Kommentar zum Freispruch für Vergewaltiger in Essen
von Alexandra Arnsburg, Berlin
Am 10. September sprach das Landgericht Essen einen Vergewaltiger frei, mit der Begründung, dass sich die Betroffene nicht genügend gewehrt hätte. „Nein“ und die Angst vor schlimmerer Gewalt begründen vor Gericht keinen Tatbestand für Vergewaltigung.
Der Anwalt der Betroffenen kommentierte die Entscheidung zynisch: “Man kann jeder Frau nur einen Rat geben: Im Zweifel musst du kratzen.“ Die Rechtslage schützt in der Regel die Täter. Laut einer Studie von 2009 enden nur 13 % der strafrechtlichen Verfahren nach einer Anzeige wegen Vergewaltigung mit einer Verurteilung des Betroffenen. Die Quote bei anderen Straftaten liegt bei ca. 55 %. Die Entscheidung des Landgerichts Essen ist leider keine Überraschung sondern wirft ein Licht auf die aktuellen Zustände.
Entwürdigende Verfahren
Die seltene Verurteilung ist für Frauen bei weitem nicht der einzige Grund, den Täter nicht anzuzeigen: Die erfahrene Gewalt immer wieder schildern, entwürdigende Details preisgeben, die eigene sexuelle Vergangenheit offen legen zu müssen und bewertet zu wissen, ärztliche Untersuchungen, das Gefühl, dass einem nicht geglaubt wird – das durchzustehen erfordert schon sehr viel Stärke, die Frauen aufbringen sollen, die gerade eine traumatische Erfahrung hinter sich haben. Angst vor den polizeilichen Befragungen oder vor gesellschaftlicher Ächtung, vor erneuter Gewalt vom Täter, Scham oder eigene Schuldzuweisungen sind oft Gründe dafür, dass Frauen nicht den Schritt zur Polizei wagen.
Menschen zweiter Klasse?
Natürlich ist es ein Fortschritt, dass Vergewaltigung in der Ehe nun als Tatbestand existiert; dass Opfer von weiblichen geschulten Polizistinnen vernommen werden, dass es in fast jeder Polizeiwache geschulte Leute und oft eine extra Rufnummer gibt für Nachbarn, die häusliche Gewalt anzeigen können. Aber diese Einrichtungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. In einer Gesellschaft, wo landläufig Witze darüber gerissen werden, dass Frauen mit „Nein“ eigentlich „Ja“ meinen, wo weibliche Sexualität vor allem zu Werbezwecken dient und Frauen jeden Zentimeter ihres Körpers auf Unzulänglichkeiten prüfen sollen, kann es keine Selbstbestimmung für Frauen geben. Die meisten Frauen sind Menschen zweiter Klasse. Sie leisten den größten Teil der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und haben den geringsten Anteil am gesellschaftlichen Vermögen. Die rigorose Kürzungspolitik trifft vor allem Frauen. Einsparungen im Sozialbereich sorgen dafür, dass Frauenhäuser schließen und Frauenprojekte stillgelegt werden. Die Deformation des Gesundheitswesens hat z. B. dafür gesorgt, dass eine vergewaltigte Frau in einem Krankenhaus (oder ein Krankenhaus weiter, weil das vor Ort privatisiert wurde und die Gynäkologie oder die Notaufnahme geschlossen wurde) 10 Euro Eintritt zahlen muss. Das bestehende System beruhend auf Profitgier und dem Machtstreben der Kapitalbesitzer benutzt die Spaltung der Gesellschaft in Mann und Frau, Deutsche und Ausländer, Beschäftigte und Arbeitslose als Werkzeug, um ihre Herrschaft aufrecht zu erhalten. Im gemeinsamen Kampf von Männern und Frauen für eine andere Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert – eine sozialistische Gesellschaft – können wir die Grundlage für die Überwindung jahrhundertelang geprägter Vorurteile legen.