Oberste Richter kippen „Reichensteuer“
Der französische Verfassungsrat hat die sogenannte „Reichensteuer“ von Präsident Hollande vorerst gestoppt. Formelle Gründe werden vorgeschoben, in Wirklichkeit handelt es sich dabei um einen grundlegenden Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse.
von Torsten Sting, Rostock
Die Pläne sehen vor, dass Vermögende ab einem Jahreseinkommen von mehr als einer Million Euro, mit 75 Prozent besteuert werden sollen. Das oberste Gericht des Landes wirft der sozialdemokratischen Regierung vor, gegen das „Gleichheitsprinzip“ zu verstoßen. Eine Familie mit Doppelverdienern, die beide etwas weniger als eine Million Euro verdienen, zahlen demnach nicht die maximale Steuerlast. Wenn es hingegen nur einen Verdiener in der Familie gibt, wird der Satz von 75 Prozent zugrunde gelegt.
Wut der Reichen
Das Vorhaben der Regierung, Millionäre höher zu besteuern hat bzgl. der finanziellen Auswirkungen eher symbolische Bedeutung. Demnach wären nur etwa 1.500 Personen betroffen, die Einnahmen des Staates hätten sich auf 210 Millionen Euro belaufen. (FAZ, 31.12.12) Zudem sollte die Steuer auf zwei Jahre begrenzt und ein Beitrag der Reichen zur Haushaltssanierung sein. Dennoch brachten die Pläne der Hollande-Regierung die Konzerne und Gutbetuchten auf die Barrikaden. So feuerte der Wahl-Pariser Karl Lagerfeld, seine Zeichens „Kreativchef“ des Modehauses Chanel eine volle Breitseite gegen die Sozialdemokraten ab. „Hollande hasst die Reichen. Er will sie bestrafen, und klar, sie gehen und keiner investiert mehr.“ (Spiegel Online, 20.10.12)
Gesagt, getan. Kurz nach Bekanntgabe des Gesetzes, machten Meldungen die Runde, dass nervöse Kapitalisten Teile ihres Vermögens gen London transferiert hätten, wo es geringer besteuert wird. Der Schauspieler Gérard Depardieu, verließ mit Pauken und Trompeten Frankreich und siedelte sich in Belgien an.
Schaut man sich die reinen Fakten und die entsprechenden Reaktionen an, drängt sich der Verdacht auf, dass es hier nicht nur um eine Steuer geht.
Wirtschaft in der Krise
Das französische Kapital befindet sich in einer ungemütlichen Situation. Die Wirtschaft lahmt seit Jahren, die Arbeitslosigkeit hat den Rekordstand von knapp elf Prozent erreicht, soziale Konflikte häufen sich. Stahlhütten des Mittal Konzerns stehen vor der Schließung, der zweitgrößte Autokonzern Europas, PSA (Peugeot und Citroen), ist ins Trudeln geraten und baut Tausende Arbeitsplätze ab, Renault hat in den letzten Jahren massiv Produktionskapazitäten in andere Länder verlagert. Damit wird der Trend hin zur Deindustrialisierung verstärkt. Das verarbeitende Gewerbe steuert nur noch etwa zehn Prozent zur gesamten Wirtschaftsleistung bei. Dieser traurige Wert ähnelt dem von Großbritannien, das lange Negativrekordhalter in dieser Hinsicht war. Demgegenüber ist der Anteil der Industrie in Deutschland wieder gestiegen.
Die im internationalen Wettbewerb an Boden verlierenden Konzerne, verlangen vor diesem Hintergrund nach den gängigen „Reformen“. In der Tat hinkt Frankreich – aus Sicht der Kapitals – im Vergleich zu wichtigen Konkurrenten wie Deutschland hinterher. Schröders Agenda 2010 hat nicht nur auf staatlicher Ebene zu massiven Kostensenkungen für die Unternehmer geführt. Die Ausweitung von Leiharbeit etc. hat die Gewerkschaften weiter geschwächt und die Konzerne ermutigt ihre betriebsinternen Angriffe auf die Arbeitsbedingungen durchzuführen.
Frankreichs Bossen ist dieser „Befreiungsschlag“ bis heute nicht gelungen. Immer wieder gab es Pläne in diese Richtung. Durch den massiven Widerstand der Arbeiterbewegung, gelangen allenfalls kleinere Erfolge, der Durchbruch erfolgte jedoch nicht.
In welche Richtung?
Hollande wird nicht müde zu betonen, dass es ihm auch darum gehe, die „Wettbewerbsfähigkeit“ der Wirtschaft zu stärken und die Schuldenlast zu reduzieren. Ähnlich wie Obama, haben die französischen Sozialdemokraten aber Angst, die Nachfrage durch Kürzungen weiter zu strangulieren und wie in den südeuropäischen Krisenländern damit die Talfahrt zu forcieren. Die Bilder von den Massenprotesten gerade im vergangenen Jahr, tragen sicher zu diesem vorsichtigen Kurs bei. Die höhere Besteuerung von einem kleinen Teil der Vermögenden, soll der Bevölkerungsmehrheit vorgaukeln, dass auch die „starken Schultern Opfer bringen müssen“. Dies soll die Wut auf die Oberen Zehntausend dämpfen.
Die französische Regierung sieht sich aber auch einer kämpferischen Arbeiterbewegung gegenüber. Die Pläne der Konzerne werden nicht widerstandslos hingenommen. Pläne zu Werksschließungen werden mit Forderungen nach Verstaatlichung gekontert. Zudem haben die Beschäftigten die Versprechungen von Hollande nicht vergessen, die Reichen höher zu besteuern. Dies war ein wichtiger Aspekt, weshalb er gewählt wurde.
Das neue Jahr wird wichtige Klassenkämpfe hervorbringen und deren Verlauf wird zur Klärung beitragen, in welche Richtung sich Frankreich entwickelt.
Grundsätzliches
Welche Schlussfolgerungen können für die Linke in Deutschland aus der Entwicklung in Frankreich gezogen werden? Zum einen, dass Gerichte nicht „neutral“ sind und nicht sein können, in einer Klassengesellschaft. Dieses Urteil kommt nicht vom Himmel, sondern widerspiegelt Konflikte und Kämpfe in der Gesellschaft. Das Vertrauen, welches Viele in der Führung der Partei DIE LINKE dem Bundesverfassungsgericht entgegen bringen, sollte vor dem oben geschilderten Hintergrund, kritisch hinterfragt werden.
Des weiteren zeigt das Urteil die engen Grenzen für Reformen (im Sinne von Verbesserungen für die Bevölkerungsmehrheit) im heutigen, krisengeschüttelten Kapitalismus auf. Solche können in der Regel nur durch Massenbewegungen erkämpft werden und bei nächster Gelegenheit würde das Kapital versuchen, sie wieder rückgängig zu machen. Umfassende Maßnahmen einer linken Regierung, um die Banken und Konzerne zur Kasse zu bitten, würden auf den erbitterten Widerstand der Kapitalistenklasse stoßen. Auch hier bietet Frankreich eine wichtige historische Erfahrung: die Mitterand-Regierung aus dem Jahr 1981, die mit einem weitgehenden linken Reformprogramm angetreten war und binnen eines Jahres durch Kapitalflucht und Investitionsstreik der französischen Konzerne zu einer politischen Kehrtwende gezwungen wurde. Denn letztlich machen dauerhafte und tiefgreifende Verbesserungen im Interesse der Bevölkerungsmehrheit eine Entmachtung der wirtschaftlichen Eliten und einen Bruch mit dem kapitalistischen System nötig.