Rezension von Zeises neuem Buch Euroland wird abgebrannt
In seinem neuen Buch Euroland wird abgebrannt Profiteure, Opfer, Alternativen (PapyRossa-Verlag, 142 Seiten) analysiert Lucas Zeise die aktuelle Wirtschaftskrise und ihre Auswirkungen auf den Euro. Lucas Zeise ist Finanzjournalist und hat unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium und die Financial Times Deutschland gearbeitet.
von Lorenz Blume, Kassel
Die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise bezeichnet er als eine normale Überproduktionskrise, wie sie für den Kapitalismus typisch ist (Seite 14), in ihrer Ausprägung vergleichbar mit der Weltwirtschaftsdepression von 1929-32. Er stellt sich weniger die Frage, wie es zu dieser Krise kommen konnte, sondern vielmehr, warum es so lange gedauert hat bis zu ihrem Ausbruch (Seite 18). Als krisenverzögernde Faktoren nennt er drei Entwicklungen der letzten 30 Jahre: die technologische Revolution der Mikroelektronik und Informationstechnik, die Niederlage der Ostblock-Staaten sowie die neoliberale Deregulierung des Finanzsektors.
Anstieg der Staatsschulden: Wie es dazu kam
Während die beiden erstgenannten Entwicklungen nur kurz angerissen werden, beschäftigt sich das Buch in Folge intensiv mit dem aufgeblähten Finanzsektor und seinen Auswirkungen. Die Argumentationsfigur ist die Folgende: Der Anteil der Einkommen aus abhängiger Beschäftigung ist in der Periode des Neoliberalismus in allen entwickelten kapitalistischen Ländern zurückgegangen mit der Folge drohender Unterkonsumption (das heißt des Mangels an kaufkräftiger Endnachfrage). Durch einen aufgeblähten Finanzsektor und Spekulationsblasen wird die Tendenz des neoliberalen Wirtschaftsmodells zu Stagnation und Unterkonsumption überspielt (Seite 27), die Krise verschiebt sich in die Zukunft, ohne dadurch weniger zwangsläufig zu werden. Der Zusammenbruch der weltweit viertgrößten Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 ist für Lucas Zeise deshalb auch Symptom und nicht Ursache der Krise: Nicht Lehman Brothers war für die reale Wirtschaft des Globus wichtig, sondern der US-Bürger als Käufer von Waren aus aller Welt (Seite 32).
In Folge der seit 2008 unvermindert anhaltenden Überproduktionskrise begannen die kapitalistischen Staaten einerseits Konjunkturprogramme aufzulegen (in Europa bis 2009 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU-Staaten) und andererseits direkt in den Bankensektor einzugreifen (in Deutschland mit allein 120 Milliarden Euro für die Hypo Real Estate und die Commerzbank). Der Anstieg der Staatsverschuldung in fast allen OECD-Ländern ist die logische Konsequenz.
Anstieg der Staatsschulden: Besonderheiten im Euro-Raum
Ab dem fünften Kapitel stellt das Buch die Frage in den Mittelpunkt, weshalb sich die steigende Staatsverschuldung in der Europäischen Union (anders als in anderen OECD-Staaten) zu einer gravierenden Krise einiger Staatshaushalte ausweiten konnte. Lucas Zeise macht dafür die besondere er nennt es neoliberale Konstruktion des Euro verantwortlich, die schwachen Volkswirtschaften die Möglichkeit nimmt, ihre Währung abzuwerten ohne zugleich einen europäischen Föderalstaat zu schaffen, der eine ausgleichende Finanz- und Wirtschaftspolitik betreibt. Für die schwachen Volkswirtschaften ergibt sich so die schlechteste aller Welten und die leistungsstarken deutschen, niederländischen, zum Teil auch französischen und norditalienischen Kapitalisten profitierten von der Währungsunion (Seite 66).
Die positiven ökonomischen Effekte des gemeinsamen Binnenmarkts für die schwachen Volkswirtschaften, Produktionsverlagerungen aus den Hochlohnländern und ein besserer Zugang zu den Kapitalmärkten, sind in der gegenwärtigen Krise kaum noch merklich. Der Anstieg der Verschuldungsquoten im Mittel der EU-Staaten auf annähernd 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ließ in den schwächeren Volkswirtschaften die Zinsen für Staatsanleihen explodieren mit der Konsequenz des drohenden Staatsbankrotts.
Im Fazit hält Lucas Zeise ein Auseinanderbrechen des Euro in seiner gegenwärtigen Verfassung für wahrscheinlich, für die aus Zeises Sicht in einer Währungsunion im Prinzip sinnvollen Euro-Bonds sei es aufgrund der enormen Zinsschere inzwischen viel zu spät.
Informativ, lesenswert, diskussionswürdig
Das Buch ist kurzweilig, faktenreich (mit erläuternden Exkursen zu Rating-Agenturen, Credit Default Swaps und Euro-Bonds) und im großen Bogen der Argumentation nachvollziehbar. Über die theoretischen Untiefen (starke Betonung der Unterkonsumptionsfrage und der singulären Rolle der Finanzmärkte) und die lauwarmen Politikempfehlungen im abschließenden siebten Kapitel (Angleichung der Steuer- und Sozialsysteme, Aufbau einer zentralen EU-Regierung) lässt sich dagegen trefflich streiten