In seinem Urteil vom Mittwoch hat das Bundesverfassungsgericht den Regelungen zu ESM und Fiskalpakt weitgehend zugestimmt.
Zufriedenheit allenthalben. Der Richterspruch hat in fast allen Bereichen von Politik und Wirtschaft für Erleichterung gesorgt. Das sich in einer Sitzung befindliche Europaparlament spendete nach der Verkündung langanhaltenden Beifall, die Aktie der Commerzbank erzielte kurzzeitig einen Kursgewinn von 7,2 Prozent. Der Ratifizierung des Vertrags von deutscher Seite aus steht nun nichts mehr entgegen. Bereits für den 8. Oktober plant Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker das erste Treffen des nun formal legitimierten ESM-Gouverneursrats
Von Jens Meyer, Kassel
Über die „Sinnhaftigkeit“ des ESM-Rettungspakets und die Auswirkungen durch den damit untrennbar verknüpften Fiskalpakt auf die europäische Bevölkerung hatte das Gericht dabei nicht zu entscheiden. Dies sei weiterhin die Aufgabe der in den Parlamenten sitzenden „Volksvertreter“, so Gerichtspräsident Voßkuhle am Mittwoch. Und die hatten sich am 29. Juni im Bundestag mit Zweidrittelmehrheit gegen die Stimmen der LINKE für ein Vertragswerk entschieden, das unter anderem eine Erweiterung der Garantiesumme des bisherigen „Schutzschirms“ EFSF auf 700 Milliarden Euro vorsieht. Der neue Stabilitätsmechanismus dient dabei vor allem dazu, die Gläubiger der pleiteverdächtigen Euro-Länder abzusichern. Das sind vor allem auch deutsche und französische Banken, denen hier zur Hilfe geeilt wird.
Bankenrettung reloaded
Die Sozialisierung der von Kreditausfall bedrohten Anleihen soll dabei vor allem auch die Gemeinschaftswährung EURO vor dem Zerfall retten. Der ESM ist aus diesem Grund als eine internationale Finanzinstitution konstituiert mit der Möglichkeit, neue Staatsanleihen von Krisenländern direkt zu kaufen oder aber auf dem Sekundärmarkt privaten Gläubigern abzukaufen. Deutschland soll nach dem Urteil des BVG nun mit maximal 190 Milliarden Euro haften, wobei ausdrücklich die Möglichkeit offen gehalten wird, diese Summe durch ein Votum des Bundestages über den deutschen Vertreter im Gouverneursrat, erhöhen zu lassen. Das heißt aber praktisch, dass der zurzeit bestehende Rettungsschirm EFSF durch den ESM im Grunde um 200 Milliarden Euro aufgestockt wird. Das Bundesverfassungsgericht hatte schwammige Formulierungen im Vertrag diesbezüglich kassiert. Ein zweiter Vorbehalt bezieht sich auf die Informationsrechte von Bundestag und Bundesrat. Diese dürfen laut Urteil nicht durch die Schweigepflicht der ESM-Mitarbeiter und die Unverletzlichkeit der ESM-Unterlagen beschränkt werden. Dies müsse Deutschland vor der Ratifizierung durch einen Vorbehalt völkerrechtlich verbindlich klarstellen. Wirkliche Auswirkungen auf die Politik im Rahmen des ESM und für das Agieren der Bundesregierung dürfte das nicht haben: Der Bundestag ist schlicht überfordert und nicht willens, hier wirksam zu kontrollieren. Es ist anzunehmen, dass die Informationen darüber wohl versteckt in Ausschüssen behandelt werden.
Die auch von der Bundestagsfraktion der LINKE unterstützte Klage gegen den ESM hatte im Vorfeld bereits, was den Umfang der Garantien anbetraf, an Dringlichkeit für die „EURO-Retter“ eingebüßt. Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt zum unbegrenzten Erwerb von Staatsanleihen der Euro-Krisenstaaten auf dem Sekundärmarkt birgt in Anbetracht der möglichen Haftung der EURO-Mitgliedsländer für Verluste aus solchen Käufen natürlich ebenfalls eine riesige Verschuldungsgefahr für die nationalen Haushalte. Diesen Zusammenhang hatte der Eilantrag von CSU-Bundestagsmitglied Gauweiler beim BVG zum Inhalt, welchem das Gericht jedoch nicht folgte.
Sparschraube mit Verfassungsrang
Auf den europäischen Fiskapakt ist das Gericht eher nebenbei in der Urteilsbegründung eingegangen. In Verkennung der neuen Qualität zu einer bereits in Deutschland Verfassungscharakter genießenden „Schuldenbremse“ wurde dieser quasi durchgewunken. Die Auswirkungen auf diejenigen Länder, die zukünftig genötigt sein werden, auf Kredite aus dem ESM zugreifen zu müssen ist jedoch dramatisch. Als eine Vorbedingung der Gewährung müssen diese Länder auf Basis des von ihnen unterschriebenen Fiskalpaktes zukünftig extreme Sparanstrengungen unternehmen.
Der Fiskalpakt sieht vor, dass jeder Staat sich eine Neuverschuldungsgrenze von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr setzt. Das Defizit in allen EU-Ländern liegt heute deutlich über dieser Grenze (geschätzt 3,7 Prozent für 2013). Die Europäische Kommission legt für die einzelnen Staaten entsprechende Zeitpläne zur Erreichung dieses Ziels vor. Der Europäische Gerichtshof kontrolliert diese Umsetzung und kann gegebenenfalls auch Strafgelder von bis zu 0,1 Prozent des BIP verhängen. Wird die Neuverschuldungsgrenze nicht eingehalten, oder die „rasche Annäherung“ nicht rasch genug erreicht, müssen die betroffenen Staaten einen (Kürzungs-)Plan vorlegen, um die Neuverschuldung entsprechend zu senken. Die Explosion der Staatsschulden in den vergangenen Krisenjahren ist dabei vor allem der Übernahme der „faulen“ Kredite von privaten Banken geschuldet. Die Bevölkerung aller europäischen Staaten wurde damit Oper einer gewaltigen Umverteilung von unten nach oben.
Nach Griechenland ist vor allem Spanien als viertgrößtes Land der Eurozone momentan im Fokus der Krisenbewältigung. Bisher weigert sich Spanien aufgrund massiver Proteste aus der Bevölkerung noch, sich einem strengen Spardiktat durch die EU zu unterwerfen. EZB-Chef Draghi und der ESM könnten in der jetzigen Situation jedoch am längeren Hebel sitzen. Zum Nachteil der arbeitenden Bevölkerung, die jetzt schon unter einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent zu leiden hat.
Protest nötig
Das Urteil des BVG ist kein „Sieg für die Demokratie“, wie der LINKE Fraktionschef im Bundestag Gysi es ausdrückte. Eine begrenzte Haftung des „deutschen Steuerzahlers“ ändert nichts an dem unsozialen und undemokratischen Charakter des Vertragswerkes. Nur eine Schuldenstreichung der Südländer gegenüber privaten und institutionellen Gläubigern und die Verstaatlichung der für die Krise mitverantwortlichen Privatbanken und Großunternehmen unter demokratischer Kontrolle der europäischen Bevölkerung kann die fortgesetzte Verelendung breiter Schichten der europäischen Peripherie beenden.
Ein Ansatz dazu können auch die geplanten Proteste des Bündnis „Umfairteilen! Reichtum besteuern“ am 29. September in mehreren Städten Deutschlands sein. Die SAV setzt sich dort für die Ablehnung aller Kürzungsprogramme europaweit und gegen die Aushöhlung demokratischer Rechte durch die EU und EZB ein. Kein Gerichtsurteil, sondern nur der Druck von unten ist in der Lage, eine wirkliche Veränderung der Lage für Millionen von ArbeiterInnen, SchülerInnen und RentnerInnen zu erreichen.