringen können. Wenn diese Zeilen erscheinen, wissen wir, ob bei den Wahlen in Italien aus Sicht des Kapitals stabile Verhältnisse herausgekommen sind und ob die USA die zweite Haushaltsklippe am 1. März umschifft haben. Aber selbst falls das glatt gegangen sein wird: zum Beispiel die Schuldenkrise in Zypern, die Möglichkeit einer linken Regierung in Griechenland, die Gefahr, dass Frankreich in den Teufelskreis von Kürzungspolitik und Wirtschaftsdepression gerät, sind mögliche Ursachen für neue Panikattacken auf den Finanzmärkten und eine Rückkehr der Euro-Krise, die einer deutschen Konjunktur ein jähes Ende bereiten können.
Wenn die Politiker trotzdem auf das billige Geld der Zentralbanken und die heiße Luft der Finanzmärkte setzen, zeigt das die verzweifelte Lage des Kapitalismus.