Der Kapitalismus kann der Umwelt nicht gerecht werden
von Jess Spear, „Socialist Alternative“ (US-amerikanische UnterstützerInnen des CWI, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Im vergangenen September wurde die geringste Eismenge im arktischen Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen vor 33 Jahren gemessen. ExpertInnen des Klimawandels warnen davor, dass die Arktis bis zum Jahr 2020 eisfrei sein könnte – 30 Jahre früher als die letzte Schätzung aus dem Jahr 2007 vorausgesagt hat. Ein völliger Rückgang des Sommereises hätte verheerende Folgen nicht nur für das fragile Ökosystem Arktis sondern für die gesamte Population der Erde.
Das Abschmelzen der Eiskappe am Nordpol, das demnach fast 50 Jahre früher als bisher vorausgesagt eintritt, weist darauf hin, dass wir wesentlich näher als bisher angenommen an dem Punkt sind, an dem es kein Zurück mehr gibt. Und wir haben weniger Zeit zu handeln, als wir vor einigen Jahren noch dachten. Wenn wir die globale Erderwärmung ernsthaft in den Griff bekommen wollen, dann müssen wir gegen die Logik angehen, mit der wir überhaupt erst in diese Lage gekommen sind. Es geht um den Kapitalismus und dem ihm innewohnenden Drang nach Profit auf Kosten der menschlichen Existenz und der Umwelt, von der wir abhängen.
Doppelt so hohe Werte wie bisher erwartet
Die globale Erderwärmung, die von Menschenhand gemacht ist, hat bereits zur Aufheizung des gesamten Planeten um fast 1,5 Grad Fahrenheit geführt. Dabei muss allerdings festgestellt werden, dass die Erwärmung nicht an jedem Ort gleich von Statten geht.
Überproportional stark betroffen sind so sensible Regionen wie die Arktis, wo die durchschnittliche Lufttemperatur zwei Mal so schnell angestiegen ist wie im globalen Durchschnitt. Das zurückgehende Meereseis legt den farblich dunkleren Meeresspiegel frei, der weit mehr Sonnenlicht absorbiert als das reflektierende Eis. Das trägt zur weiteren Destabilisierung unseres Klimasystems bei.
„Was geschieht in der Arktis, wenn die Arktis keine mehr ist?“
Nicht nur für Eisbären ist wegschmelzendes Seeeis ein Problem. Zurückgehende Eisflächen haben auch Einfluss zum Beispiel auf die Lebensmittelproduktion (vgl.: „Washington Post“, 14/1/2012), den Anstieg des Meeresspiegels (vgl.: „New York Times“, 19/9/2012) und die Wahrscheinlichkeit extremer Wetterereignisse. Extreme Wetterereignisse wie der Hurrikan „Sandy“, der letzten Oktober auf die Ostküste der USA niederging, werden den Voraussagen zufolge wesentlich häufiger vorkommen, da vom Nordpolarmeer mehr Energie absorbiert wird (vgl.: „NOAA News“, 19/10/2012).
Die Lösung
Was eigentlich ein Alarmsignal sein müsste, hat im Gegenteil nun dazu geführt, dass ein Wettrennen um noch mehr fossile Brennstoffe im nun eisfrei gewordenen Gebiet der Arktis begonnen hat (vgl. den entsprechenden Artikel in der Zeitung der „Socialist Alternative“, „Justice“, Ausgabe 84).
Das unerbittliche Streben des Kapitalismus nach immer mehr Profiten und ökonomischer Expansion findet auf Kosten menschlichen Lebens und eines nachhaltigen Umweltschutzes statt. Die Gallionsfiguren des Kapitalismus erzählen uns, wie dürften nicht auf Kosten des wirtschaftlichen Wachstums handeln. Wir hingegen müssen diesen vollkommen verkehrten Zwiespalt ablehnen und darin das erkennen, was er ist: eine zum Himmel schreiende Anklage des ökonomischen Systems des Kapitalismus. Wenn der Kapitalismus nicht in der Lage ist, Maßnahmen gegen die größte Bedrohung der menschlichen Zivilisation zu ergreifen, dann handelt es sich ganz offenbar um ein System, dass nicht in der Lage ist, den Bedürfnissen der Menschheit gerecht zu werden. Dann muss es abgeschafft und durch ein System ersetzt werden, das diesen Ansprüchen genügt.
Der Fehler einiger UmweltaktivistInnen besteht derzeit darin, die eigenen Forderungen einzudämmen und sie den Möglichkeiten des kapitalistischen Systems anzupassen. Alle vorgebrachten Lösungsvorschläge (Emissionrechtehandel, CO2-Steuer, Ökonomisierung von Boden, Luft und Bäumen, um den Anreiz zu schaffen, richtige Entscheidungen zu treffen) haben in der Praxis zu absolut gar nichts geführt. Das einzige, was man vorweisen kann, ist, dass man 30 Jahre lang vom Hölzchen aufs Stöckchen sowie der Klimakatastrophe 30 Jahre näher gekommen ist.
Wie man diesen Wahnsinn stoppen kann, lässt sich in den Geschichtsbücher nachlesen. Massenbewegungen sind immer die Kraft gewesen, die für Fortschritt sorgen konnten. Alle großen Bewegungen der vergangenen Jahrhunderte – die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenbewegung, die Arbeiterbewegung, die Bewegung für die Gleichstellung Homosexueller und die Umweltbewegung – sie alle haben massenweise Menschen zusammengebracht und verschiedene Kämpfe miteinander verbunden.
Wir müssen den groben Fehler, die Umweltthemen den Arbeitsplätzen gegenüber zu stellen, kritisieren und zurückweisen. Stattdessen müssen wir die Kämpfe für eine nachhaltige Umweltpolitik mit der Forderung nach Schaffung von Arbeitsplätzen verbinden. Eine Kombination aus den Forderungen der Arbeiterbewegung mit dem Wissen darüber, was nötig ist, um unseren ökologischen Fußabdruck zu verkleinern, könnte zu einer Bewegung führen, die mächtig genug ist, um dieses System ernsthaft herauszufordern. Der Ruf nach einem grünen Programm zur Schaffung von Arbeitsplätzen, um Millionen von Menschen wieder in Lohn und Brot zu bringen und unsere Infrastruktur umzurüsten, würde den Forderungen sowohl der Arbeiterbewegung als auch der Umweltbewegung gerecht werden. Wenn wir es ernst meinen, die globale Erwärmung wirklich stoppen und die schon spürbaren Folgen abmildern wollen, dann sollten wir unsere Anstrengungen auf den Aufbau einer solchen Allianz ausrichten.