Auswirkungen der Landtagswahl vom 20. Januar
Die Wahl zum niedersächsischen Landesparlament am 20. Januar 2013 wurde als richtungsweisend für die Bundestagswahl verstanden. Das Ergebnis lässt vor allem eine Schlussfolgerung zu: (fast) Alles ist möglich!
Von Sascha Stanicic
Trotz Regierungswechsel und Überraschungserfolg der FDP, bleibt Wesentliches beim Alten: stärkste „Partei“ sind auch in Niedersachsen die NichtwählerInnen. Die Wahlbeteiligung von 59,4 Prozent war die zweitniedrigste in der Geschichte des Bundeslandes und lag nur 2,3 Prozent höher als 2008. Damit spiegelt die knappe (nur ein Sitz) parlamentarische Mehrheit für SPD und Grüne eine gesellschaftliche Minderheit wider. Niedersachsen wird weiterhin, wie mittlerweile fast alle Bundesländer, von einer Minderheitsregierung geführt – die nur etwas mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten repräsentiert.
Versieger FDP
Mit 9,9 Prozent für die FDP hatte wohl niemand gerechnet. Doch nur neun Prozent der FDP-WählerInnen gaben in Umfragen an, dass die „kleine Partei des großen Kapitals“ tatsächlich ihre erste Wahl sei. Für 80 Prozent ist das die CDU. Das Bürgertum hat einmal mehr unter Beweis gestellt, wie sehr es die arbeitnehmerfeindlichen Marktradikalen um Rösler und Brüderle zu schätzen weiß und eine Leihstimmenkampagne organisiert, die erfolgreicher war, als erwartet. Im Wahlkampf traten FDP-Kandidaten sogar auf CDU-Kundgebungen auf, um zu vermitteln, dass ohne den Einzug der Liberalen ins Parlament keine Chance auf eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition besteht. Dass es dazu letztlich doch nicht reichte, macht die FDP zum Sieger und Verlierer des Wahltags.
CDU und SPD
Auch wenn sich die CDU mit einer „Aufholjagd“ im Wahlkampf brüstet (vor einigen Monaten lagen SPD und Grüne noch deutlich vor schwarz-gelb), seit 2009 hat die im Bund regierende liberal-konservative Koalition alle Landtagswahlen verloren – und nun auch die so genannte Gestaltungs- bzw. Blockade-Mehrheit im Bundesrat an SPD und Grüne. Für die CDU muss besonders besorgniserregend sein, dass sie in den Städten immer weiter schrumpft und dort offensichtlich verstärkt an die Grünen verliert. Die SPD jubelt über einen Regierungswechsel, der auf dem zweitschlechtesten Ergebnis der Partei bei niedersächsischen Landtagswahlen basiert und der nicht wegen, sondern trotz ihres Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Peer Steinbrück, erzielt wurde. Die Erosion der Wählerbasis der beiden großen Parteien schreitet fort und vergrößert so die politische Instabilität im Land. Das gilt trotz der relativ hohen Popularitätswerte für Merkel und der guten Umfrageergebnisse für die CDU auf Bundesebene. Diese sind in erster Linie Folge der Illusion, Merkel könne die Euro-Krise von Deutschland fern halten. Ob diese bis zu den Bundestagswahlen aufrecht erhalten werden kann, hängt aber weniger von der Bundesregierung, als von ökonomischen und sozialen Entwicklungen ab, die außerhalb der Macht einer Bundeskanzlerin liegen.
Piraten abgesoffen
Die Piraten erreichten das Ergebnis, das sie in Niedersachsen bei den Bundestagswahlen 2009 erzielt hatten. Vieles spricht dafür, dass diese Wahl das Ende des Aufschwungs der Partei markiert. Während sie für eine Zeit lang mit ihrem Image als frisch, unverbraucht, demokratisch und transparent die weitverbreitete Proteststimmung mobilisieren konnten, scheint sich bei vielen Menschen die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass die Piraten mehr Schein als Sein sind – inhaltlich marktliberal und angepasst, praktisch nicht durchsetzungsfähig. Ihr Image hat sich von „erfrischend anders“ eher zu „langsam wird’s peinlich“ geändert.
LINKE
DIE LINKE hat 130.000 WählerInnen verloren und ist aus dem Landtag geflogen. Das Ende der öffentlich ausgetragenen Flügelkämpfe und die neue Parteispitze von Katja Kipping und Bernd Riexinger haben offensichtlich keine automatischen Auswirkungen auf die Wahlergebnisse. Die Partei erlitt Schiffbruch mit ihrer offensiven Strategie, sich als Koalitionspartner für SPD und Grüne anzudienen, anstatt darauf zu setzen, sich als kämpferische Anti-Establishment-Partei und Systemopposition zu präsentieren, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in den sozialen und gewerkschaftlichen Kämpfen und nicht im Parlamentssumpf sieht. Die Anbiederung an SPD und Grüne führt nur dazu, dass manche WählerInnen dann lieber das Original statt der Kopie wählen und andere, die sich von dem Parteieneinheitsbrei schon lange verbittert abgewendet haben, zu Hause bleiben. Vor allem aber wird die eigene Mitgliedschaft nicht auf Basis der eigenen Positionen und Stärken mobilisiert. Ergebnis: weniger WählerInnen UND geschwächte Parteistrukturen. Hier ist dem Mitglied des Bundessprecherrats der Antikapitalistischen Linken (AKL), This Gleiss, zuzustimmen: „Hätten wir mit unseren radikalsten Positionen aus dem Erfurter Programm Wahlkampf gemacht, wären wir garantiert nicht bei weniger Stimmen gelandet. Diese ganzen Verrenkungen, uns parteipolitisch kompatibel zu machen, bringen nichts. Außer, dass wir damit innerparteilich in punkto Selbstbewusstsein verheerende Schäden anrichten.“ (aus Interview in junge Welt vom 22.1.2013)
Folgen für die Bundestagswahlen
Für den Ausgang der Bundestagswahlen bedeutet das niedersächsische Ergebnis, dass alles offen ist. Man kann höchstens daraus ableiten, dass ein Einzug der Piraten unwahrscheinlicher und ein solcher der FDP wahrscheinlicher geworden ist.
DIE LINKE hat alle Chancen in den Bundestag einzuziehen. Wenn sie aus dem Desaster in Niedersachsen die richtigen Schlussfolgerungen zieht – und die Äußerungen des Landesvorsitzenden Manfred Sohn lassen zumindest darauf hoffen, dass einige Teile der Partei bereit sind die gescheiterte Strategie zu hinterfragen –, kann sie wieder als starke linke Opposition in den Bundestag einziehen.
Bei den Grünen ist wenige Tage nach der Wahl die Debatte ausgebrochen, ob man sich die Option einer Koalition mit der CDU offen halten oder eine solche ausschließen soll. Das weist zumindest darauf hin, dass es aus Sicht des Bürgertums zu einer Notwendigkeit wird, diese Option als Alternative zu einer Großen Koalition zu haben. Denn mit einer starken Linksfraktion im Bundestag könnte es tatsächlich weder für schwarz-gelb, noch für rot-grün reichen. Doch: erstens ist das alles andere als sicher und zweitens scheinen die Grünen noch nicht so weit zu sein und muss die eigene Parteibasis wahrscheinlich erst einmal in schwarz-grünen Landesregierungen an eine Zusammenarbeit mit der Merkel-Partei gewöhnt werden. Mit ihren SpitzenkandidatInnen haben alle etablierten Parteien zwar signalisiert, dass sie grundsätzlich bereit sind untereinander in den verschiedenen möglichen Varianten zu koalieren, aber sollte es weder für rot-grün noch für schwarz-gelb reichen, ist eine Große Koalition vom jetzigen Blickwinkel her die wahrscheinlichste Variante. Eine Variante, die der LINKEN die Möglichkeit eröffnen sollte, sich als kämpferische und antikapitalistische Opposition – nicht zuletzt gegen eine sich dann wieder in der Bundesregierung befindenden SPD – zu profilieren und an Stärke zu gewinnen.
Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln.