Euro-„Retter“ werben für Schuldengemeinschaft und politische Union
Am Tag der Deutschland-Pleite gegen Italien bei der Fußball-EM kam es zu einem Brüsseler Gipfel, den die FAZ am 30. Juni als „denkwürdig“ und sogar „unglaublich“ bezeichnete. Was war passiert?
von Aron Amm, Berlin
Empört zeigten sich die Konservativen hierzulande über die Vereinbarung, den Banken Gelder des europäischen Rettungsschirms nunmehr direkt zuzuschanzen. Dieses Zugeständnis trotzte der italienische Premier Mario Monti der Bundeskanzlerin angesichts rasant steigender Risikoprämien ab – in der Hoffnung, die Zinsen für Staatsanleihen aus Rom drücken zu können.
Rufe nach Fiskalunion
„Es muss dringend etwas passieren!“, postulieren der US-Ökonom Nouriel Roubini und der britische Historiker Niall Ferguson. Zum einen tobt in bürgerlichen Kreisen – wie der Juni-Gipfel reflektierte – ein Streit über weitere Maßnahmen zur Vergemeinschaftung von Schulden. Zum anderen werden aber auch Stimmen lauter, dass sich „der Geburtsfehler des Euro“ (so der SPIEGEL) letztlich nur korrigieren ließe, wenn die Währungsunion durch eine Fiskalunion ergänzt würde.
Es stimmt, dass die Gemeinschaftswährung seit ihrem Bestehen ein ungelöstes Problem mit sich herumschleppt: Während die Mitgliedsländer jetzt mit der selben Währung zahlen, verfolgen sie doch weiter eine eigenständige Finanz- und Wirtschaftspolitik. Deshalb liegen gemeinsame fiskalpolitische Maßnahmen, gemeinsame Staatsanleihen und Transferzahlungen von den ökonomisch stärkeren zu den schwächeren Staaten eigentlich in der Logik des Euro.
Die Vereinigten Staaten als Vorbild?
Der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer stimmt in den Chor derjenigen ein, die eine „politische Einheit der Euro-Zone“ fordern. Im Interview mit „Corriere della Sera“ vom 26. Mai meinte er: „Wir müssen konkrete Schritte in Richtung einer Föderation einschlagen: Im Jahr 1781 gab es in Amerika eine ähnliche Situation.“ Damals, so Fischer, seien die „durch die Kosten der Revolution gegen das britische Empire“ verursachten Schulden vergemeinschaftet und die „Vereinigten Staaten“ mit ihren einzelnen Bundesstaaten geschaffen worden.
Richtig. Fischer unterschlägt nur, dass der Herausbildung der USA eine Revolution mitsamt einem Unabhängigkeitskrieg (1776-1783) und ihrer Festigung ein Bürgerkrieg (1861-65) vorausgingen. Das ist 200 Jahre her, als der Kapitalismus noch eine völlig andere Rolle spielte – und gegenüber der Plantagenwirtschaft der Sklavenhalter in den Südstaaten einen bedeutenden Fortschritt darstellte.
Übrigens argumentierte auch ein anderer deutscher Außenminister einmal ganz ähnlich. Und zwar der Liberale Gustav Stresemann. 1929 hob er darauf ab, dass die europäischen Länder nach dem Beispiel der Überwindung der deutschen Kleinstaaterei eine politische Union schaffen sollten. Der russische Revolutionär Leo Trotzki kommentierte diese Idee seinerzeit in dem Artikel „Abrüstung und die Vereinigten Staaten von Europa“ mit den Worten: „Diese Analogie ist keine schlechte. Aber Stresemann muss zugeben, dass Deutschland, um seine – rein nationale – Einheit zu erlangen, durch eine Revolution (1848) und drei Kriege (1864, 1866 und 1870) gehen musste – ganz abgesehen von den Reformationskriegen.“
Nationalstaatliche Fesseln
Angela Merkel nannte die Währungszone ohne politische Union eine „Dame ohne Unterleib“. Das wird sich allerdings nicht ändern lassen. Zwar konnten sich der deutsche und der französische Imperialismus bei der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) 1957 zusammenraufen und die Mitgliedsstaaten von EWG beziehungsweise EU und Euro-Raum – im internationalen Konkurrenzkampf – bis zu einem gewissen Grad aufeinander zugehen. Doch zeigt sich heute in aller Schärfe, dass der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, sondern an seine Grenzen stößt – zum einen das Privateigentum an Produktionsmitteln, zum anderen die Nationalstaaten. Zwar strebt die Ökonomie nach einer weiteren Internationalisierung von Produktion und Handel, nach größeren Wirtschaftsräumen, trotzdem ist jede Kapitalistenklasse auf eine territoriale Rückzugsmöglichkeit angewiesen, braucht einen eigenen Staatsapparat und stützt sich auf ein historisch gewachsenes nationales Bewusstsein.
Wahrscheinlich werden wir noch einige Versuche der Bürgerlichen erleben, die Gemeinschaftswährung zu retten, aber über kurz oder lang werden sie mit ihrem Projekt Schiffsbruch erleiden. Selbst im Aufschwung waren sie weit davon entfernt, einen Supra-Nationalstaat zu realisieren. In Krisenzeiten werden sie sich noch viel schwerer tun, Abstriche an der nationalen Souveränität vorzunehmen. Vielmehr fördert die Wirtschaftskrise nationalstaatliche Spannungen.
Antagonismen im Euro-Raum
Wenn Merkel über eine politische Union schwadroniert, dann denkt sie dabei auch an die Idee des Bundesfinanzministeriums, die Position eines Euro-Finanzministers einzurichten, oder an Regelungen wie den Fiskalpakt, der – unter deutscher Dominanz – das Haushaltsrecht der nationalen Parlamente beschneidet. Schon die Regierenden in Griechenland tun sich mit diesen Planspielen und den bisherigen Auflagen der „Troika“ schwer. Die Bedeutung des Euro-Gipfels vom Juni bestand jedoch gerade darin, dass die dritt- und viertgrößten Euro-Staaten Italien und Spanien signalisierten, wie sehr sie sich gegen Souveränitätsverluste zur Wehr zu setzen gedenken. Und dabei – nach dem Bruch der „Merkozy“-Achse – auch auf die Unterstützung des neuen französischen Präsidenten hoffen können.
Für ein sozialistisches Europa!
Natürlich würde sich die europäische Schuldenkrise im Rahmen des Kapitalismus selbst dann nicht meistern lassen, wenn man für einen Moment die Gesetzmäßigkeiten dieses Systems außer acht lässt und sich einen Supra-Eurostaat vorstellt. Schließlich haben die Widersprüche dieser Wirtschaftsordnung in den USA, in Japan oder Großbritannien zu ganz ähnlichen Schuldenproblemen geführt – die dort ebenfalls auf dem Rücken der Arbeiterklasse ausgetragen werden. Aber, wie ausgeführt, ist das Ziel einer politischen Union von Joschka Fischer und Co. heute völlig unrealistisch – im Gegensatz zu der von Trotzki zum Beispiel in seiner Schrift „Zur Aktualität der Parole ‚Vereinigte Staaten von Europa‘“ 1923 formulierten Alternative einer Vereinigung Europas auf sozialistischer Grundlage.