Für einen 48 stündigen Generalstreik als nächsten Schritt, um die Regierung zu stürzen und ihre Politik zu stoppen.
Ein Bericht von „Socialismo Revolucionario“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Spanien)
Am Samstag, dem 15. September, zogen ArbeiterInnen aus dem gesamten spanischen Staatsgebiet in Richtung der Hauptstadt Madrid, um gegen die massiven Kürzungen im öffentlichen Sektor zu protestieren, die die rechts-konservative Regierung der „Partido Popular“ (PP) durchführt. Dieser Marsch steht für den Beginn der Bewegung gegen die „Austerität“ (sprich: Kürzungsprogramme), die dieses Jahr für einen heißen Herbst sorgen will. Die Kürzungen wurden von den Großbanken und der EU ausgearbeitet und sind von der zunehmend unbeliebter werdenden Regierung unter Mariano Rajoy durchgewunken worden. Die Mehrzahl der spanischen Gewerkschaften, UGT und CCOO, bezeichneten die Demonstration als Anfang einer Kampagne, mit der die Regierung gezwungen werden soll, ein Referendum über ihre Kürzungsvorhaben durchzuführen. Mehr als 200 andere Organisationen traten als Unterstützter dieses Marsches auf. Zu sehen, wie die zehn Einzeldemonstrationen im Zentrum von Madrid zusammenkamen, gab ein grandioses Bild. In jedem einzelnen der Züge trugen die TeilnehmerInnen jeweils unterschiedliche T-Shirts: Die Gewerkschaften und IndustriearbeiterInnen hatten rote an, die KollegInnen aus dem Gesundheitsbereich weiße, die Frauenrechtsgruppen violette, so dass fast alle Farben des Regenbogens vertreten waren.
Da die einzelnen Züge nur im Schneckentempo voran kamen, war es fast unmöglich, bis ans Ende des gesamten Zuges am Plaza Colon zu gelangen. Ganze Teile der Demonstration mussten den Platz verlassen, damit Nachrückende die Möglichkeit bekamen, auch an der Endkundgebung teilzunehmen. Geradezu lachhaft war, dass die Regionalregierung von Madrid von 65.000 ArbeiterInnen sprach, die an der Großdemonstration teilgenommen hätten. Die spanische Tageszeitung „El Pais“ und andere ernstzunehmende Zeitungen gingen indes von „Hunderttausenden“ aus. Die Gewerkschaften schätzten hingegen, dass eine halbe Million bis zu einer Million Menschen teilgenommen haben.
Abgesehen von unterschiedlichen Schätzungen über die Teilnehmerzahl liegt die wahre Bedeutung des „Marsches auf Madrid“ darin, dass die organisierte Arbeiterklasse endlich die Bühne betreten hat. CCOO und UGT hatten bereits im vergangenen März einen 24 Stunden langen Generalstreik organisiert, den die Regierung zu ignorieren versucht hatte. Leider legten die Gewerkschaftsführer damals nicht nach und schlossen nicht mit Folgeaktionen und einer Eskalation der Kämpfe an, wie „Socialismo Revolucionario“ (Sektion des CWI in Spanien) gefordert hatte. Nun haben allerdings der Druck von unten wie auch die sich zuspitzende Finanzkrise und die immer neuen grausamen Kürzungen die größten Gewerkschaften gezwungen, erneut in Aktion zu treten.
Die Vorsitzenden von UGT und CCOO, Toxo und Mendez, hatten sich mit König Juan Carlos getroffen, um ihre Position darzulegen. Sie riefen auch einen „Sozialgipfel“ ins Leben, an dem hunderte verschiedener Organisationen teilnahmen. Darüber hinaus wurde auch eine Petition verfasst, in der man sich für ein Referendum aussprach. Allerdings entspricht ihre Kampagne für eine Referendum nicht wirklich dem, was die Brisanz der Lage erforderlich macht, oder was den kämpferischen Instinkt der ArbeiterInnen an der Basis angeht. Das kann man auch daran erkennen, dass es Anfang Juli dieses Jahres aufgrund der Austeritätsmaßnahmen zum Streik der BergarbeiterInnen und später zu spontanen Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Dienst gekommen ist. Nur zwei Tage nach dem Marsch nun, traten die TransportarbeiterInnen landesweit in einen Ausstand, was große Auswirkungen zeigte. Und das, trotz der skandalösen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze über eine „Mindestversorgung“, durch die 50 Prozent der öffentlichen Einrichtungen verpflichtet werden, ihren Betrieb aufrecht zu erhalten.
Bisher sind die jungen Leute, die auch hinter der Bewegung der „Indignados“ (dt.: Wütende) stehen, zu den Gewerkschaften auf Distanz gegangen. Viele von ihnen stimmen allerdings der Forderung nach einem weiteren Generalstreik zu. Etliche junge Leute der Bewegung der „Indignados“ nahmen auch am „Marsch auf Madrid“ teil – allerdings als TeilnehmerInnen am „kritischen Block“.
Den Sommer über machten der Vorsitzende der linken Partei IU, Sanchez Gordillo, in Andalusien und die andalusische Gewerkschaft SAT Schlagzeilen, als sie eine Bankenbesetzung initiierten und die Enteignung von Waren aus den Supermärkten durchführten, um diese dann unter den armen Leuten vor Ort zu verteilen. Die ökonomische Situation in Spanien spitzt sich tagtäglich weiter zu. Über fünf Millionen Menschen sind arbeitslos und das Damoklesschwert der Hauspfändung schwebt über tausenden von Familien. Mehr als die Hälfte der unter 25-Jährigen hat noch nie eine Erwerbsarbeit gehabt und StudentInnen gehen zurück an die Hochschulen, wo sie in immer größer werdenden Seminaren sitzen, unter entsetzlichen Bedingungen leiden und dafür immer höhere Gebühren zahlen.
Für einen 48-stündigen Generalstreik als nächsten Schritt
Aus den oben genannten Gründen verändert sich die Stimmung in den Gewerkschaften zusehends und geht immer mehr in Richtung noch kämpferischerer Aktionen. Ein Höhepunkt beim „Marsch auf Madrid“ war der Block der Feuerwehrleute, die mit ihren Helmen auf dem Kopf einen Sarg auf den Platz der Abschlusskundgebung trugen. Als sie Raketen und Sylvesterböller zündeten, gaben sie den entscheidenden Anstoß dafür, Rajoy, der sich im Regierungsgebäude befand, in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen! Es war unheimlich motivierend zu sehen, wie tausende von ArbeiterInnen aus allen Teilen Spaniens gemeinsam an einer Demonstration teilnahmen. Es ist aber auch richtig zu sagen, dass an dem Tag keine bestimmte Zielrichtung verfolgt wurde. Die Vorsitzenden von CCOO und UGT geben Appelle raus, die auf taube Ohren stoßen. So ist es höchst unwahrscheinlich, dass die regierende PP ihre Kürzungspolitik in einem Referendum zur Abstimmung stellen wird. Während der Kundgebung sagten die Gewerkschaftsoberen, dass der Ball nun bei Rajoy liege. Er müsse sich entscheiden, ob es zu einem weiteren Generalstreik kommen soll oder nicht. Doch zum jetzigen Zeitpunkt werden vage Drohungen kaum ausreichen.
Im „kritischen Block“ der Demo liefen viele Gruppen mit, die für einen erneuten Generalstreik eintraten. Allerdings war „Socialismo Revolucionario“ eine der ganz wenigen Gruppen, die auch Material anboten, in dem eine klare Strategie aufgezeigt wurde, mit der die Bewegung einen wichtigen Schritt nach vorne machen kann. Unsere Forderung nach einem 48-stündigen Streik bekam von den DemonstrantInnen eine gute Resonanz. Solch ein Streik würde helfen, den Kampf weiter eskalieren zu lassen, eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage ist, die immer schwächer werdende Regierung zu Fall zu bringen, unsere Vorstellung vom Kampf für eine Arbeiterregierung in den Vordergrund zu stellen, um einen sozialistischen Politikansatz anzubringen – als den einzigen Weg, um die Krisen-Spirale zu beenden.
Mitglieder von „Socialismo Revolucionario“ hatten auch an den Demonstrationen in Katalonien, Andalusien und dem Baskenland teilgenommen. Wir verteilten mehr als 2.000 Flugblätter und verkauften Ausgaben unseres Bulletins. Wir riefen zum Kampf für eine Vereinigung der jeweiligen Auseinandersetzungen in den einzelnen spanischen Bundesstaaten und zur Mobilisierung für einen 48-stündigen Generalstreik auf. Das sollte der nächste Schritt sein, um zu einer Bewegung zu gelangen, die dieser Regierung und ihrer Art von Politik ein Ende setzt. Es hat dieses Jahr bereits einen Generalstreik gegeben und ein weiterer, der wieder nur 24 Stunden dauern würde, wäre nicht genug. Es ist deshalb Zeit für ernstgemeinte Aktionen der Gewerkschaften. Dass am selben Tag auch in Portugal eine Million Menschen gegen dieselbe Kürzungspolitik auf die Straße gegangen sind, zeigt, dass es auch dringenden Bedarf an international koordiniertem Vorgehen und Generalstreiks gibt, die europaweit organisiert werden.
In Katalonien waren bis zu zwei Millionen Menschen für die Unabhängigkeit ihrer Region auf die Straße gegangen – aber auch um Widerstand gegen die Kürzungen zu leisten. In Euskadi (baskisch für: das Baskenland) wird es am 26. September zu einem Generalstreik kommen, zu dem die Mehrheit der baskischen Gewerkschaften aufgerufen haben. „Socialismo Revolucionario“ ist der Meinung, dass dies nicht die Zeit ist, um sich mit Unzulänglichkeiten aufzuhalten. Es muss das Mindeste sein, dass die spanischen Gewerkschaften CCOO und UGT den Generalstreik im Baskenland unterstützen und auch für die ArbeiterInnen in Katalonien die Führung übernehmen, die ganz offensichtlich bereit und Willens sind, um für den Sturz der PP-Regierung zu kämpfen.
Spanien tritt nun in eine entscheidende Phase ein. Eine Fortsetzung der Politik von EU, Banken, PP und PSOE wird zu einem Wirtschafts-Chaos und zur Demontage des öffentlichen Sektors führen. Auch die Reformen, die in den letzten 30 Jahren seit Wiedereinführung der „Demokratie“ (nach der Franco-Diktatur; Anm. d. Übers.) erreicht wurden, stehen auf dem Spiel. Die sich immer weiter zuspitzende Krise vergrößert auch die nationalen Widersprüche in Katalonien und Euskadi. Der Kampf läuft, um eine vereinte Bewegung mit wirklich sozialistischer und kämpferischer Führung aufzubauen.