Gedanken zur Wahl Jorge Mario Bergoglios
Die Wahl des neuen Oberhauptes der katholischen Kirche, hat zu vielen Diskussionen geführt. Was ist von dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio, der sich nun Franziskus I. nennt, an der Spitze zu erwarten?
von Torsten Sting, Rostock
Im Zusammenhang mit der Wahl des neuen Pontifex, gibt es zunächst einige interessante, historische Aspekte. Zum ersten Mal seit über 1272 Jahren wurde ein Nichteuropäer bestimmt. Mit dem bisherigen Kardinal von Buenos Aires, bestieg ein Kirchenmann aus Lateinamerika den Thron, eine Premiere. Er ist der erste Jesuit (katholischer Orden) und der erste Papst, der sich Franziskus nennt. Im Zuge seiner Wahl, „Präsentation“ und den ersten Tagen danach, brach der neue Papst mit einigen der vielen verstaubten Ritualen des Vatikan, was ihm die Sympathie der Gläubigen und einer breiteren Öffentlichkeit einbrachte.
Krise der Kirche
Franziskus tritt sein Amt zu einem Zeitpunkt an, wo sich der Katholizismus in einer tiefen Krise befindet. Massive Austritte und schwindender Einfluss in Europa. In vielen Ländern rund um den Globus ist die Kirche mit Skandalen um Kindesmissbrauch durch Priester konfrontiert, der häufig genug von den Bischöfen gedeckelt wird. Dies hat dem Ansehen der immer noch größten Religionsgemeinschaft der Welt erheblich geschadet. Der Vatikan, das Zentrum der Macht, wurde von einem einzigartigen Fall von Verrat erschüttert: „Vatileaks“. Zudem halten sich hartnäckige Gerüchte, dass die Bank des Ministaates in Geldwäsche verstrickt sein soll. Vor diesem Hintergrund muss die Wahl des neuen Papstes gesehen werden.
Wer ist der Neue?
Die bürgerlichen Medien überschlugen sich geradezu, in Bergoglio einen Helden der Entrechteten zu sehen (z.T. dieselben Leute die jeden Tag Sozialabbau fordern) und wiederholten immer wieder, dass er als „Kardinal der Armen“ in seiner Heimat gelte. Sein bescheidener Lebensstil wurde betont und dass er gar nach seiner Wahl zum Papst auf die Fahrt mit dem Dienst-Mercedes verzichtet habe. Linke Kritiker verweisen auf die problematische Vergangenheit des Oberhirten. Seine Rolle bei der Inhaftierung von zwei Jesuiten zu Zeiten der Militärdiktatur ist bis heute ungeklärt und ihm wird vorgeworfen, die Nähe zum Regime gesucht zu haben.
Motive der Wahl
Mit der Wahl eines Lateinamerikaners, hat sich jener Teil der Kirchenführung durchgesetzt, der ein Stückweit veränderten Gegebenheiten Rechnung tragen will. Zum einen der Tatsache, dass der Einfluss des alten Kontinents im Schwinden begriffen ist. 500 Millionen der etwa 1,2 Milliarden Katholiken wohnen im südlichen und mittleren Amerika. Zwar machen sich hier freikirchliche Sekten breit, aber noch immer bekennen sich achtzig Prozent der BewohnerInnen zum katholischen Glauben. Dies drückt also eine gewisse Machtverschiebung innerhalb der Kirche aus. Des weiteren soll mit einem Papst, der mehr als sein deutscher Vorgänger, auf die soziale Frage eingehen will, ein anderer Akzent gesetzt werden. Dies hat er mit der Wahl seines Namens unterstrichen. Franz von Assisi der als heiliger Franziskus, zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Christentums zählt, war ein Befürworter der „armen Kirche“ und hat sich für die Mittellosen eingesetzt. Der Orden, der sich nach ihm benannte, hat zumindest in der Anfangszeit seines Schaffens die Privilegien der Kirche kritisiert und ein Leben in Bescheidenheit geführt. Die Orientierung an Franziskus hat sicher mit der Prägung des neuen Papstes zu tun. Angesichts der nach wie vor großen Armut in Lateinamerika, muss sich die dortige Kirche anders präsentieren, wollen die „Hirten“ nicht den Kontakt zu ihren „Schäfchen“ und somit an Macht verlieren. Deshalb kommt der neue Papst „sozialer“ und „bescheidener“ daher, in scheinbarem Gegensatz zur europäischen Amtskirche. Mit der Wahl von Bergoglio soll der Verfall der Organisation Kirche durch ein sozialeres Profil gestoppt werden, zudem wird dadurch von den vielen Skandalen abgelenkt.
Neuer Kurs?
Aber wird sich in dieser uralten und stockreaktionären Kirche wirklich etwas ändern, indem eine Person ausgetauscht wird? Einige Beobachter trauen dem neuen Pontifex wahre Wunder zu. Die Geschichte lehrt, dass einzelnen Personen immer wieder eine überragende Rolle bei Veränderungen zukam. Aber dies war nur im Zusammenhang mit wichtigen gesellschaftlichen Bewegungen möglich. Lenin hat eine herausragende Rolle in der russischen Revolution gespielt, die niemand anderes hätte so spielen können. Aber ohne die Massenbewegungen und ohne eine Partei die er maßgeblich prägte, wäre dies nicht möglich gewesen.
Eine Veränderung der katholischen Kirche hat es in den 1970er und 80er Jahren in Lateinamerika gegeben. Damals gab es in vielen Ländern linke Massenbewegungen die den Kapitalismus beseitigen wollten. Unter diesem Druck radikalisierten sich Basisvertreter der Kirche und es entstand die „Befreiungstheologie“ die sich z.T. sogar auf den Marxismus berief. Anhänger dieser Lehre kämpften gegen die Diktaturen in El Salvador, Honduras und anderswo, gerieten in Konflikt mit der Kurie in Rom, wurden ihrer Ämter enthoben (z.B. Leonardo Boff) oder aus der Kirche ausgeschlossen. Dennoch blieb die Kontrolle der Kirche bei den alten Herren, die mit den Herrschenden kungelten.
Der grundlegende Charakter des Katholizismus ist und bleibt jedoch gleich, egal auf welchem Kontinent. Die Kirchenführung ist aller Pseudokapitalismuskritik, tief in diesem System verankert und fürchtet nichts so sehr, wie eigenständige Bewegungen von Armen und ausgebeuteten Menschen, die ihre Geschicke in die eigene Hand nehmen und alles Bestehende einer grundlegenden Kritik unterziehen.
Der neue Papst mag durchaus als Person bescheidener sein und das eine oder andere Privileg der Kirchenbonzen in Frage stellen oder gar abschaffen. Bei allen Streitpunkten die es in der Kirche gibt, hat er jedoch nie einen Zweifel daran gelassen, dass er auf einer Linie mit seinen erzkonservativen Vorgängern ist. Er lehnt Änderungen bei der Haltung zu Homosexualität ebenso ab, wie bei Fragen der Sexualmoral oder der Frauengleichstellung. Letztlich hat er die gleichen Interessen wie jene Kardinäle, die ihn nicht gewählt haben: Den Platz der katholischen Kirche an der Seite der Reichen und Mächtigen zu sichern. Er wird wahrscheinlich einen anderen Stil pflegen und schönere Worte in den Mund nehmen, ohne dass sich allerdings etwas Grundlegendes ändern wird.
Haltung von SozialistInnen
Natürlich ist es gut, wenn Menschen die sich als gläubige KatholikInnen sehen, durch die Wahl des neuen Papstes ermutigt sehen, für fortschrittliche Ziele zu streiten: Gleiche Rechte für Frauen und Homosexuelle, gegen die Heuchelei des Zölibats und den Abbau von Privilegien der Kirche, mehr Demokratie in der ältesten Diktatur der Welt, „Hinwendung“ zu den Armen usw. Dies sind Anliegen, die auch die Unterstützung von MarxistInnen bekommen und wo es gar eine punktuelle Zusammenarbeit geben kann. Seit jeher haben SozialistInnen nicht die einfachen Gläubigen als ihre Gegner angesehen. Stattdessen sollten die Vertreter der Institution Kirche politisch bekämpft werden, die Menschen davon abhalten wollen, aktiv für die eigenen Interessen im Diesseits zu kämpfen, indem sie sie aufs vermeintliche Paradies im Jenseits vertrösten und gleichzeitig für das Diesseits Vorstellungen des finsteren Mittelalters propagieren.